Am Limes lebten romanisierte Kelten

In seinem Vortrag bei der Volkshochschule Murrhardt präsentiert Heimatgeschichtsforscher Christian Schweizer neue wissenschaftliche Erkenntnisse und Überlegungen zur gesellschaftlichen Struktur der Truppen und der Bevölkerung im Raum Murrhardt während der Römerzeit.

Am Limes lebten romanisierte Kelten

Das Kurzschwert mit einem Griff in Form eines Adlerkopfes. Foto: Carl-Schweizer-Museum

Von Elisabeth Klaper

Murrhardt. Wer waren die Römer in Murrhardt? „Kelten in römischer Uniform“, beantwortet Heimatgeschichtsforscher und Museumsleiter Christian Schweizer die zentrale Frage seines Volkshochschulvortrages vor zahlreichen Zuhörern. Auf Basis neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse über die archäologischen Funde vor Ort wie Inschriften und Darstellungen auf Grabdenkmälern sowie Gegenstände verschiedenster Art zeichnet er im Saal des Gasthofs Engel ein lebendiges, facettenreiches Bild des Alltags, der Kultur und Religion in der Region während der Römerzeit zwischen etwa 154 bis 264 nach Christus.

Die Römer drangen ins

keltische Kerngebiet vor

Bis um 50 vor Christus hatte die römische Armee unter Caesar Gallien, also das keltische Kerngebiet, erobert, das ungefähr das heutige Frankreich und zwei Drittel von Baden-Württemberg umfasst. Es folgte die Romanisierung der keltischen Bevölkerung, welche die römische Kultur weitgehend übernahm. Um die Zeitenwende unternahmen römische Militäreinheiten Expeditionen ins benachbarte Großgermanien, wobei sie weiter nach Norden und Osten vorstießen als bisher bekannt. Im ersten Jahrhundert nach Christus bildeten die Römer die Provinz Obergermanien auf keltischem Gebiet. Um 150 bauten sie den obergermanisch-rätischen Limes. Zwischen 260 und 280 ging die Provinz an die Alamannen verloren. Die Forschung schätzt die Bevölkerung in der dicht besiedelten Provinz auf rund 300000 Personen; viele der etwa 60 Siedlungen und 1300 Gutshöfe sind noch unentdeckt. Der Limes und die Römerstraßen dienten der Kommunikation, dem Handel und dem Kulturaustausch. Das Kastell wurde zwischen 150 und 160 erbaut, die rund 1500 Einwohner große Zivilsiedlung vicus murrensis oder murrensium um 162, datiert nach den Brunnenfunden am Oberen Tor in der Murrhardter Innenstadt.

Im Kastell waren die 24. Kohorte mit rund 500 keltischen Soldaten und teils römischen Offizieren sowie die Kundschaftertruppe aus rund 150 ebenfalls keltischen Boiern und Tribokern stationiert. Der Weg dieser Einheiten ist laut Christian Schweizer von Autun in der französischen Region Franche-Comté über das Elsass und Benningen am Neckar bis nach Murrhardt durch Grabinschriften nachverfolgbar. Funde römischer Überreste erfolgten seit dem Spätmittelalter und der Renaissance oft zufällig, aber auch bei gezielten Ausgrabungen durch die Reichslimeskommission und Rolf Schweizer, Seniorchef des Carl-Schweizer-Museums.

Einzigartig gut erhalten ist die Darstellung der Gründungssage Roms mit der kapitolinischen Wölfin, welche die Gründerzwillinge Romulus und Remus säugt. Sie war Teil des Walterichsgrabes, entdeckt bei der Ausgrabung in der Walterichskirche 1963. Das Relief schmückte wohl ein prächtiges Pfeiler- oder Turmgrabmal, dessen Mittelteil mit Götterdarstellungen in der römischen Abteilung des Museums rekonstruiert ist. Der Heimatgeschichtsforscher vermutet, dass dieses Grabmal für den echten Stadtrömer und Aristokraten Sextus Julius Florus Victorinus erbaut wurde.

Er war Tribun, sprich befehlshabender Offizier der 24. Kohorte, und ließ laut der Inschrift eines Weihesteins nach Germanenüberfällen Anfang des 3. Jahrhunderts den Mithras-Tempel wiederaufbauen. Diesen Stein fand man bei der Obermühle, wo auch die sich noch nicht entdeckten Reste des Tempels im Boden befinden müssen. Die Mithras-Religion war ein den Freimaurern vergleichbarer elitärer und geheimer Kult für Männer. Auf dem Hügel, wo heute die Walterichskirche steht, gab es hingegen einen Tempel für den Sonnengott oder Jupiter, stellte Schweizer klar.

Zeugnisse der Familie Caranti:

Inschrift mit den Namen aller Mitglieder

Ein ungewöhnliches Grabdenkmal weist auf die älteste „Murrhardter“ Familie Caranti hin: Die Inschrift nennt alle Familienmitglieder, die möglicherweise Christen waren. Den oberen Abschluss bildet ein Halbkreis mit Palmwedeln als Sinnbild des Sieges, beziehungsweise mit Feigenblättern, die für Wohlstand und Fruchtbarkeit stehen – und am Anfang der Bibel erwähnt werden. Der Name könnte auf das keltische Volk der Carnuten hinweisen oder auf Carantiacum, heute Grenzach-Wyhlen am Hochrhein.

1954 entdeckten Bauarbeiter in der Friedenstraße einen echten Schatz: ein als Parazonium bezeichnetes Kurzschwert oder einen Dolch aus Bronze, dessen Griffstück die Form eines Adlerkopfes hat. Es war ein Rangzeichen, das die dem Kaiser zugeschriebene göttliche Macht symbolisierte. Deshalb lag es einst zur Repräsentation in der Hand und Armbeuge der Kaiserstatue auf, die in der Mitte des Kastells im Hof der Kommandantur stand, wo heute der Garten des evangelischen Pfarramts Riesberg liegt. Das Parazonium wurde am Arm der Statue eingehakt und konnte für kultische Zeremonien herausgenommen werden. „Es ist das einzige vollständig erhaltene Parazonium im gesamten Römischen Reich“, betont Christian Schweizer. Das gute Stück ist in der römischen Abteilung des Museums ausgestellt.

Kürzlich erfolgte eine wissenschaftliche Untersuchung von Bronzefiguren und -objekten, die am Unesco-Welterbe Limes gefunden wurden. Sie zeigte, dass die römischen Bronzelegierungen nahezu modernen Pendants entsprechen. Sie enthalten aber auch wiederverwendete Reste von anderen Metallen und Materialien, die wahrscheinlich von eingeschmolzenen früheren Figuren und Gegenständen stammten.