Rettungsdienst in Baden-Württemberg

Barmer-Landeschef fordert: „Mehr Wadenwickel statt fiebersenkender Medikamente“

Winfried Plötze ist Landesgeschäftsführer der Krankenkasse Barmer. Gegen die wachsende Überlastung des Rettungsdiensts sieht er Wege – manche sind unbequem.

Barmer-Landeschef fordert: „Mehr Wadenwickel statt fiebersenkender Medikamente“

Der Rettungsdienst fährt im roten Bereich – und das schon seit Jahren.

Von Jürgen Bock

Der Rettungsdienst in Baden-Württemberg gilt seit Jahren als Patient. Die Einsatzzahlen steigen, die Belastungen für die Mitarbeitenden ebenso. Vielerorts können sie die gesetzlichen Vorgaben nicht einhalten, was die Eintreffzeiten betrifft. In Zukunft dürfte sich dieser Trend noch verstärken. Bisher wird durch stetiges Aufstocken der Fahrzeuge und zusätzliche Beschäftigte reagiert, doch das System läuft der Entwicklung stetig hinterher.

Die Krankenkassen sind diejenigen, die jeweils vor Ort über die Ausstattung der Notfallrettung verhandeln und sie bezahlen. An der grundsätzlichen Planung sind sie allerdings nicht beteiligt – und auch in der öffentlichen Debatte zu dem Thema treten sie selten auf. Dass sie Kosten möglichst sparen wollen, ist klar. Das muss aber nicht zwingend zu Verschlechterungen führen, heißt es dort.

Winfried Plötze ist Landesgeschäftsführer bei der Barmer und befasst sich seit vielen Jahren mit den Entwicklungen im Rettungsdienst. Er mahnt ein grundsätzliches Umdenken an. „Das Geld, das in der Vergangenheit zur Verfügung stand, war der Anreiz, falsche Politik zu machen“, sagt er. Man habe ein gutes System. Um es zu behalten, müsse man jetzt aber an einigen Rädern drehen. Man könne nicht einfach immer so weitermachen wie bisher: „Wir haben jedes Jahr eine Kostensteigerung von rund zehn Prozent. Das bringt uns an Grenzen.“

Für Plötze ist die Politik gefragt – sowohl im Bund als im Land. „Wir haben in Deutschland 16 unterschiedliche Rettungsdienstsysteme mit jeweiligen Ländergesetzen. Wollen wir uns das weiter leisten?“, fragt er. Sinnvoller wäre es seiner Meinung nach, wenn der Bund den Rahmen vorgeben und die Bundesländer ihn ausgestalten würden. Er plädiert für einheitliche EDV- und Ersthelfersysteme. Auch die sogenannten Hilfsfristen, binnen derer die Retter am Einsatzort sein müssen, sollten gemeinsam festgelegt werden.

Zu viele Leitstellen im Land

Als positiv wertet Plötze die neuen Chancen der Telemedizin und die Einführung der E-Akte. Beides könne dafür sorgen, dass weniger Notrufe abgesetzt würden. „Je besser die ambulante Versorgung, desto weniger Belastung für Notfallrettung und Krankenhäuser“, sagt er. Das gehe aber nur mit der Entwicklung eines gemeinsamen Verständnisses bei allen Beteiligten. Es brauche ein verbindliches System der Patientensteuerung. Und in Baden-Württemberg weniger Leitstellen – in einem ersten Schritt wären laut Plötze zwölf oder 13 statt heute 35 sinnvoll.

Ansetzen muss man seiner Meinung nach aber auch bei den Patienten. „Es gibt eine Eigenverantwortung der Bevölkerung, das System nicht zu überfordern“, sagt er. Das könne gelingen, wenn die Politik offen darüber diskutiere. Der Barmer-Geschäftsführer geht im Rettungsdienst von 30 bis 50 Prozent unnötiger Einsätze aus. Mancher Retter beziffert diese Quote sogar noch höher.

„Die Patienten weisen sich selbst ungesteuert ein. Es gibt viel Nichtwissen und eine übersteigerte Erwartungshaltung“, so Plötze. Manche wählten wegen einer leicht erhöhten Temperatur von 37,5 Grad den Notruf. Es würden auch viel zu viele Medikamente angewandt und oft auch noch falsch. „Die Leute nehmen zum Beispiel zu viele fiebersenkende Medikamente. Hausmittel wie Wadenwickel wären oft viel sinnvoller.“

Um diesen Zustand zu ändern, brauche es wieder mehr medizinisches Wissen und Resilienz in der Bevölkerung, glaubt Plötze. „Wir brauchen mehr Aufklärung, auch übers Impfen. Die Quoten sind in Baden-Württemberg nicht gut.“ Die Gesundheitsämter müssten wieder Leute an die Schulen schicken. Man müsse die Gesundheitskompetenz immer wieder auffrischen und diesen Punkt regelhaft ins Schulsystem implementieren.

Von Strafen bei unnötig verständigten Notfallrettern hält Plötze wie so viele Experten nichts. „Das trifft selten die Richtigen und schafft nur bürokratischen Aufwand.“ Stattdessen müsse man es schaffen, die Zahl der unnötigen Notrufe durch Wissen zu verringern. Dann beseitige man auch die Überlastung der Mitarbeiter bei den Rettern: „Heute sind dort viele Leute einfach nur frustriert.“