Im Verfahren um den Mord an Rouven Laur auf dem Mannheimer Marktplatz sagten Kolleginnen und Kollegen des getöteten Polizeihauptkommissars vor dem Oberlandesgericht Stuttgart aus. Sie schildern Dramatisches.
Bei der Trauerfeier auf dem Stuttgarter Rathausplatz haben Polizisten ein Bild ihres Kollegen Rouven Laur aufgestellt.
Von Franz Feyder
In diesem Lächeln steckt Neugier. Auf das, was das Leben zu bieten hat. Und Schalk steckt drin. Wie von einem, der eine Tüte Mehl oben auf die Tür des Klassenzimmers gestellt hat und auf den Lehrer wartet. Mit so einem Lächeln werden Menschen gewonnen. „Man fühlte sich einfach gut mit ihm“, sagt ein Kollege Rouven Laurs.
Einer, der hautnah dabei war, als am 31. Mai 2024 mutmaßlich der Afghane Sulaiman A. auf den 29 Jahre alten Polizeihauptkommissar einstach. Ihn auf dem Marktplatz Mannheims schwer im Kopf und am Nacken verletzte. „Wir haben“, sagt eine Polizeihauptmeisterin, „gehofft, dass wieder alles gut wird“. Dass „Rouven zu uns zurück kommt“, ein Polizeioberkommissar mit leiser, stockender Stimme den vier Richtern und der Richterin des 5. Strafsenats. Zwei Tage später verstarb Rouven Laur an den Folgen des Messerangriffs.
Das Richterquintett des Stuttgarter Oberlandesgerichtes geht seit dem 13. Februar der Frage nach, ob die Bluttat im Herzen Mannheims ein Terroranschlag war. Der zwölfte Verhandlungstag gehört denen, die an diesem Freitag zusammen mit Laur eingesetzt waren. Die Frauen und Männer des Einsatzzuges Mannheim, „quasi der kleinen Bereitschaftspolizei unseres Präsidiums“, erklärt der Oberkommissar. Ihre Aufgabe: bei Heimspielen des SV Waldhof Mannheim in der 3. Liga randalierende Fans auseinanderhalten, bei Demonstrationen das Recht zu schützen, dass jeder in Deutschland seine Meinung frei äußern kann.
So auch an diesem Tag: Der sich selbst als islamkritisch bezeichnende Verein Pax Europa (PE) hatte einen Informationsstand auf dem Mannheimer Marktplatz angemeldet. „Wir rechneten mit verbalen Auseinandersetzungen. Vielleicht auch mit Handgreiflichkeiten“, sagt eine Beamtin. Videos früherer PE-Veranstaltungen seien zur Vorbereitung angeschaut worden.
Polizisten wundern sich über den Ort für den Info-Stand
„Es war bekannt, dass Pax Europa für Konflikte sorgte“, sagt der Oberkommissar. Umso mehr verwunderte viele Beamte, dass PE sich den Marktplatz aussuchte, um – wie sie selbst vorgibt – „über den politischen Islam zu informieren“. Das Herz Mannheims wird im Volksmund „klein Istanbul“ genannt. „Wegen der vielen türkischen und muslimischen Geschäfte und Restaurants“, erklärt eine Polizistin.
Gegen 11 Uhr trafen sie und 21 Kollegen mit fünf Transportern auf dem Marktplatz ein. Und bereiteten sich auf den Einsatz vor: noch etwas essen, in einem Café zur Toilette gehen – „man weiß nie, wann dafür noch einmal Zeit ist“, sagt eine Beamtin.
Rouven Laur, an diesem Tag als Zugführer der 22 Polizisten, habe mit den Gruppenführern gerade die Lage besprochen, „als auf dem Marktplatz geschrien wurde“. Die Polizisten stürmten los, gingen von einer Schlägerei aus. „Einer gegen sechs, drei gegen drei – was auch immer“, sagt der Oberkommissar. Der Auftrag sei ohne Befehle allen klar gewesen: „Trennen, fixieren, sortieren“, sagt eine Beamtin. „Wenn man zahlenmäßig überlegen ist, dann geht man so in eine Schlägerei rein“, ergänzt ihr Gruppenführer.
Für die Polizisten lief alles gleichzeitig ab
Nur dass es an diesem Freitag keine Schlägerei ist. „Messer, Messer“, schrie plötzlich eine Kollegin. Gerade als die Polizisten die von der PE aufgestellten Plakate, ihren Pavillon und Transporter passiert hatten. Erstmals Sicht auf das Geschehen hatten. „Alles lief gleichzeitig ab“, schildert eine Polizistin, gerade 21 Jahre alt: der Schrei „Messer“, Männer, die auf dem Boden und stehend miteinander kämpfen, die drei gelben Punkte des Klettkennzeichens auf dem Rücken Rouven Laurs, an denen er als Zugführer zu erkennen ist. Das Messer, das von hinten auf ihn einsticht. Sie sieht Blut, viel Blut. „Ich lief los, um Verbandsmaterial zu holen: Ich hatte nichts bei mir, um eine starke Blutung am Hals zu stoppen. Nichts stimmte mehr.“
Sie kommt zurück. Rouven Laur steht, presst eine Hand auf den Hals. Er schaut durch sie hindurch. „Er wollte sich nicht hinlegen“, erinnert die junge Frau. Stockend. Tränen laufen über ihre Wangen. „Überall Blut. Ich habe die Wunde erst nicht gefunden.“ Noch kein Rettungswagen da. „Minuten, die wie Stunden ziehen“, sagt eine andere. Als der Krankenwagen kommt, legen die Polizisten Laur auf die Trage, schieben ihn in den Transporter.
Dem Vorsitzender Richter bricht die Stimme weg
Die junge Polizistin steigt mit ein. Rasende Fahrt in die Uni-Klinik. Schockraum. Irgendwann schickt einer der Ärzte sie raus. Sie harrt aus – bis einer der Mediziner kommt und sagt, dass es nicht gut aussehe. Die Richter, von denen viele Folter- und Mordvideos von Terrorgruppen sahen, schlucken. „Wenn Sie eine Pause brauchen …“, sagt der Vorsitzende Herbert Anderer – mit wegbrechender Stimme.
„Ich frage mich, ob ich alles richtig gemacht habe“, sagt sie. Viele im Einsatzzug geht es so. Schreie, Blut, der Schuss, der Angreifer Sulaiman A. niederstreckt. Bei jedem bringt ein anderes Bild, ein anderer Geruch, ein anderes Geräusch den Film dazu, zu laufen. Mit für jeden anderen Folgen: schlaflosen Nächten, Albträumen, Apathie. Manche werden noch behandelt. Vorgesetzte helfen mit Gesprächs- und Therapieangeboten, das Geschehene zu verarbeiten.
„Wunderbar, Menschen wie Sie als Polizistin zu haben“
„Ganz wird man es nie los“, sagt eine Polizistin. „Ich frage mich oft, ob ich in meinem Traumberuf Polizistin richtig bin“, sagt die 21-jährige. „Bleiben Sie Polizeibeamtin, weil es wirklich wunderbar ist, Menschen wie Sie als Polizistin zu haben“, sagt Anderer. Die junge Frau schaut ihm in die Augen.
Nach allem, was über ihn bekannt ist, hätte Rouven Laur jetzt gelächelt. Dieses unbedarfte, lebenshungrige, neugierige Lächeln, in das sich Schalk mischte. Das Lächeln seiner Mutter, die zwei Schreibtische hinter der jungen Polizistin im Gerichtssaal sitzt.