Blick auf europäische Nachbarn wird vertieft

Die Volkshochschule Murrhardt befasst sich in ihrem neuen Semesterschwerpunkt nach Frankreich mit Polen

Murrhardt blickt auf eine über 50-jährige Städtepartnerschaft mit dem französischen Château-Gontier zurück, später wurden zudem Bande mit dem englischen Frome geknüpft. Aber auch die Partnerschaft mit dem polnischen Rabka-Zdrój geht mittlerweile ins elfte Jahr, die gleichzeitig der Startschuss für einen noch intensiveren Austausch zwischen allen vier Städten war. Somit gibt es auch ganz konkrete Anknüpfungspunkte für die Volkshochschule, die sich vorgenommen hat, den Blick auf die europäischen Nachbarn zu vertiefen.

Blick auf europäische Nachbarn wird vertieft

Liegt schon über zehn Jahre zurück (von links): Bürgermeisterin Ewa Przybylo (Rabka-Zdrój) unterschreibt die Partnerschaftsurkunden, die Bürgermeister Gerhard Strobel (Murrhardt), Damon Hooton (Frome) und Philippe Henry (Château-Gontier) tun es ihr gleich. Archivfoto: C. Schick

Von Christine Schick



MURRHARDT. Nachdem sich die vergangenen Semesterschwerpunkte zunächst mit Europa und Frankreich befasst haben, wirft die Volkshochschule Murrhardt nun Schlaglichter auf das Land Polen. Bevor aber einzelne Facetten aufgemacht werden, stellt Historiker und Orientalist Matthias Hofmann grundsätzliche Fragen danach, was möglicherweise auch hinter einer Organisationsform größerer Zusammenschlüsse steht und wie es mit ihrer Berechtigung aussieht. Bei seinem Vortrag „Das große Fressen? Globalisierung kontra Selbstbestimmungsrecht der Völker“ (27. Januar, 19 Uhr) thematisiert er unter anderem, dass viele Europäer Palästinensern und Kurden einen eigenen Staat zugestehen würden, aber bei Souveränitätsbestrebungen von Katalonien und dem Baskenland so ihre Probleme haben. Für übergeordnete Wirtschaftszusammenschlüsse ist eine zersplitterte Staatenstruktur eher hinderlich. Aber gibt es neben diesen Interessen noch andere Argumente, die für eine Globalisierung sprechen? Ebenfalls eine generelle Einordnung möchte Matthias Hofmann unter der Überschrift „Demokratie in Gefahr!? Parallelen zwischen der Weimarer Republik und der Bundesrepublik“ (19. März, 19.30 Uhr) vornehmen. Dabei schaut er sich an, inwieweit es berechtigt ist, aktuell von „Weimarer Verhältnissen“ zu sprechen, wo es Parallelen und Unterschiede zu den damaligen Konstellationen gibt.

Mit dem „Europäischen Dialog“ (23. März, 19 Uhr) nähert sich der Fokus dann dem Schwerpunkt und bettet ihn gleichzeitig in konkrete Erfahrungen von Murrhardtern ein. Detlef Neumann wird sich mit Frauen und Männern austauschen, die oft in Murrhardts Partnerstädten zu Gast waren. Die Zuhörer können sich überraschen lassen, ob dabei das gedankliche Konzept einer landestypischen, geografisch verankerten Identität von dem eines Konzepts der kulturellen Ressourcen – beispielsweise Demokratie und Meinungsfreiheit – abgelöst werden kann.

Die spannende Geschichte der polnischen Gewerkschaft Solidarnosc, die eng mit der gesamten Ostblockentwicklung verzahnt war, beleuchtet Manfred Mack vom deutschen Poleninstitut (30. März, 19 Uhr). Sein Vortrag befasst sich auch mit der Frage, wie die Rolle Lech Walesas einzuordnen ist, und mit der Wandlung der ursprünglich emanzipatorischen Ziele von Solidarnosc.

Eine ganz praktische kulinarische Annäherung ist das Angebot von Angelika Butter, bei der in einem Kochkurs (1. April, 18 bis 21 Uhr) polnische Piroggen auf dem Speiseplan stehen. Die Gruppe lernt die Teigzubereitung kennen und versucht sich an unterschiedlichen Füllungen der Spezialität, die nicht mit der Maultasche verwandt ist, aber ähnlich anmutet. Der Historiker Ortwin Köhler schaut sich Polen als Migrationsland an. Sein Vortrag „Die Gründe der Emigration aus Polen im 19. und 20. Jahrhundert“ (14. Mai, 19.30 Uhr) ordnet das Thema historisch und politisch ein, zudem befasst er sich neben den Ursachen auch mit Reaktionen auf polnische Einwanderer und polnische Migrationsbewegungen.

Eintauchen in polnische Lyrik und polnischen Jazz

Unter der Überschrift „Lässiges Polen: Jazz trifft Lyrik“ (8. Mai, 19.30 Uhr) präsentieren Mitglieder des Ensembles „Theatelier fabula et cetera“ Gedichte bedeutender polnischer Autorinnen und Autoren. Gabriele Rösch, Kuratorin der Kunstsammlung Murrhardt, führt am Abend zudem in den polnischen Jazz mit seiner nationalen Färbung und in seinen spezifischen historisch-politischen Entwicklungskontext ein.

Zwei weitere Schlaglichter: In Kooperation mit dem Kommunalen Kino steht der Filmabend „Corpus Christi“ (28. Mai, 20 Uhr) in den Murrlichtspielen auf dem Programm. Das gleichnamige Filmdrama des Polen Jan Komasa (2019) erzählt die Geschichte des 20-jährigen Daniel, der im Gefängnis zum Glauben findet. Da er aber nicht zum Priester ausgebildet werden darf, greift er zu einem anderen Mittel. Michaela Köhler stellt die Biografie von Janusz Korczak vor (20. Februar, 18 Uhr). Als Arzt hat er sein Leben der Fürsorge benachteiligter Kinder gewidmet und leitete bis 1941 zwei Waisenhäuser. Im Warschauer Getto hat er noch ärztliche Hilfe geleistet, bis er mit rund 200 Kindern im Vernichtungslager Treblinka ermordet wurde.

Wer Polen unmittelbar kennenlernen möchte, für den hält die Volkshochschule eine Studienreise bereit, bei der unter anderem Breslau, Krakau und Warschau besucht werden.

Im Gesamtpaket des Semesters finden sich darüber hinaus viele Angebote rund um Gesellschaft und Allgemeinbildung, Gesundheit, Kreativität und Sprachen. Drei Veranstaltungen sind der Elektromobilität gewidmet. Zum einen wird die Nutzung eines Elektroautos alltagspraktisch aufgerollt, zum anderen die des Lastenfahrrads. Zudem kann man ein Pedelec-Fahrsicherheitstraining beim ADFC machen.

Neu im Programm ist die Unterstützung dabei, wie sich die Einkommensteuererklärung bewältigen lässt, sowie im Rahmen eines Outdoor-Inklusiv-Projekts ein Spaziergang mit Islandpferden durch den Schwäbischen Wald.

Fortgesetzt wird die „Philosophische Marktstunde“ mit drei neuen Themen, über die gemeinsam nachgedacht werden kann. Da das Format gut ankommt, wird überlegt, die Fühler in Bezug auf weitere Örtlichkeiten auszustrecken.

Christian Schweizer betrachtet in einem Vortrag „75 Jahre Ende Zweiter Weltkrieg in Murrhardt“ die Themenkomplexe Flüchtlinge, Demokratie und Wiederaufbau. Kunsthistorikerin Ulla Groha führt in Leben und Werk von Ida Kerkovius ein, zu der eine Ausstellung in der Stuttgarter Staatsgalerie läuft. Zu dieser und der Bauhaus-Ausstellung begleitet Ulla Groha auch eine Exkursion. Ebenfalls auf dem Programm steht ein Besuch des Ludwigsburger Neckarbiotops Zugwiesen unter der Überschrift „Unten am Fluss“.

Nach dem Motto „Fit bis ins hohe Alter“ hält die VHS zudem auch an Vormittagen Gesundheitskurse und leichte Bewegungsangebote bereit. Bei den Sprachen neu dazugekommen ist ein Kurs zur Gebärdensprache sowie Russisch, bei der EDV Java-Programmierung und ein individuell zugeschnittener Excel-Kurs.

Fortgeführt wird der Treffpunkt Schneiderei, Premiere haben Kreativworkshops „Stahlbildhauen und Plasmaschneiden“ bei der Künstlerin Beate Binder, die in ihr Atelier nach Beimbach einlädt. Wer mit seiner Stimme einmal experimentieren möchte, für den ist möglicherweise der Jodelkurs etwas, der ebenfalls neu ins Programm gekommen ist. Notenkenntnisse braucht es dazu nicht, nur eine Portion Mut, so die Vorschau.

Info
Programm im Netz

Alle weiteren Infos zu Terminen und Veranstaltungsorten inklusive Anmeldungsmöglichkeiten finden sich im aktuellen VHS-Heft. Es ist bei der Volkshochschule im Grabenschulhaus, Obere Schulgasse 6, Murrhardt, erhältlich oder kann im Internet unter www.vhs-murrhardt.de heruntergeladen werden.