Immer wieder wirft die Ukraine der russischen Armee den Einsatz von Tränengas vor. Westliche Geheimdienste haben nun Erkenntnisse, dass Russland noch gefährlichere chemische Kampfstoffe einsetzt.
Der Bundesnachrichtendienst hat Erkenntnisse zu Chemiewaffeneinsatz durch die russische Armee in der Ukraine. (Symbolbild)
Von Von Jörg Blank und Andreas Stein, dpa
Berlin - Russland verstärkt nach Erkenntnissen des Bundesnachrichtendienstes und von zwei niederländischen Geheimdiensten den Einsatz von Chemiewaffen in der Ukraine. "Der Einsatz von Tränengasen sowie Chlorpikrin durch russische Truppen ist nun zur Standardpraxis geworden und weit verbreitet", teilten der deutsche Auslandsgeheimdienst sowie der niederländische Militärnachrichtendienst MIVD und der niederländische Nachrichtendienst AIVD gemeinsam mit. Russland verstoße damit gegen das Chemiewaffenabkommen, das auf ein weltweites Verbot solcher Waffen abzielt.
Chlorpikrin, auch Trichlornitromethan genannt, ist ein chemischer Kampfstoff aus der Gruppe der Lungenkampfstoffe. Im Ersten Weltkrieg wurde er auch unter der Bezeichnung Grünkreuz-1 eingesetzt. Grünkreuz deshalb, weil damals mit solchen Kampfstoffen gefüllte Granaten mit einem grünen Kreuz gekennzeichnet wurden.
"Chlorpikrin ernster Verstoß gegen Chemiewaffenübereinkommen"
Chlorpikrin könne in hoher Konzentration in geschlossenen Räumen tödlich sein, hieß es weiter. Die Verwendung stelle einen ernsten Verstoß gegen das Chemiewaffenübereinkommen dar, das den Einsatz dieses Lungenkampfstoffs unter allen Umständen untersage, betonten die Geheimdienste. Auch der Einsatz von Tränengas verstößt gegen das Übereinkommen.
Geheimdienste: Russland investiert in Chemiewaffenprogramm
Nach Beobachtungen von BND, MIVD und AIVD unterstützt und fördert die russische Führung und deren radiologische, chemische und biologische Abwehrtruppe den verbotenen Einsatz aktiv. Es sei sehr wahrscheinlich, dass dies weiterhin eine Bedrohung darstelle. Darüber hinaus investiere Russland stark in sein Chemiewaffenprogramm. Die Forschungen auf dem Gebiet würden ausgeweitet, neue Wissenschaftler rekrutiert.
Der ukrainische Verteidigungsminister erklärte nach diesen Angaben, dass Russland in seinem Angriffskrieg bereits über 9.000 Mal chemische Wirkmittel gegen ukrainische Truppen eingesetzt habe. Laut der Ukraine könnten mindestens drei Todesfälle direkt auf die Wirkung der chemischen Waffen zurückgeführt werden.
Indirekt führt der Einsatz chemischer Waffen durch Russland zu wesentlich mehr Opfern, da chemische Waffen ukrainische Soldaten zwingen, ihre Deckung zu verlassen, woraufhin sie mit herkömmlicher Munition beschossen und getötet werden.
Ukrainischer Generalstab äußert sich zu Kampfstoffen
In einer Informationsveranstaltung für 35 Militärattachés in Kiew Ende Mai wurde laut einer Mitteilung des ukrainischen Generalstabs neben dem Einsatz von Tränengas erwähnt, dass die russische Armee bisher noch keine tödlichen chemischen Kampfstoffe eingesetzt habe. Zudem wurde demnach in der Unterweisung gesagt, dass die von Russland verwendeten Mittel zwar formell keine Chemiewaffen seien, der Einsatz im Krieg aber dennoch gegen die Genfer Konventionen verstoße.
Im Juni hatte die Ukraine die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) darüber informiert, dass man von Februar 2023 bis Juni 2025 gut 9.700 Fälle dokumentiert habe, in denen russische Truppen Munition mit gefährlichen chemischen Kampfstoffen als Kriegsmittel eingesetzt hätten.