CO2-Neutralität: Etappen und Zielmarken

Beim Unternehmerforum Oberes Murrtal berichten zwei Vertreter, die schon lange mit dem Thema befasst sind: Rainer Braulik von den Murrhardter Stadtwerken aus Sicht eines Energielieferanten und Andreas Winkle, der in seiner Firma früh auf Einsparung und Eigenproduktion gesetzt hat.

CO2-Neutralität: Etappen und Zielmarken

Die Stadtwerke Murrhardt sind früh in die Nahwärmeversorgung eingestiegen, bei der ein hoher Anteil über regenerative Energieträger abgedeckt wird. In zehn Jahren möchte Geschäftsführer Rainer Braulik in der Hinsicht die 100 Prozent erreicht haben. Foto: J. Fiedler

Von Christine Schick

Murrhardt. Das Unternehmerforum Oberes Murrtal (Ufom) hat unter dem Stichwort „Lernreise – Fit for the future“ ein neues Format geschaffen, bei dem sich Mitglieder und Gäste gezielt anhand einzelner Betriebe im Sinne von Pionierarbeit beziehungsweise Vorzeigebeispielen einem Problemfeld nähern und mit ihm auseinandersetzen können. Beim jüngsten Treffen stand das Thema „Auf dem Weg zur CO2-Neutralität“ auf der Agenda – der aktuellen Pandemielage wegen im Online-Format. Ufom-Vorsitzender Stefan Grotzke erinnerte daran, dass noch die Vorgängerregierung die Zielmarke, bis 2045 CO2-Neutralität zu erreichen, auf den Weg gebracht hat. Was ihn auch als Unternehmer umtreibe, sei die Frage, wie Klimaschutz und Wirtschaft Hand in Hand gehen können, denn ohne eine florierende Wirtschaft sei dieses Ziel wohl kaum zu erreichen.

Den Anfang in der Vortrags- und Gesprächsrunde machte Rainer Braulik, Geschäftsführer der Murrhardter Stadtwerke. Die 100-prozentige städtische Tochter mit einem 25-köpfigen Team ist für eine breite Aufgabenpalette zuständig. Am Abend stand dabei vor allem der Part als Energielieferant im Fokus. „Der Gaspreis ist gewaltig gestiegen, um das Drei- bis Vierfache“, sagte Rainer Braulik. Er gehe davon aus, dass die Preise auf einem hohen Niveau bleiben und man insofern auch um eine Erhöhung der Entgelte für die Kunden nicht herumkomme. Eine längerfristige Beschaffung sei für kleinere Betriebe wie die Stadtwerke keine Option (gewesen) – angesichts der begrenzten finanziellen Ressourcen und damit verbundenen Risiken beispielsweise bei wegbrechenden Kunden. Die Preisentwicklung erklärte er mit einem gestiegenen Bedarf und einer höheren Abnahme von Gas in Asien, das dort vor allem in der Klimatisierung eingesetzt werde. Die Folge: eine Verknappung und Verteuerung auf dem Weltmarkt.

Aber auch fossiles Erdgas muss ersetzt werden – bis 2050, so die aktuelle Vorgabe. Braulik machte klar, dass die Aufgabe, neben Strom, den Verkehr sowie Wärmebedarf auf eine Produktion aus erneuerbaren Energien umzustellen, eine gewaltige ist. Was die Umstellung bei der Wärmeversorgung auf eine CO2-neutrale Produktion anbelangt, legt der Stadtwerkegeschäftsführer eine strukturelle Überlegung zugrunde: Wer in weniger dicht besiedelten Gebieten wie Teilorten und Weilern lebt, hat eher die Möglichkeit, auf Technologie wie Solarthermie oder Wärmepumpen zu setzen, die Platz brauchen. In eng bebauten Bereichen wie der Murrhardter Innenstadt sieht Braulik die Nahwärmeproduktion über Heizwerkstandorte der Stadtwerke als die realistischste Lösung an. Dabei spielen Holzhackschnitzel als erneuerbare Energieträger eine wichtige Rolle.

Die Stadtwerke sind früh in diesen Bereich eingestiegen. Mittlerweile sind es fünf Heizwerke, bei denen ein relativ hoher Anteil über regenerative Energieträger abgedeckt wird: Standort in der Murrhardter Fritz-Schweizer-Straße sowie Nägelestraße 58 Prozent, Fornsbach 71 Prozent, Murrhardter Weststadt 77 Prozent und Nordstadt 68 Prozent. „In zehn Jahren wollen wir bei 100 Prozent sein“, sagte Rainer Braulik. Die Aufbauarbeit sei immer mit der Problematik der mangelnden Wirtschaftlichkeit einhergegangen, doch jetzt, wo CO2-Neutralität Thema ist und die Produktion mit Erneuerbaren einen Wert erhalte, wende sich das Blatt. „Die Nachfrage ist mittlerweile eine ganz andere.“ In Bezug auf den Energieträger Holz betonte der Geschäftsführer, dass man keinesfalls wertvolles Schnittholz, sondern nur die Reste verwende. Trotz des Klimawandels geht er davon aus, dass weiterhin genug Holz zur Verfügung steht und im Verhältnis ausreichend nachwachse. Mit Blick auf die Zukunft werde dann auch das Erdgasnetz in der Innenstadt zurückgebaut, „da darf es keine Konkurrenz zum Nahwärmenetz geben“. Gegen eine größere Einbindung von Biogasanlagen spricht für Braulik, dass das Gas vergleichsweise aufwendig aufbereitet werden müsse, ging er auf eine der fachspezifischen Fragen aus der Runde ein. „Der Anteil von rund 60 bis 80 Prozent an erneuerbaren Energien bei den Heizwerken ist sehr gut“, zeigte sich Stefan Grotzke beeindruckt. Sorge mache ihm allerdings insgesamt die notwendige Geschwindigkeit der Umsetzung.

Als zweiter Referent stellte Andreas Winkle seine Erfahrungen aus dem eigenen Betrieb vor. Die Firma Stempel Winkle, 1954 von seinem Vater gegründet, stellt Druckvorlagen her, über die ganz verschiedene Materialien mit Text, Grafiken und Bildern bis hin zur dreidimensionalen Ausformung versehen werden können. Das Unternehmen verfügt über eine Fläche von 1600 Quadratmetern. Die Motivation, sich in puncto Energieeinsparung und Eigenproduktion Gedanken zu machen, entstand aus dem Wunsch heraus, längerfristig Kosten einzusparen und unabhängiger von Versorgern zu werden. Nach und nach setzte Andreas Winkle an ganz verschiedenen Stellen im Unternehmen an. Angefangen vom Anschluss an das Nahwärmeheizwerk in der Murrhardter Weststadt vor rund zehn Jahren kamen später sechs Wärmepumpen hinzu, die kühlen und Wärme erzeugen können und mit Ökostrom betrieben werden. Außerdem investierte Winkle in eine größere Fotovoltaikanlage mit einer Leistung von 100 Kilowatt Peak. Auch beim Energielieferanten wechselte er zu Ökostrom. Nächste Schritte waren die Umstellung auf LED-Beleuchtung im kompletten Unternehmen, der Austausch von Heizungspumpen, automatisierte Abschaltung von Kompressoren außerhalb der Betriebszeit sowie Umstellungen in technischen Verfahrensabläufen, um Energie einzusparen. „Bei Paketdiensten achten wir auf einen CO2-neutralen Versand“, sagte er. Die Bilanz: Gestartet ist Andreas Winkle 2012 mit einem Verbrauch von 122000 Kilowattstunden, 2020 lag der bei 37700 Kilowattstunden, sprich 30 Prozent des ursprünglichen Werts. Der Unternehmer will die Hände aber nicht in den Schoß legen. Für ein frisch angeschafftes Hybridfahrzeug soll eine Stromladesäule installiert werden und ein Zukunftsprojekt ist die Ausstattung mit Speicherelementen, um entweder diese oder das Fahrzeug mit selbst produziertem Strom zu speisen.

„Mit einem Mix aus ganz unterschiedlichen Maßnahmen rund 70 Prozent des ursprünglichen Energiebedarfs einzusparen, ist beachtlich“, sagte Stefan Grotzke und resümierte, dass dies eine gute Motivation sei, mehr zu tun. Nach einem kurzen Ausblick auf die kommenden Aktivitäten – Kniggekurs für Auszubildende sowie die für Mai geplante Messe in Murrhardt – schloss der Vorsitzende das Online-Treffen.

Ufom hat 60 Mitglieder

Ziele und Anliegen Das Unternehmerforum Oberes Murrtal hat zurzeit rund 60 aktive Mitglieder. Im Mittelpunkt der Arbeit steht, die Interessen dieser zu bündeln und sich untereinander sowie mit weiteren Partnern und Institutionen wie beispielsweise Schulen und politischen Vertretern auszutauschen und den Wirtschaftsstandort Oberes Murrtal zu stärken, fasste Stefan Grotzke zusammen.

Ufom im Netz Weitere Infos unter anderem zu Aktivitäten und Projekten sowie Ansprechpartner finden sich im Internet unter der Adresse www.ufom.info.