Das Gemüse gedeiht, der Zulauf wächst

Zum Auftakt des Semesterschwerpunkts „Ernährung“ der Volkshochschule Murrhardt informiert Betriebsleiter Florian Keimer über das Konzept und die Praxis der Solidarischen Landwirtschaft der Demeter-Gärtnerei Großhöchberg.

Das Gemüse gedeiht, der Zulauf wächst

Bei Florian Keimer laufen die Fäden der Solidarischen Landwirtschaft zusammen. Er ist Betriebsleiter der Gärtnerei, die über eine Gemeinschaft von Mitgliedern und ihre Beiträge getragen wird. Zurzeit sind es rund zehn Mitarbeiter im Betrieb sowie 120 Mitglieder. Fotos: privat

Von Elisabeth Klaper

MURRHARDT. Die konventionelle, zunehmend industrialisierte Landwirtschaft steckt in der Krise: Einerseits soll sie gesunde Lebensmittel möglichst umwelt- und tierfreundlich erzeugen, andererseits erwarten die Verbraucher möglichst niedrige Preise. Das könne nicht funktionieren, stellt Gemüsegärtner und Betriebsleiter Florian Keimer klar. Sein Vortrag über das Konzept und die Praxis der Solidarischen Landwirtschaft der Demeter-Gärtnerei Großhöchberg bildet den Auftakt zum Semesterschwerpunkt „Ernährung“ der Volkshochschule Murrhardt.

Trotz Corona lockt er so viele Zuhörer ins Zimmertheater des Grabenschulhauses, dass alle dort zugelassenen Plätze belegt sind. Zunächst verdeutlicht der Referent die Ursachen der Problematik. Wegen des hohen Risikos durch ungünstiges Klima und Dumpingpreisen für landwirtschaftliche Produkte, die den Lebensmittelhandel beherrschende Konzerne diktieren, hören immer mehr kleinbäuerliche, lebensmittelverarbeitende und Gastronomiebetriebe auf, so Keimer. Hinzu kommt die Bequemlichkeit vieler Verbraucher, die lieber im Discounter oder Supermarkt statt auf dem Wochenmarkt oder im Hofladen einkaufen. Ebenso die zu geringe Wertschätzung von Lebensmitteln und das mangelnde Bewusstsein der Verbrauchermacht. Überdies die politische Unterstützung durch die Europäische Union und Bundesregierung für agrarindustrielle Großbetriebe, die gesundheits-, umwelt-, und klimaschädliche Dünge- und Pflanzenschutzmittel einsetzen, und tierquälerische Massentierhaltung und -schlachtung. Die Folgen seien verheerend: „Pro Minute werden 23 Hektar Ackerland unbrauchbar, unsere Kulturlandschaft und die Artenvielfalt gehen verloren, ebenso das landwirtschaftliche Praxiswissen“, kritisiert Florian Keimer.

Doch es gebe eine Alternative: die Solidarische Landwirtschaft, kurz Solawi, die in den 1960er-Jahren in Japan entstand. Der Betriebsleiter trägt als Einzelunternehmer die alleinige Verantwortung und erläutert, wie sie konkret im Alltag funktioniert: „Eine Gruppe von Mitgliedern schließt sich mit dem landwirtschaftlichen Betrieb zu einer solidarischen Gemeinschaft zusammen. Dazu schließt jedes Mitglied einen Vertrag mit dem Betrieb ab. Mit ihren Monatsbeiträgen decken die Mitglieder die Kosten des Betriebs und erhalten dafür ganzjährig dessen Ernte.“

In Deutschland entwickelte sich die Solidarische Landwirtschaft seit den 1980er-Jahren: 1986 gründete sich die erste Initiative, 2018 gab es bereits rund 200 Betriebe, weitere 100 befanden sich in der Gründungsphase. Für Florian Keimer, der vor 24 Jahren als Landwirtschaftspraktikant in den Spiegelberger Teilort Großhöchberg kam und sich „in das Dorf verliebte“, ist die Solawi „meine Lebensaufgabe und Berufung“. Nach der Ausbildung in einem Demeter-Betrieb und dem Meisterabschluss als Gärtner im Fachbereich Gemüseanbau übernahm er 2012 den Betrieb in Großhöchberg auf dem mit 530 Metern höchsten Punkt oberhalb des Dorfs.

2015 startete die Solidarische Landwirtschaft der Gärtnerei, die nach den strengen Vorgaben der biodynamischen Demeter-Landwirtschaft betrieben wird und rund fünf Hektar Fläche teils intensiv nutzt. Dazu kooperiert der Betrieb mit einem benachbarten Biobauernhof mit artgerechter Tierhaltung. Das Team umfasst rund zehn Mitarbeiter, inklusive Auszubildende und Saisonarbeitskräfte, wobei noch ein Geselle oder Meister fehle. In fünf Foliengewächshäusern zu je 400 Quadratmetern „wächst immer etwas“ fast das ganze Jahr über: Dort gedeihen 70 unterschiedliche Kulturen von Ackersalat bis Zwiebeln, darunter auch Sorten aus (sub-)tropischen Gefilden wie Auberginen oder Ingwer.

Die Coronapandemie und der Lockdown hätten sich nicht negativ ausgewirkt, im Gegenteil: Die Situation habe viele Familien dazu gebracht, selbst zu kochen und über gesunde Ernährung und regionale, saisonale Lebensmittel nachzudenken. Folglich habe sich die Mitgliederzahl von 70 in 2019 fast verdoppelt auf aktuell 120. Laut Florian Keimer reicht ein Hektar, also 10000 Quadratmeter Gemüseanbaufläche, für etwa 80 Personen. Die gesamten Kosten für die Bewirtschaftung, sprich Saatgut oder Pflanzen, Dünger, Maschinen und Arbeitskräfte, betragen pro Jahr etwa 86400 Euro. Daraus ergibt sich ein Monatsbeitrag von etwa 90 Euro pro Person.

Der Richtpreis dafür wird mittels eines Bieterverfahrens ermittelt, wobei es auch eine finanzielle Solidarität zwischen den Mitgliedern gibt: Wer gut verdient, legt was drauf, andere zahlen weniger, entsprechend ihren finanziellen Möglichkeiten. Zusätzlich werden Teile der Ernte auf Wochenmärkten verkauft sowie im Murrhardter Reformhaus Heubach. Für Mitglieder und Kunden gibt’s auch selbst hergestellte verarbeitete Produkte wie eine Würzpaste, Sauerkraut oder Tomatensoße. Die Verteilung der Ernte läuft nach einem ausgeklügelten Plan ab: Montags informiert der Betriebsleiter die Mitglieder per E-Mail mit einer Tabelle über das aktuelle Angebot. Bis Dienstag entscheiden diese, welche Gemüsesorten und wie viel sie davon jeweils abnehmen, und melden dies an Keimer zurück. Mittwochs und donnerstags werden die bestellten Sorten und Mengen geerntet und freitags ausgeliefert. Dafür gibt es Verteilräume in Großhöchberg und einigen anderen Orten der Region von Schorndorf bis Wackershofen, auch in Murrhardt. Dort holen sich die Mitglieder anhand ihrer Bestelllisten ihr Gemüse aus den bereitgestellten Kisten. In manchen Verteilräumen wie in Großhöchberg können sie sich auch selbst Apfelsaft aus speziellen Fässern in Flaschen abfüllen. Die Mitglieder können beim Jahrestreffen im Februar bei der Betriebsplanung mitbestimmen und freiwillig im Betrieb mithelfen, zum Beispiel bei der Ernte, die mit bodenschonenden Schmalspurschleppern, Geräten und viel Handarbeit erfolgt.

Zurzeit bezieht die Gärtnerei teils noch Saatgut und Jungpflanzen aus darauf spezialisierten Biobetrieben. Zukunftsziel ist aber ein so weit wie möglich geschlossener, krisenfester Wirtschaftskreislauf mit selbst gewonnenem Saatgut aus samenfesten Sorten, und ein großes Zukunftsprojekt ist ein eigener Teich zur Wasserversorgung, blickt Florian Keimer nach vorn.

Weitere Infos zur Initiative Solidarische Landwirtschaft finden sich auf der Homepage www.grosshoechberg.de.

Das Gemüse gedeiht, der Zulauf wächst

Die Mitglieder können die frischen Lebensmittel in verschiedenen Verteilräumen abholen.