Die Deutsche Bahn will die defizitäre ICE-Sparte mit drastischen Einschnitten zu Lasten der Reisenden sanieren. Das trifft auch den Südwesten.
Sind am Ende die Kundinnen und Kunden die Leidtragenden der Bahn-Kürzungen? Hier in Stuttgart
Von Thomas Wüpper
Es ist eine gute Nachricht für Reisende: Ein neuer ICE-Sprinter der Deutschen Bahn AG soll Berlin und Stuttgart schon bald in der Rekordzeit von nur noch 4:45 Stunden verbinden. Die Kehrseite: In der Branche wird befürchtet, dass der verlustreiche Staatskonzern seine defizitäre Fernzug-Sparte mit drastischen Einschnitten zu Lasten der Reisenden sanieren will. Noch höhere Preise, ausgedünnte Fahrpläne in der Fläche, eine kleinere Zugflotte als geplant, Sparkurs auch beim Personal. So lauten die Maßnahmen, die nicht nur Fahrgastverbände und Gewerkschaften alarmieren.
Bald drastisch höhere Fahrpreise?
„Die Fahrpreise im DB-Fernverkehr könnten schon sehr bald um mindestens zehn Prozent steigen“, warnt Martin Burkert, Vorsitzender der EVG und Vizechef des DB-Aufsichtsrats. Allein wegen der explodierenden Trassenpreise müsse die DB Fernverkehr AG in diesem Jahr rund 95 Millionen Euro höhere Kosten verkraften. „Nun herrscht ziemliche Panik“, heißt es in Branchenkreisen. Denn bei weiteren Defiziten und nötigen Verlustausgleichen drohen dem Staatskonzern und dem Bund peinliche EU-Verfahren wegen wettbewerbswidriger Beihilfen.
Harte Sanierungsauflagen stehen in Aussicht
Am Ende könnten wie bei DB Cargo harte Sanierungsauflagen stehen bis hin zur Aufgabe oder Abgabe von Geschäftsfeldern. Verkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) und der künftige DB-Chef brauchen also rasch bessere Konzepte als bisher. Die Ausdünnung von Fahrplänen sei dabei jedoch der falsche Weg und kontraproduktiv, warnt Felix Berschin. Der erfahrene Verkehrsberater aus Heidelberg, der schon wichtige Studien zum Bahnverkehr erstellte, hat für unsere Redaktion die internen DB-Unterlagen ausgewertet, die auf 183 Seiten den Fahrplan 2026 beschreiben und bereits den Fachmedien Eisenbahnmagazin und Drehscheibe zugespielt wurden.
Im Touristikverkehr sei demnach ein „Kahlschlag“ von der DB geplant, kritisiert Berschin. Der Rotstift soll auch den Südwesten treffen. So soll der Railjet Frankfurt–Stuttgart–Lindau–Arlberg gestrichen werden, damit würde es auf Südbahn Richtung Bodensee nur noch eine durchgehende tägliche Verbindung geben. Und das, obwohl mehr internationale Züge die Basis für die Wirtschaftlichkeit des Ausbaus waren, wie Experten betonen.
Tübingen und Göppingen werden abgehängt
Zudem werde Tübingen komplett vom Fernverkehr abgehängt, weil der IC über Stuttgart hinaus eingestellt wird. Auch die Direktverbindung Stuttgart–Norddeich, wichtig für den Fährverkehr zu den Nordsee-Inseln, falle dem Rotstift zum Opfer, sagt Berschin. Göppingen verliere mit der Umstellung des IC Allgäu ebenfalls seinen letzten Fernzug. Heilbronn, Schwäbisch Hall und Backnang sollen weiter ohne Anschluss ans ICE-Netz bleiben. Zahlreiche bisherige Direktverbindungen von Frankfurt über Stuttgart nach Österreich würden zudem künftig in München unterbrochen. Die ICE-Linie 20 wiederum verliere in Basel alle Anschlüsse. „In Summe fahren deutlich weniger Züge in die Schweiz durch“, bilanziert Berschin. Überdies fallen frühmorgens Pendlerzüge weg, so Basel–Mannheim, Frankfurt–Heidelberg–Stuttgart und Stuttgart–München. Wegen Homeoffice und Deutschlandticket schwindet die Nachfrage.
Die DB könnte verstärkt auf lukrative Geschäftskunden setzen
Nach seiner Analyse wird der Staatskonzern verstärkt auf lukrative Rennstrecken und Geschäftskunden setzen – und dafür bundesweit das Flächennetz ausdünnen und Züge verlagern. Dabei habe auch der frühere DB-Vize Ronald Pofalla einst getönt, dass man künftig Städte wie Trier, Heilbronn, Mönchengladbach oder Chemnitz ans Fernzugnetz anschließen werde, sagt Berschin: „Alles nur Schall und Rauch, stattdessen fallen nun sogar sicher geglaubte Städte wie Gießen, Jena oder Lübeck weg.“
Berschin verortet die zentralen Problemen im verlustreichen DB Fernverkehr beim Missmanagement: massive Fahrzeugstörungen, falsche Personal- und Betriebsplanung wie getaktete ICE-Linien über zu lange Strecken, die oft verspätet sind. Auch die neue Sprinterverbindung Berlin–Stuttgart sieht der Experte durchaus kritisch. Für schnelle Direktzüge zahlten Geschäftskunden zwar höhere Preise, doch beim DB-Konzern fehle dafür eine integrierte Gesamtplanung, die mit dem Deutschland-Takt harmoniere. Als Folge werde mit bevorrechtigten Sprintern der Fahrplan von Regionalzügen „zerschossen“. Zudem sollten Hauptbahnhöfe wie Frankfurt, Köln, München und Hamburg besser entlastet werden, anstatt dort noch mehr Züge zu planen.
Minister Hermann: Bundesländer zahlen nicht die Zeche
„Der Bund ist nach Grundgesetz für das Allgemeinwohl im Fernverkehr verantwortlich“, betont auf Anfrage der Bahnexperte der Grünen, Matthias Gastel. Wenn die bundeseigene DB nicht wirtschaftliche Angebote einstellen wolle, sei es Aufgabe von Verkehrsminister Schnieder, einzuschreiten und den Erhalt zu sichern, zum Beispiel über die Senkung der Trassenpreise. Auch eine Ausschreibung nach dem Vorbild des Nahverkehrs könne letztlich sinnvoll sein. Falls der Bund dabei Angebote im Fernverkehr mitfinanziere, müssten diese Züge aber für das Deutschlandticket freigegeben werden.
Auch von Bundesländern kommt Protest: „Wenn sich die Deutsche Bahn auf gut ausgelastete und einträgliche Rennstrecken beschränkt und weniger nachgefragte Verbindungen streicht, wälzt sie Kosten auf die Länder ab“, sagte Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann unserer Redaktion. Denn die Angebotslücken müssten dann mit schnellen Nahverkehrszügen geschlossen werden, für die Länder ihre ohnehin schon zu knappen Regionalisierungsmittel einsetzen müssen. Man erwarte daher, dass der Bund „die Verschiebungen vom Fernverkehr zum Nahverkehr in seinem staatseigenen Unternehmen unterbindet oder den Ländern dafür Mittel zur Verfügung stellt“. Es gehe nicht, dass die Länder „die finanzielle Sanierung der Deutschen Bahn bezahlen“.
DB dementiert Ausdünnung der Fahrpläne
Die DB bestreitet auf Nachfrage, dass der Fahrplan 2026 ausgedünnt wird. „Das Gegenteil ist richtig: Trotz des hohen Bauvolumens im kommenden Fahrplanjahr halten wir die Angebotsmenge auf sehr hohem Niveau konstant, an vielen Stellen weiten wir nachfrageorientiert aus“, erklärt ein Sprecher. Es gebe aber wie in den Vorjahren „baubedingte, aber auch saisonale und nachfragebedingte Anpassungen“. Der Fahrplan sei „immer auch ein dynamisches Konstrukt“, alle Informationen würden Ende September veröffentlicht.
Tief in der Krise
DebakelInterne Papiere für den scheidenden Bahnchef Richard Lutz, die unserer Redaktion vorliegen, zeigen das wahre Ausmaß des ökonomischen Debakels. Angesichts enormer Zins- und Tilgungslasten sowie hoher Abschreibungen für die modernisierte Zugflotte drohen bei der DB Fernverkehr AG dauerhaft tiefrote Zahlen. 2024 schrumpfte die Fahrgastzahl auf 133 Millionen, der Umsatz stagnierte bei 6,1 Milliarden Euro und unterm Strich stand ein Minus von 427 Millionen Euro, fast so viel wie im Jahr zuvor.
ZielDas Ziel, bis 2030 doppelt so viele Reisende zu befördern und rasch rentabel zu werden, ist weit entfernt. Auch für dieses Jahr erwartet Fernverkehrschef Michael Peterson unterm Strich weitere Verluste. wüp