Deutschland investiert Milliarden in sein Gesundheitswesen, doch die Ergebnisse bleiben hinter denen vieler europäischer Nachbarn zurück. Warum ist das so? Eine Analyse der Gesundheitspolitik beleuchtet systematische Schwächen und macht Reformvorschläge.
Medikamente liegen im Lager einer Leipziger Apotheke.
Von Markus Brauer
Die Ausgaben der Krankenkassen in Deutschland steigen ungebrochen weiter. Im ersten Halbjahr gaben die rund 90 gesetzlichen Krankenkassen 166,1 Milliarden Euro für ihre Leistungen aus. Das ist ein Plus von 7,95 Prozent gegenüber dem gleichen Vorjahreszeitraum, wie aus neuen Kennzahlen ihres GKV-Spitzenverbands hervorgeht. An diesem Freitag (5. September) will Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) über die Finanzentwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) im ersten Halbjahr informieren.
Auffällig ist der auf 2,8 Milliarden Euro gestiegene Überschuss der Krankenkassen. Nach Rekorddefiziten im Jahr 2024 war bis Ende März bereits ein Überschuss von 1,8 Milliarden Euro entstanden.
"Aber das sollte niemanden beruhigen", sagt der Vorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, Oliver Blatt. "Die Ausgabendynamik ist im ersten Halbjahr ungebrochen." Der Überschuss sei dringend notwendig, um die gesetzliche Mindestreserve der Kassen wieder aufzufüllen. In den vergangenen Jahren hatte es einen Rücklagen-Abbau gegeben. "So kann es nicht weitergehen, solche Steigerungsraten hält kein Gesundheitssystem der Welt auf Dauer aus", warnt Blatt.
Anstieg größer als 2024
Überblick: Milliarden für Gesundheit
Strukturelles Problem in der öffentlichen Gesundheitsversorgung
Deutschland gehört zu den wirtschaftsstärksten Nationen der Welt. Das Sozialsystem ist gut ausgebaut, die Gesundheitsausgaben pro Kopf sind nach den USA und Kanada die dritthöchsten innerhalb der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Trotzdem bleiben die Gesundheitsindikatoren des Landes hinter denen vergleichbarer europäischer Staaten zurück. Die Menschen sind kränker und sterben früher. Wie kann das sein?
Eine in der Fachzeitschrift „Lancet Public Health“ erschienene gesundheitspolitische Übersichtsarbeit unter der Leitung von Hajo Zeeb vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie (BIPS) in Bremen kommt zu einem ernüchternden Ergebnis: Deutschland hat demnach ein strukturelles Problem in der öffentlichen Gesundheitsversorgung. Statt Krankheiten zu verhindern, konzentriert sich das System zu sehr auf deren Behandlung – und das mit zum Teil ineffizienten Strukturen.
„Ein System, das Krankheiten verwaltet, statt sie zu verhindern“
Die Wissenschaftler sehen drei Hauptprobleme:
„Die Folge ist ein Gesundheitssystem, das zwar enorm teuer ist, aber zu wenig für die langfristige Gesundheit der Bevölkerung tut“, schreibt Zeeb.
Nachteile föderaler Strukturen
Neben einigen Vorteilen wie dem Spielraum für eigene Schwerpunktsetzungen haben die föderalen Strukturen in der öffentlichen Gesundheitsversorgung auch Nachteile. Zu oft werden Gesundheitsdaten unkoordiniert erhoben und sind nicht ausreichend miteinander verbindbar. Ein Problem, das sich nach Ansicht der Wissenschaftler während der Covid-19-Pandemie besonders deutlich zeigte.
„Während andere Länder klare Strategien für Public Health entwickelt haben, fehlt eine solche in Deutschland“, erklärt Ansgar Gerhardus von der Universität Bremen.
Lösungsvorschläge: Mehr Mut zu Public Health
Die Autoren der Arbeit schlagen vier zentrale Reformen vor:
„Deutschland muss umdenken“
Die Wissenschaftler betonen, dass der Status quo nicht nur ein Problem für die Gesundheit der Bevölkerung ist, sondern auch für die wirtschaftliche Zukunft des Landes. Die Kosten für das Gesundheitssystem steigen seit Jahren, während die Krankenkassen immer wieder Beitragserhöhungen ankündigen müssen.
„Deutschland kann sich sein aktuelles System auf Dauer nicht leisten – weder gesundheitspolitisch noch wirtschaftlich“, betont Zeeb. „Wir brauchen eine Neuausrichtung hin zu mehr Prävention, wenn wir nicht weiter in der Kostenspirale gefangen bleiben wollen.“
Deutschland habe die Mittel, um ein gesünderes und effizienteres System aufzubauen, doch es fehle bislang der politische Wille, die notwendigen Reformen anzugehen, resümieren die Experten (mit dpaa/AFP-Agenturmaterial).