Winfried Kretschmann bei Markus Lanz

“Die Krise macht was mit meiner Region“

Der Ministerpräsident von Baden-Württemberg geht im ZDF-Talk von Markus Lanz auf die Probleme der Autoindustrie ein und nennt ihre Ursachen: China war schneller und Deutschland nicht mutig genug bei der E-Mobilität.

“Die Krise macht was mit meiner Region“

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann bezieht bei Markus Lanz Stellung zu aktuellen Themen (Archivfoto).

Von Christoph Link

Wenn Winfried Kretschmann (Grüne), der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, bei Markus Lanz im Studio ist, dann wandelt sich der sonst so kritische und für seine Kreuzverhöre berüchtigte Moderator in den still zuhörenden Adlatus: „Spannend, was Sie da sagen“, „sehe ich genauso“ oder „mit 76 Jahren brennen Sie an beiden Enden noch lichterloh!“ – so ging das am Mittwochabend im ZDF über 60 Minuten hinweg. Kretschmann und Lanz, die beiden mögen sich und können miteinander.

Es ging um die Krise der deutschen Autoindustrie - wie im Brennglas steht da Baden-Württemberg im Fokus. „Das ist das Rückgrat unserer Wirtschaft“, bemerkte Kretschmann, an der Autoindustrie hänge auch der Maschinenbau und Unternehmen wie Bosch, die selbst gar keine Autos bauten, es seien kleine und mittlere Unternehmen als Zulieferer von der Autoindustrie abhängig. „Wir waren stolz darauf, die besten Autos der Welt zu produzieren. Das macht was mit meiner Region, wenn man merkt, es kriselt und die gehen in die Knie.“

Eine Kampagne war schädlich

Ein Gewinneinbruch bei Mercedes-Benz um 43 Prozent – das habe ihn „mehr bewegt“ als das SPD-Votum für die Koalition bemerkte Kretschmann auf eine entsprechende Frage von Lanz. Pläne für einen Stellenabbau in den nächsten Jahren bei Porsche um 4000, bei ZF in Friedrichshafen um 14.000, bei Bosch um 12.000 und bei Mercedes um 10.000 sprechen eine deutliche Sprache. In wenigen Jahren sei der starke Absatzmarkt in China, wohin zeitweise 25 Prozent der Autos aus Baden-Württemberg gingen, zusammen gebrochen, analysierte Kretschmann. „Diese Zeiten kommen auch nicht wieder.“

In der Ursachenanalyse nannte der Ministerpräsident ein Bündel von Gründen. So hätten Europa und seine Unternehmen die Notwendigkeit der Entwicklung leistungsfähiger Batterien „nicht rechtzeitig gesehen“, die immerhin 40 Prozent der Wertschöpfung eines E-Autos ausmachten. Und dass Porsche nun befristet aus der Entwicklung einer Hochleistungsbatterie aussteigt, passt da ins Bild. Schädlich hat sich nach Ansicht von Kretschmann die von einigen Parteien in Deutschland unter dem Siegel „Technologieoffenheit“ gefahrene Kampagne für ein Festhalten am Verbrennungsmotor ausgewirkt. „Da kam eine Botschaft, die der Akzeptanz der E-Mobilität sehr geschadet hat.“

Empörung wegen Grundsteuer

Wenn man einen Weg als richtig erkannt habe, dann müsse man ihn auch „mutig“ gehen, man müsse das „think big“ auch durchziehen. Das gelte nicht nur für die E-Mobilität, sondern auch für die Energiewende und den Abschied von der Atomkraft, die jetzt schon wieder angezweifelt werde. Nach Lösungen für die Autoindustrie gefragt und ob nicht die Rüstungsindustrie nun als Arbeitsplatz für ihren Job verlierende Autobauer in Frage käme, antwortete Kretschmann eher knapp, jedenfalls nicht allein im Sinne der Waffenproduzenten. „Wir müssen andere Standbeine stärken. Früher sagte man, wir seien die Exportnation, heute sagt man, wir sind exportabhängig.“ Ein feiner Unterschied.

Kretschmann sieht vor allem in der Gesundheitswirtschaft in Baden-Württemberg ein „starkes Standbein“ und hat deshalb einen Strategiedialog mit ihr entwickelt. Die Chancen der Genomanalyse, der KI in der Medizin, Innovationen in der Medizintechnik und die „personalisierte Medizin“ seien bei Pharmafirmen und Forschungsinstituten in Baden-Württemberg sehr stark – eine Zukunftshoffnung. Hoffnung setzt Kretschmann auch auf die neue Regierung, deren Koalitionsvertrag er – wäre er Sozialdemokrat – auch zugestimmt hätte, wobei Koalitionsverträge seiner Ansicht nach oft „überschätzt“ werden. „Was wäre denn die Alternative für die Zustimmung?“ fragte der Ministerpräsident.

Der Staat als Supermarkt

Als eine der wichtigsten Punkte der Vorhaben von Schwarz-Rot sei für ihn der Bürokratieabbau, von dem er sich einen Schub für die Wirtschaft erwartet. Man habe in Baden-Württemberg mit der „Genehmigungsfiktion“ in einer novellierten Landesbauordnung schon ein Instrument für schnellere Baugenehmigungen geschaffen: Was nach drei Monaten nicht entschieden ist, gilt als genehmigt. „Mal sehen“, so der Ministerpräsident, was da jetzt für neue Fragen auftauchten bei Aspekten wie Sicherheit, Einzelfallgerechtigkeit und Haftung.

Allgemein sieht Kretschmann im Einklang mit einem zustimmend nickenden Lanz einen wachsenden Anspruch der Bürger gegenüber dem Staat, auf den er als einen „Supermarkt“ blicke, aus dem man sich bedienen könne. Bezeichnend für Kretschmann ist die hohe Zahl der Widersprüche gegen die neuen Grundsteuerbescheide, die nach einer Reform aufgrund eines Karlsruher Urteils notwendig geworden war. Sei ja logisch, dass da jetzt viele mehr zahlen müssten, meinte Kretschmann. Sein Hinweis aber, dass diese Betroffenen eigentlich jahrelang zu wenig Grundsteuer gezahlt hätten sei „empört und beleidigt“ aufgenommen worden und fülle die Leserbriefspalten der Zeitungen.

„Wollen Sie Ostern streichen?“

Kretschmann würde sich einen Aushandlungsprozess zur Frage wünschen, was vom Staat eigentlich zu erwarten sei, ob er „jedes Lebensrisiko“ abdecken müsse und inwieweit die Eigenverantwortung des Bürgers zum Tragen kommen müsse. „Solche Aushandlungsprozesse sind nicht lustig“, meinte der Grünen-Politiker, was Lanz mit der Bemerkung „dabei gucken Sie so lustig“ kommentierte. Gerade in der Krise ist nach Ansicht von Kretschmann eine Mehrarbeit der Bürger notwendig.

Auf die Abschaffung eines Feiertages – „Sie wissen, ich bin praktizierender Katholik. Wollen Sie etwa Ostern streichen?“ - wollte sich Kretschmann aber nicht einlassen. Man müsse jetzt auf Zölle reagieren und die Tatsache, dass andere Nationen billiger auch gute Produkte produzierten. „In so einer Situation müssen wir doch ranklotzen und mehr arbeiten“, meinte Kretschmann, der nach eigenem Bekunden bis zu zwölf Stunden am Tag arbeitet.

Mehrarbeit halte er für akzeptabel für alle, die gesund seien, keine Kinder aufziehen müssten oder Angehörige pflegen müssten. Zur Forderung der Gewerkschaft Verdi nach drei freien Tagen zusätzlich falle ihm „nichts mehr“ ein. Der Begriff der „Work-life-Balance“ sei doch merkwürdig, meinte er, der verschleiere doch, dass „Arbeit“ auch sinnstiftend sein kann. Mehrfach verlangte Kretschmann einen „Mentalitätswandel“ der Gesellschaft, es müsse „ein Ruck durch die Nation“ gehen. Das gilt nicht nur bei der Jahresarbeitszeit – die in Deutschland in Vollzeit mit 1343 Stunden einen Niedrigstwert hat – sondern auch bei der Lebensarbeitszeit. Die Arbeit müsse der steigenden Lebenserwartung angepasst werden.

Ein Volk von Dachdeckern

Auch die Frühverrentung mit 63 Jahren ist Kretschmanns Meinung nach „zu weiten Teilen nicht gerechtfertigt“. „Es wird in der Debatte oft so getan, als ob wir ein Volk von Dachdeckern sind.“ Tatsache aber sei, dass zwei Drittel der früher in Rente Gehenden gar keine schwere körperliche Arbeit geleistet habe. „Die Leute sind nicht verschafft – wie wir im Schwäbischen sagen. Das stimmt oft nicht.“ Kretschmanns Argumente sind mehrfach vom zweiten Studiogast, der Wirtschaftsjournalistin Sonja Alvarez, bestätigt worden. Sie wies daraufhin, dass es in Deutschland einen im internationalen Vergleich einen „üppigen Urlaubsanspruch“ von im Schnitt 30 Tagen gebe, hinzu kämen noch 15 Tage an Ausfallzeiten wegen Erkrankung.

Ein kritisches Wort von Alvarez gegenüber den Grünen, wonach die Öko-Partei für die ausufernden Berichtspflichten von Unternehmen verantwortlich seien, ist von Kretschmann sofort widersprochen worden. „Das waren wir nicht.“ Das sei die EU-Kommission gewesen. Der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck habe im übrigen mit seinen zügigen Genehmigungen für die LNG-Terminals gut gearbeitet – „und dabei alles über Bord geworfen, was wir als Grüne immer gepredigt haben.“