Die Natur weiß ihre Chancen zu nutzen

Die Natur weiß ihre Chancen zu nutzen

Eine Gelbbauchunke – der Nachwuchs hat es gern feucht und warm. Fotos: J. Brucklacher

Von Petra Neumann

Murrhardt. Die Natur um uns ist komplett vernetzt. Arten gehen Symbiosen miteinander ein, bekriegen sich, tauschen sich aus, und das auf vielen Ebenen, von groß bis sehr klein. Ein unaufmerksamer Spaziergänger bemerkt vieles nicht und versäumt so manches Wundersame, das ihm im Freien widerfahren könnte. Förster Jörg Brucklacher, der im Gasthof Engel im Rahmen des VHS-Schwerpunkts „Wald“ sein Projekt aus dem Jahr 2020 vorstellte, zeigte anhand vieler Fotos und Forschungsergebnissen, was sich unter Rinden, Laub und auf Bäumen versteckt und beim näheren Betrachten eine Geschichte zu erzählen weiß.

Das Projekt „Lebensspuren im Wald – Entdeckungen in einem Försterjahr“ zeigte sich viel aufwendiger als gedacht. Über 5000 Fotos mussten gesichtet, Flora und Fauna bestimmt werden und so manche Stunde verbrachte der Förster in Internetforen, um die vielen Fragen, die sich ihm auftaten, beantworten zu können. „Mittlerweile ist die Honigbiene so etwas wie ein Sympathieträger, aber sie ist bei Weitem nicht das einzige Wesen, das unter dem Raubbau an der Natur leidet, da gibt es viele, viele mehr, und es wäre unsinnig, nur die fleißige Honiglieferantin beschützen zu wollen“, erklärte Jörg Brucklacher. „Das Leben brodelt und gedeiht unter unseren Füßen, aber niemand nimmt diese Vielfalt wahr. Was wir jedoch nicht kennen, können wir nicht wertschätzen und lieben lernen.“ Der Förster empfindet jede ausgestorbene Art als unwiederbringlichen Verlust, denn eine jede ist ein wertvolles Kunstwerk der Natur und hat ihren wichtigen Platz innerhalb der Evolution. So gibt es Insekten, deren blaue Flügel wie mit gesponnenem Gold überzogen sind und äußerst vornehm aussehen. Alle Tiere hinterlassen auf ihre Weise Indizien, die man mit erhöhter Aufmerksamkeit entdecken und so viel Interessantes erfahren kann. Im Winter, wenn Schnee liegt, ist die Spurensuche recht einfach. Rehe, Marder, Hasen, Füchse und immer häufiger Waschbären verraten, wo sie sich aufgehalten haben.

Andere Hinweise sind viel versteckter und schwerer zu deuten. Angenagte Fichtenzapfen können auf Eichhörnchen verweisen, wobei es sehr merkwürdig ist, dass diese auf dem Boden gefuttert werden, während die Nager Tannenzapfen wiederum direkt am Zweig verzehren. Lässt man seinen Blick in die Baumwipfel schweifen, sind bei etwas Glück die Kobel zu entdecken, die mit zwei Ein- und Ausgängen und in luftiger Höhe zwischen dünnen Ästen gebaut werden, damit der Erzfeind, der Baummarder, die Tiere nicht hinterrücks überraschen kann. Eichhörnchen knabbern auch Rinde ab, um daraus einen feinen Rindenbast zum Ausstopfen ihrer Behausungen herzustellen. Die kleinen Rotpelze sind aber nicht die Einzigen, die sich an Nüssen, Eicheln oder Bucheneckern laben.

Auch Spechte und Kleiber gehören zu den Fans aller Nüsse. Allerdings haben sie keine Zähne, um sie zu knacken. Deshalb stecken sie diese Baumfrüchte in Rindenspalten, um sie aufzuhacken. Das sind die sogenannten Spechtschmieden. Doch auch die Mistel macht sich an der Baumrinde zu schaffen. Ihre Samen sind von gallertartigen Beeren umgeben. Wenn sie von einem Vogel verspeist werden, landen sie unverdaut auf Ästen. Das ist dann der Moment für den Samen, sich anzuheften und mit dem Baum zu verwachsen. Obgleich der Mensch meist nicht zum Vorteil der Natur eingreift, sind manche Spuren für die Tiere von Vorteil. Fahrrinnen zum Beispiel sind für die Gelbbauchunken ideal. Sie sind nicht so tief und das darin gesammelte Regenwasser erwärmt sich schnell, sodass die Nachkommenschaft schneller reift.

Im Zuge seines Projekt stieß Jörg Brucklacher auf merkwürdige Spuren an einem Ahornbaum, selbst seine ehemaligen Professoren konnten ihm da nicht weiterhelfen. Seine Vermutung: eine Maus, die Algen auf der Rinde abnagte. Bei dem schwarzfleckigen Gehölz handelt es sich um den Befall durch den Ahornkohlenkrustenpilz. Die Gelbe Lohblüte wiederum gehört zu den Schleimpilzen, die nicht zur Familie der Pilze zählen. Sie bestehen aus einer einzigen Zelle, haben aber mehrere Zellkerne. Untersuchungen haben gezeigt, dass sie wandern können – etwa einen Zentimeter pro Stunde. So haben sie die Möglichkeit, auch Futter zu finden, sich den Weg zu merken und dieses Wissen auch noch an einen Artgenossen weiterzugeben. Dieser Schleimpilz gilt nicht nur bei indigenen Völkern Südamerikas als Delikatesse, sondern schmeckt auch dem Pilzkugelkäfer. Im Wald findet sich kaum Aas, dafür sorgen die Aasfresser, allen voran Wildschwein und Fuchs. Ab und zu machte Jörg Brucklacher aber Schädel von Rehen, Marder oder auch den Lauf eines Kalbes aus. „Immer wieder kommt es vor, dass Weiderinder ausbüxen und dann eine Zeit im Wald überleben können, aber meist nicht sehr lange.“ Diese Geschichten und viele andere wusste Brucklacher einem interessierten Publikum zu erzählen, das sehr auf eine Fortsetzung dieser spannenden Thematik hofft.

Die Natur weiß ihre Chancen zu nutzen

Die Natur weiß ihre Chancen zu nutzen

Nein, hier hat keiner einen Chemietopf ausgeleert. Dies ist eine Gelbe Lohblüte oder Hexenbutter mit erstaunlichen Eigenschaften. Der Schleimpilz kann, wenn auch langsam, wandern.