„Sorry, Baby“ im Kino

Die schlimme Sache, die ein ganzes Leben verändert

„Sorry, Baby“ ist ein MeToo-Film der anderen Art: Für die Regisseurin Eva Victor steht Empathie für das Opfer an oberster Stelle.

Die schlimme Sache, die ein ganzes Leben verändert

Regisseurin und Hauptdarstellerin: Eva Victor in „Sorry Baby“

Von Martin Schwickert

Die Kamera bleibt auf der anderen Straßenseite stehen und blickt auf das Haus, in das Agnes (Eva Victor) eintritt. Die begabte Literaturstudentin ist zu einer Besprechung ihrer Doktorarbeit zu dem Dozenten nach Hause gekommen. Die Dämmerung bricht herein. Es ist dunkle Nacht, als Agnes die Schuhe in der Hand wieder vor die Tür tritt. Aus maximaler Distanz und mit größter Diskretion schaut Eva Victor in ihrem Film „Sorry, Baby“ auf den sexuellen Übergriff, der das Leben ihrer Hauptfigur für immer verändern wird. Die Szene ist prototypisch für die gezielt entdramatisierte Herangehensweise, in der Tat und Täter keinen narrativen Raum bekommen, dafür aber der Empathie für die Betroffene umso mehr Platz eingeräumt wird.

Ein Moment großer Zärtlichkeit in „Sorry, Baby“

Als Agnes nach Hause kommt, wird sie von ihrer besten Freundin Lydie (Naomi Ackie) empfangen. In zögernden, bruchstückhaften Worten, die sich zum Grauen nicht vortasten wollen, erzählt sie ihrer Mitbewohnerin von dem, was sie später nur noch mit „the bad thing“ – die schlimme Sache – bezeichnen wird. Es ist eine Szene, in der die verstörende Kraft einer solchen Gewalterfahrung emotional greifbar wird und gleichzeitig ein Moment großer Zärtlichkeit, weil Lydie ihrer Freundin mit bedingungslosem Mitgefühl und Trost zur Seite steht.

Anders als der Gynäkologe, der am anderen Tag die körperlichen Spuren dokumentieren soll und das Wort Vergewaltigung so schonungslos verwendet wie ein Buchhalter den Begriff Umsatzsteuer. Von den Institutionen hat Agnes ohnehin wenig zu erwarten, und darum geht es in „Sorry, Baby“ auch nicht. Vielmehr widmet sich der Film dem langsamen, von vielen Rückschlägen gezeichneten Prozess allmählicher Genesung.

Sprühender Sarkasmus hilft gegen die Schmerzen

Obwohl ihre Karriere als junge Professorin an eben jener Universität voran geht, scheint das private Leben zu stagnieren. Auch Jahre nach dem Vorfall lebt sie noch in dem abgelegenen Haus, das sie während des Studiums mit Lydie bewohnt hat. Aber es gibt Lebenshilfen. Der sprühende Sarkasmus ermöglicht es Agnes so manchen Schmerz ins Humorvolle zu wenden. Vor allem aber sind es Mitmenschen, die das Leben wieder erträglich und lebenswert machen. Der schüchterne Nachbar (Lucas Hedges), mit dem Agnes eine vorsichtige Affäre beginnt. Der Besitzer eines Sandwich-Ladens (John Carrol Lynch), der ihr durch eine Panikattacke hilft. Und Lydie, die nach New York zieht, ein Baby bekommt, aber ihr als beste Freundin stets mit ganzem Herzen zur Seite steht.

Auf Augenhöhe mit der Betroffenen

So ist Eva Victor mit „Sorry, Baby“ ein ganz anderer MeToo-Film gelungen, der die Folgen sexueller Gewalt auf Augenhöhe zur Betroffenen verhandelt und gleichzeitig auf ebenso sensible wie humorvolle Weise vom Über- und Weiterleben erzählt. Die Regisseurin und Drehbuchautorin, deren Film auf dem Sundance Filmfestival gefeiert wurde, überzeugt auch als Hauptdarstellerin mit einer nuancierten Performance, die ihre Figur von Opfer-Stigmatisierungen befreit.

Sorry, Baby: USA 2025. Regie: Eva Victor. Mit Eva Victor, Naomie Ackie, Lucas Hedges.103 Minuten. Ab zwölf Jahren.