Um mehr Abschiebungen nach Afghanistan zu ermöglichen, hat die Bundesregierung zwei diplomatische Vertreter des Taliban-Regimes einreisen lassen.
Das afghanische Generalkonsulat in Bonn
Von Rainer Pörtner
Der Liebfrauenweg im Bonner Stadtteil Ückesdorf liegt in einem beschaulichen Wohnquartier. Am ersten Dienstag im November aber wurde die gewohnte Ruhe gestört. Vor dem zweistöckigen, rot verklinkerten Gebäude mit der Hausnummer 1A versammelten sich mehr als vierzig Menschen, um gleichzeitig gegen die Regierung in Berlin und die Taliban-Machthaber im fernen Kabul zu protestieren.
Einige Frauen afghanischer Herkunft hielten ein rund drei Meter langes Transparent vor sich. „Die deutsche Regierung darf mit den Taliban keine Deals über uns machen“, war darauf zu lesen. Andere Demo-Teilnehmer hielten Poster mit den Abbildungen geschundener Frauen hoch – direkt vor dem afghanischen Generalkonsulat.
Die Demonstranten wollten verhindern, dass ein Vertreter der radikalislamischen Taliban in der Bonner Vertretung das Kommando übernimmt – also der Repräsentant eines menschenverachtenden, terroristischen und frauenfeindlichen Regimes, vor dem viele Afghanen nach Deutschland geflohen sind.
Dobrindt lässt „zwei afghanische Beamte“ ins Land
Der Protest blieb erfolglos. Inzwischen hat Said Mustafa Hashimi, frisch entsandt aus Kabul, im Liebfrauenweg 1A das Kommando übernommen. Neben Hashimi reiste auch Nibras-ul-Haq Aziz ein, er wurde nach Informationen der ARD aus Katar in die afghanische Botschaft in Berlin versetzt. Die Taliban sind in Deutschland angekommen.
Im Oktober hatte Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) bestätigt, dass er „zwei afghanische Beamte“ nach Deutschland einreisen lassen wolle. Obwohl die Bundesregierung das Regime in Kabul nicht offiziell anerkennt, hat sie doch ein starkes Interesse an funktionsfähigen afghanischen Vertretungen.
Sie stellen unter anderem amtliche Papiere aus – darunter Personalausweise und Pässe. Wenn die Regierung in Berlin ihre Absicht, verstärkt Menschen nach Afghanistan abzuschieben, verwirklichen will, braucht sie dafür konsularischen Kontakt und technische Hilfe durch die Kabuler Machthaber.
Position des Generalkonsuls offiziell nicht neu besetzt
Was aber genau machen die Taliban-Vertreter in Deutschland? Das Auswärtige Amt versucht zu beruhigen: Die Position des Generalkonsuls in Bonn sei nicht besetzt, und außerdem stehe das Generalkonsulat unter der Aufsicht der Botschaft in Berlin. Die werde weiterhin durch Menschen geleitet, die in der Vor-Taliban-Zeit entsandt wurden.
Formal ist das richtig. Die Einschätzung unter afghanischen Flüchtlingen lautet aber, dass sich inzwischen alle drei afghanischen Vertretungen dem Diktat der Taliban und deren Außenminister Amir Khan Muttaqi unterworfen hätten. Hashimi habe in Bonn eindeutig das Sagen.
Das war vor wenigen Wochen noch anders. Da leitete Hamid Nangialay Kabiri die Bonner Vertretung, ein Gesandter der alten afghanischen Regierung, die 2021 von den Taliban gewaltsam von der Macht vertrieben wurde. Aus Protest gegen die Annäherung von Kabul und Berlin hat Kabiri Ende September mit seiner Bonner Belegschaft die Arbeit niedergelegt, das Konsulatsgebäude versiegelt und den Hausschlüssel ans Auswärtige Amt in Berlin geschickt. Inzwischen soll der Ex-Diplomat politisches Asyl in Deutschland beantragt haben.
Das Konsulat am Rhein ist von besonderer Bedeutung. „Bonn ist der Daten-Knotenpunkt für ganz Europa, Kanada und Australien“, sagte Kabiri der Süddeutschen Zeitung. Auf den Servern im Konsulat lägen die Daten aller Botschaften und Konsulate in diesen Ländern. Passanträge, Geburtsurkunden, Adressen Zehntausender Afghanen – all das würde nun den Taliban die Hände fallen.
Zugang zu sensiblen Daten
Unter den Geflüchteten löst das große Besorgnis aus, die Taliban könnten ihnen nun auch in Deutschland das Leben erschweren – oder sie sogar gefährden. Die Taliban hätten nun direkten Zugang „zu sensiblen Daten der afghanischen Menschen in Deutschland“, sagt Zohra Soori-Nurzad dem WDR. Dies berge für die Betroffenen „eine große Gefahr“. Sie befürchten, dass durch Konsularbeamte „Dinge so gedreht werden, dass sie wieder abgeschoben werden und sie vielleicht in Afghanistan ihr Leben verlieren“.
Soori-Nurzad kam selbst vor dreißig Jahren aus Afghanistan nach Deutschland und gründete die Hilfsorganisation „Stitching for School and Life“ (SSL). Sie hat auch den deutschen Pass, ihr afghanischer ist schon vor einiger Zeit abgelaufen. Eine Neuausstellung will sie nicht beantragen. „Ich werde es mir doppelt überlegen, ob ich in ein solches Konsulat noch einmal hineingehe.“