Dornröschens Schwiegermutter als Kannibalin

VHS-Schwerpunkt „Frankreich“: Märchenerzählerin Petra Weller stellt Geschichten aus der Sammlung von Charles Perrault vor

Dornröschens Schwiegermutter als Kannibalin

Die Zeit vergeht wie im Flug, wenn Petra Weller (Mitte) ihre Märchen auspackt und erzählt. Foto: T. Sellmaier

Von Petra Neumann



MURRHARDT. Im Rahmen des Volkshochschulschwerpunktthemas „Frankreich“ standen im Grabenschulhaus Märchen aus der Sammlung von Charles Perrault (1628 bis 1703) auf dem Programm, der nicht nur Beamter, sondern auch Schriftsteller war. Märchenerzählerin Petra Weller stellte zwei seiner Geschichten vor, die in anderer Version von den Brüdern Grimm nacherzählt wurden, und eine weitere, die hierzulande nicht bekannt ist.

Wer kennt es nicht, das schöne Dornröschen, das von einer bösen Fee verzaubert wird und eigentlich sterben soll. Im Original heißt es „La Belle au bois dormant“. Der Anfang müsste den meisten aus ihrer Kindheit noch in Erinnerung sein: Dornröschen wird mithilfe einer guten Fee vor dem Tod gerettet, doch muss 100 Jahre schlafen. Der schöne Prinz erweckt sie aus diesem rätselhaften Zustand und mit ihr das ganze Schlosspersonal. Aber was geschieht dann? „Bis hier kennen Sie das Märchen, nicht wahr?“, fragte Petra Weller mit einem Augenzwinkern und fuhr fort: Beide heiraten noch am Tage ihres Kennenlernens, aber der frischgebackene Ehemann wagt es nicht, seinen Eltern von seinem Glück zu erzählen. Der Grund ist einfach: Seine Mutter gehört zum Geschlecht der Menschenfresser. Alsbald werden zwei Kinder geboren, ein Junge und ein Mädchen. Nach zwei Jahren Geheimnistuerei stirbt der Vater und der frisch gekrönte König bekennt sich offen zu seiner Familie – sehr zum Missfallen der Königswitwe. Als ihr Sohn in den Krieg ziehen muss, ersinnt sie eine List und lockt die Schwiegertochter und Enkel in eine Falle, um sie zu verspeisen. Allein dem Mitleid des Hofküchenmeisters ist es zu verdanken, dass alle drei mit dem Leben davonkommen. Allerdings entdeckt die Kannibalin den Betrug und will nun alle töten. Als just in diesem Moment der König auftaucht, stürzt sie sich vor Wut in den Tod.

Auch Rotkäppchen – „Le petit chaperon rouge“ – wurde von einem der Übersetzer, nämlich Moritz Hartmann (1821 bis 1872), mit Blick auf den moralischen Dreh für die damalige Zeit umgewandelt. Rotkäppchen wird zwar samt ihrer Großmutter von Meister Isegrim verschlungen, aber das war’s auch schon – er hatte es halt zum Fressen lieb. Die Version, dass alle von einem Jäger als Heilsbringer gerettet werden, ist eine nette Zutat nach der 1848er-Revolution. Der Hintergrund: Damals wurde das letzte adlige Privileg – nämlich die Jagd – gekippt und der Waidmann zu einem Jäger von Gottes Gnaden stilisiert.

Das dritte Märchen „Riquet à la houppe“ (Prinz Riquet mit dem Schopfe) ist in Deutschland nicht geläufig. „Vielleicht, weil es einfach zu französisch ist“, sinnierte die Märchenerzählerin. Prinz Riquet wird als außergewöhnlich hässliches Baby geboren, aber von den Feen mit äußerster Klugheit gesegnet. Ihm wird geweissagt, dass er das Liebste, was ihm je begegnet, mit seiner Intelligenz versehen könnte. Nicht weit vom Königreich seiner Eltern werden zwei Prinzessinnen geboren. Die ältere ist außergewöhnlich schön, aber dumm, und die jüngere hässlich und klug. Je älter sie werden, desto mehr kristallisieren sich ihre positiven und negativen Eigenschaften heraus. Dabei sticht die Geistreichere mit ihrem Witz hervor. Traurig geht die Schöne in den Wald und begegnet Riquet, der sich alsbald in sie verliebt, sie mit seiner Klugheit begabt und ihr ein Jahr Bedenkzeit schenkt. Der ganze Hof wundert sich, wie gewitzt und weise die Schönheit geworden ist, doch das Jahr ist allzu schnell verflogen. Als sie Riquet wieder im Wald begegnet, wo alles für die Hochzeit bereitet wird, ziert sie sich anfänglich noch, den garstigen Galan zu ehelichen, doch Riquet verwandelt sich in ihren Augen zu dem prächtigsten Mann, den sie je gesehen hat. Was mit der jüngeren Schwester geschah, wird allerdings verschwiegen.

Wie im Flug verging die Zeit – dank der ausgezeichneten Erzählkunst von Petra Weller. Sie selbst sei zu dieser Berufung durch einen Wochenendkurs gekommen und seitdem ließen sie die Märchen nicht mehr los. Gekonnt verlieh sie den bekannten Erzählungen eine Dynamik und Dramatik, sodass die altbekannten und unbekannten Märchen erneut fesselten und begeisterten.