Ein Ersatzrezept als Erfolgsmodell

In Krisenzeiten haben sich die Menschen immer schon erfinderisch gezeigt. Vorhänge verwandelten sich in Kleidungsstücke, Steckrüben in ganze Mahlzeiten. Der Unternehmer Robert Frank hat mit seinem Caro-Kaffee ein Produkt geschaffen, das ihm seinen Wohlstand sicherte.

Ein Ersatzrezept als Erfolgsmodell

Die Villa Franck ist vom Murrhardter Marktplatz aus gut zu sehen. Archivfoto: J. Fiedler

Von Karin de la Roi-Frey

Murrhardt. Eine Tasse Kaffee-Ersatz und 20 Gramm Brot gab es im Juni 1946 für die Erwachsenen im Murrhardter Flüchtlingslager zum Frühstück. Es war, wie auch schon im und nach dem Ersten Weltkrieg, die Zeit der Surrogate, der Ersatzstoffe in fast allen Lebensbereichen. Aus den Einzelteilen eines aufgetrennten Zuckersacks entstand ein Schal, Uniformen wurden zu Kinderkleidung, Pferdedecken zu Wintermänteln und Vorhänge zu Röcken für Mädchen.

Steckrüben wurden zu Marmelade, Schnitzel oder Gemüse

Nach dem Ersten Weltkrieg gab es rund 11000 Ersatzstoffe und Ersatzlebensmittel im Deutschen Reich. So entstand aus Brennnesseln Baumwollersatz, aus Klärschlamm wurde dunkelbraunes Fett gewonnen, das zu Stearin zum Beispiel zur Kerzenherstellung verwendet werden konnte. Als Ersatz für eine Mahlzeit diente die eigentlich für das Vieh vorgesehene Steckrübe: „Man aß sie als Marmelade zum Frühstück“, heißt es in Erinnerungen, „als Schnitzel zu Mittag und als Gemüse abends.“ Als „Steckrübenwinter“ hat sich diese Zeit tief ins kollektive Gedächtnis eingeprägt. Frauen, die sich auskannten und noch über altes Wissen verfügten, bereiteten Tee aus Brombeerblättern, nahmen die in Essig, Salzwasser oder Öl eingelegten Knospen der Kapuzinerkresse als Ersatz für Kapern oder stellten die aufgeschnittene Wurzel der Rapontika (Nachtkerze), die an gekochten Schinken erinnert und deshalb auch Schinkenkraut genannt wird, als Salat auf den Tisch.

In diesen Notzeiten gab es Bohnenkaffee nur noch beim Militär oder in Krankenhäusern. Kaffee-Ersatz aus selbst geröstetem Roggen, wahlweise aus Gerste, Eicheln, Kastanien oder versuchsweise auch aus Saubohnen wurde nun aufgebrüht und kam in die Tasse. Auch klein gehackte, getrocknete und geröstete Möhren ergeben einen recht schmackhaften Kaffee-E rsatz. Auf den war man auch während der von Napoleon verhängten Kontinentalsperre (1806) angewiesen, als jeder Handel und Verkehr mit England bei strenger Strafe verboten war. Kaffee gab es kaum mehr. Geschmuggelt machte er so manchen reich.

In den ärmeren Bevölkerungsschichten war Kaffee-Ersatz auch außerhalb dieser Notzeiten üblich. Den dunklen, selbst gerösteten Weizenkaffee trank man auf der Alb, wo ein Lehrer 1902 gegen die „böse Sitte des Kaffeetrinkens“ wetterte.

Wenige Jahre später baute Robert Frank oberhalb Murrhardts seine imposante Villa. „Caro“, „Lindes“ und „Kathreiner“ hießen seine erfolgreichen Produkte. Begonnen hatte alles mit der Wegwarte. Gewaschen, getrocknet, geröstet und gemahlen wurde deren Wurzel, Zichorie genannt, unter Beimischung von beispielsweise Roggen, Eicheln, Kastanien, Löwenzahnwurzeln, Datteln oder Feigen zum Kaffee-Ersatz. Die riesigen Felder voller weißer und blauer Blüten der Wegwarte, die im Remstal auf dem Schmidener Feld bis zum Horizont zu reichen schienen, bezeugten den Erfolg des Ludwigsburger Unternehmens. In Murrhardt baute „Kaffee-Robert“, wie ihn seine Schulkameraden einst genannt hatten, für seine Frau Martha die „Kaffeemühle“ als Sommerresidenz mit Blick in Richtung Hofberg, wo sich die Besitzungen ihrer Familie befanden.

Die künftigen Astronauten gönnten sich noch einen Kaffee in der Sonne-Post

Unten in Murrhardt pflegte man im „Café Graf“, dem ersten Stadtcafé nach dem Ersten Weltkrieg, einzukehren. Im angeschlossenen Kolonialwarengeschäft wurden ursprünglich Kaffee, Kakao und andere Produkte aus den deutschen Kolonien verkauft, die es zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht mehr gab. Und es sollte noch einmal ein halbes Jahrhundert vergehen, bis die Männer von Apollo 14 im legendären Gasthof Sonne-Post ihren Kaffee tranken, bevor sie ihr „Trainingslager“ für die Mondlandung, das Nördlinger Ries, aufsuchten.