Die Gewerkschaften wehren sich gegen die geplanten Reformen der Regierung. Gestritten wird nicht nur über die tiefen Einschnitte bei der Rente.
Belgiens Premierminister Bart de Wever versucht seit Monaten, sein Reformpaket durchzusetzen. Nun haben sich die Gewerkschaften zu einem Generalstreik gegen die Pläne entschlossen, der das Land für drei Tage lahmlegen wird.
Von Knut Krohn
Touristen sollten in diesen Tagen einen großen Bogen um Belgien machen. Zahlreiche Gewerkschaften und verschiedene Organisationen haben zu einem dreitägigen Generalstreik aufgerufen, der das Land von Montag bis Mittwoch lahmlegen wird. Grund sind die von der Regierung angekündigten Reformen, die ein Sparprogramm mit tiefen Einschnitten in vielen Bereichen vorsehen. Gestreikt wird im Nahverkehr, bei der Post, der Polizei, der Müllabfuhr in Schulen und Krankenhäusern und am Mittwoch wird auch der Flugverkehr praktisch eingestellt.
Empörung bei den rauflustigen Eisenbahnern
Den bekannt rauflustigen Eisenbahnern ist selbst der dreitägige Streik zu wenig. Die verschiedenen Vertretungen haben sich zusammengeschlossen und wollen eine Woche die Arbeit ruhen lassen. Der Grund: die dem Parlament vorgelegte Renten- und Bahnreform würde die Beschäftigten besonders hart treffen. Koen De Mey, Präsident der Gewerkschaft CSC Transcom, empört sich etwa darüber, dass die Eisenbahner das Recht verlieren würden, mit 55 Jahren in Rente zu gehen. Eine Regelung, die aber selbst von vielen Belgiern kritisch gesehen wird. Pierre Lejeune, Chef der Gewerkschaft CGSP Cheminots, prangert die Angriffe auf den Status der Eisenbahner an, die praktisch unkündbar sind. Folge sei eine Arbeitsplatzunsicherheit, die in seinen Augen unweigerlich zu Entlassungen führen werde. Pierre Lejeune hofft, dass die Reformpläne der Regierung vom Parlament nicht gebilligt werden und erklärte: „Die beste Option ist jetzt, dass diese Regierung unverzüglich stürzt.“
Premierministers Bart de Wever ist inzwischen zu einer Art Hassfigur für die Gewerkschaften geworden. Angesichts des hoffnungslos überschuldeten Staatshaushalts hat er ein Sparprogramm in Höhe von zehn Milliarden Euro aufgelegt. Kernpunkt seines Reformpaketes sind Eingriffe ins Rentensystem. So sollen Renten und Pensionen gekürzt werden und auch das Eintrittsalter in den Ruhestand soll steigen. Zudem sollen Modelle zur Frühverrentung konsequent abgeschafft werden. Für Empörung sorgt auch der Plan, Arbeitslosen nach zwei Jahren das Arbeitslosengeld zu streichen und nur noch das absolute Minimum an staatlicher Hilfe zukommen zu lassen. Entsetzen bei Menschenrechtsgruppen lösen die Pläne aus, in Belgien das Asylrecht zu verschärfen. So soll etwa die Einkommensgrenze für den Familiennachzug deutlich angehoben werden.
Die Verhandlungen sind im Parlament festgefahren
Im Moment sind die Verhandlungen über die Spar- und Reformpläne im Parlament festgefahren, selbst Rücktrittsdrohungen von Bart de Wever bringen keine Bewegung. Der Premier setzt nun ein Ultimatum bis Weihnachten, bis dann sollen gangbare Wege aus der Krise gefunden werden. Zum Problem für den Regierungschef wird, dass auch die Opposition betont, dass gespart und das System reformiert werden muss. Allerdings lehnt sie die meisten der Änderungen kategorisch ab – ohne allerdings eigene, umsetzbare Gegenvorschläge zu machen. Der generelle Einwand lautet: sozial ungerecht und schädlich für die Wirtschaft. Die Gegner der Regierung beschränken sich im Moment darauf, mit scharfen Angriffen auf die Regierung die Unzufriedenheit zu schüren – offensichtlich mit Erfolg, wie Meinungsumfragen bestätigen. Beunruhigend aber ist, dass nicht nur das Vertrauen der Bürger in die Regierung oder die Parteien sinkt, sondern inzwischen das Funktionieren der Demokratie infrage gestellt wird, was den extremen politischen Gruppen Aufwind beschert.
Der Premierminister ist eine Reizfigur
Die Aufrufe zum Streik fallen vor allem im wallonischen Landesteil Belgiens auf fruchtbaren Boden. Für die Menschen dort ist der aus Flandern stammende rechtskonservative Bart de Wever eine Reizfigur. Als langjähriger Bürgermeister von Antwerpen spottete er einst unaufhörlich über die „Sozialisten im Süden“, die auf Kosten des reichen Nordens leben und notwendige Reformen in Belgien blockieren würden. Als Höhepunkt der Demütigung transportierte er 2005 zwölf LKW-Ladungen (unechter) Banknoten zum gerade gebauten Schiffshebewerk in Strépy-Thieu, um die Finanztransfers zwischen Nord und Süd zu veranschaulichen. Seit Bart de Wever im Februar 2025 zum Premierminister gewählt wurde, betont er allerdings immer wieder Einheit des Landes – und die Notwendigkeit von tiefgreifenden Reformen.