Eine alte Zeitzeugin blickt auf den Umbruch

Für den Murrhardter Stadtwald wird sich mit dem Klimawandel einiges ändern, ein hoffentlich stabilerer Misch- und laubbetonter Wald wird Fichte und Tanne ablösen. Bei einer kleinen Tour erläutert Revierförster Dieter Seitz aktuelle Pflanzungen und würdigt eine außergewöhnlich alte Majestät.

Eine alte Zeitzeugin blickt auf den Umbruch

Ein beeindruckender Baum: Vermutlich ist die Eiche über 600 Jahre alt. Fotos: Christine Schick

Von Christine Schick

Murrhardt. Wenn Revierförster Dieter Seitz auf das Objekt seiner Berufung und seines Berufs blickt, kommen auch schon mal richtig große Zeiträume ins Spiel. Die relativieren einerseits schnelllebige Ideen und Interpretationen des Geschehens, andererseits zeigen sie auch, dass der Mensch bereits seit Langem die Natur mitgestaltet. Nach dem Höhepunkt der letzten Eiszeit vor etwa 20000 Jahren dauerte es lange, bis in der Region zumindest wieder lichtere Wälder entstanden. Mit der Siedlungsgeschichte der Römer vor rund 2000 Jahren wurde der Wald als Rohstofflieferant intensiv genutzt. Dies steigerte sich – um in der Logik der Zeitschritte zu bleiben – weiter, betrachtet man die Periode vor rund 200 Jahren. „Der Wald wurde schon fast geplündert, es gab viele Köhlereien und Glashütten in der Region und die Waldfläche betrug damals nur noch rund 40 Prozent“, erzählt Dieter Seitz. Zum Vergleich: Heute sind es etwa 55,2 Prozent. Vor diesem Hintergrund seien bestimmte Regeln und die Fichte als Baumart eingeführt worden. „Vorher hat man mit der Weißtanne gearbeitet, aber es war klar, dass man etwas für den Wald tun musste.“ Die Aufforstung mit der Fichte hatte den Vorteil, dass sie mit nicht so guten Böden zurechtkam und eine vergleichsweise schnell wachsende Art ist. Und es heißt auch: „Die Fichte ist kein heimischer Baum.“

Je durchmischter der Waldbestand ist, desto besser

Vor rund 20 Jahren kündigten sich mit Stürmen wie Lothar die Vorboten des Klimawandels an, der vor etwas mehr als zwei Jahren an Kontur gewann. Hitze und Trockenheit setzten 2018/2019 den Wäldern massiv zu. Fichte, aber auch Tanne waren betroffen, verdursteten teils regelrecht an den Südhängen. Hinzu kam der Borkenkäfer. „Der Wald ist im Umbruch“, stellt Dieter Seitz fest, der die nördlichen Gebiete auf Murrhardter Gemarkung betreut. Er hat schon früh angefangen, auf einen durchmischten, vielfältigen Bestand zu setzen. Eine Praxis, die sich nun im Zuge der Folgen des Klimawandels immer mehr durchsetzt. Allerdings heißt das auch, wieder gestaltend einzugreifen, „den Waldumbruch zu befördern und ausgewählte Bäume zu pflanzen“. Auf eine Naturverjüngung zu setzen (aus den Samen der Bäume wachsen in unmittelbarer Nähe neue Exemplare), würde bedeuten, die Wanderung klimarobusterer Baumarten abwarten zu müssen, und die dauert (zu) lang. Solch ein Kandidat ist die Eiche, die ökologisch als besonders wertvoll einzuschätzen ist, und so hat das Waldarbeiterteam von Dieter Seitz dieses Frühjahr neben Douglasien auch eine ganze Reihe von Stiel- und Roteichen gepflanzt. Nun setzen sie die letzte Jungpflanze an einer Stelle ein, an der auch in den Vorjahren aufgeforstet wurde, sodass sich nach und nach genug Mutterbäume etablieren, die später die Naturverjüngung übernehmen sollen.

René Stresow und Volker Schempp machen sich daran, auf einer lichteren Fläche am Linderst ein kleines Loch auszuheben und die Stieleiche einzupflanzen. Sie ist zertifiziert, eigene Züchtungen sind nicht möglich. Die junge Kandidatin wird mit einer Wuchshülle umkleidet, die sie vor Rehen schützt, aber auch vor Frost und Austrocknung, da die Feuchtigkeit kondensiert und ein Stück weit erhalten bleibt. In vielleicht zwei Jahren schaut sie oben raus, so die Einschätzung der beiden Waldarbeiter. Dieter Seitz erläutert, dass man auf den Wassermangel reagieren muss, beispielsweise indem in weiteren Abständen gepflanzt wird, sodass sich die Wurzeln auf größerer Fläche ausbilden können und mit ihnen eine bessere Versorgung und stärkere Stabilität entstehen. Wenn die Bäume anders als in einem eng bepflanzten Gebiet gedrungener wachsen, besteht auch der Vorteil, dass das Wasser nicht mehr so weit nach oben transportiert werden muss. Aber der Wunschtraum, dass die Bäume noch so richtig alt werden, sei ausgeträumt. Neben den veränderten Klimabedingungen kommt dabei noch der Bedarf an der Ressource Holz zum Tragen, der aktuell stark wächst.

Um eine Idee von der möglichen Lebensdauer eines Baumes zu bekommen, geht es nochmals tiefer in den Linderst, vorbei an Douglasien, die bereits um die 120 Jahre alt sein dürften und schon ziemlich beeindrucken. Schließlich macht Dieter Seitz eine echte Majestät aus: eine Eiche, von der er schätzt, dass sie bereits den 600. Geburtstag überschritten hat. „Da bekomme ich schon Ehrfurcht, wenn ich vor so einem Baum stehe“, sagt er. Nach einer groben Regel wächst die Eiche 300 Jahre, weitere 300 Jahre steht sie und 300 Jahre vergeht sie, erzählt er. „Es gibt bestimmte Moose und Flechten oder auch Käfer, die den Baum erst besiedeln, wenn er an die 300 Jahre alt ist“, sagt Seitz. Die Eiche ist mit Blick auf die Vielfalt etwas ganz Besonderes, bietet sie doch für die enorm viele Tierarten und auch Pflanzen einen eigenen heimischen Kosmos sowie Nahrung. Ein paar Beispiele wären das Reh, der Eichelhäher, die Fledermaus oder der Totholzkäfer, hinzu kommen unzählige Insekten- sowie Pilzarten. Dieter Seitz blickt bereits auf 37 Jahre als Revierförster in Murrhardt zurück, was sich im Schatten der Majestät als äußerst kurze Periode ansehen ließe. Der 62-Jährige schätzt es, dass er über so viele Jahre die Waldentwicklung beobachten und begleiten konnte und es weiter tun kann.

Bei den Südhängen hat der Laub- den Tannenwald abgelöst

Die Veränderung wird für ihn mittlerweile genauso greifbar. Die Zeit der dunklen Tannenwälder an den Südhängen ist vorbei, die haben sich entnadelt, wie er sagt, und auch sonst wird der Wald der Zukunft in der Region sehr viel laubholzbetonter sein. Mit dem Klimawandel geht einher, dass die Holzernte im Winter in der Regel nicht mehr bei Frost erfolgt und durch die Maschinen an Wegen und Schneisen im Wald sichtbarer wird. „Unsere Arbeit wird teils auch kritisch beäugt“, sagt Dieter Seitz. Das bringt Erklärungsarbeit mit sich und kann das eine oder andere Konfliktgespräch bedeuten. Aber auch vor diesem Hintergrund sagt der 62-Jährige: „Wenn ich mich noch mal für einen Beruf entscheiden müsste, ich würde es sofort wieder machen.“

Eine alte Zeitzeugin blickt auf den Umbruch

Der Kontrast könnte kaum größer sein: Dieter Seitz bei der alten Eiche in den Tiefen des Linderst.

Eine alte Zeitzeugin blickt auf den Umbruch

Volker Schempp und René Stresow (von links) sind gerade dabei, eine ganz junge Stieleiche einzupflanzen.

1600 Bäume gepflanzt

Pflanzung Dieses Frühjahr hat das Waldarbeiterteam 1600 Jungbäume gesetzt, vor allem Stiel- und Roteichen sowie Douglasien. Als weitere Kandidaten im Sinne der Vielfalt und einer größeren Resistenz beim Klimawandel kommen auch Esskastanien, Elsbeere, Spitzahorn und Traubeneiche infrage.

Wald im Wandel Eigentlich wollte Dieter Seitz die Thematik der Veränderung auch bei einem Spaziergang vermitteln, den die Volkshochschule Murrhardt und die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald gemeinsam angeboten haben. Da es an diesem Tag aber in Strömen regnete, soll die Veranstaltung „Der Stadtwald Murrhardt. Vom dunklen Tannenwald zum Klimawald“ im kommenden Jahr nachgeholt werden.