Premiere mit Gauthier Dance

Eine Uraufführung von Akram Khan eröffnet das Colours-Festival

Wo andere Urlaub machen, hat Gauthier Dance gearbeitet: Im Piemont entstand Akram Khans neue Produktion „Turning of Bones“, die das Colours-Festival eröffnet.

Eine Uraufführung von Akram Khan eröffnet das Colours-Festival

Gauthier Dance probt für „Turning of Bones“ in der Orsolina28 Art Foundation im Piemont.

Von Andrea Kachelrieß

Zwei Wochen lang war das Ensemble von Gauthier Dance in Italien, um in der Orsolina28 Art Foundation mit Akram Khan an einer neuen Produktion zu feilen. „Turning of Bones“ heißt sie und soll an diesem Donnerstag das Colours-Festival im Stuttgarter Theaterhaus eröffnen. Wer im Internet nach Orsolina28 sucht, staunt nicht schlecht. Die 2016 von der aus Brasilien stammenden Tänzerin Simony Monteiro in Moncalvo gegründete Stiftung zur Förderung darstellender Künste liegt malerisch in den Weinbergen des Piemont. Vor allem aber bieten einige der Tanzstudios, die dort in ein Landgut aus dem 18. Jahrhundert integriert wurden, neben grandiosen Aussichten beste Arbeitsbedingungen.

„Das ist ein fantastischer Platz, um Tanz zu entwickeln und sich ganz auf den kreativen Prozess zu konzentrieren“, sagt Tuti Cedeño. Die Gauthier-Tänzerin blickt während der Heimfahrt im Kompaniebus auf ihren Aufenthalt zurück. „Wir waren mitten in der Natur in Zweierzelten untergebracht“, sagt die Tänzerin aus Panama. „Sehr toll“, fasst sie die Zeit in Moncalvo zusammen.

Zwei junge Tänzer kommen groß heraus

Beeindruckt hat die 26-Jährige, die erst seit dieser Saison bei Gauthier Dance ist, auch die Arbeit mit Akram Khan. Der britische Choreograf hat sie zur Protagonistin seines für Gauthier Dance entwickelten Stücks gemacht – an der Seite von Stefano Gallelli, der von den Juniors zur Hauptkompanie kam. „Es ist unglaublich, wie Akram Khan die Energie hochhält, Emotionen in Bewegung übersetzt und die Ausgestaltung der Rollen sehr persönlich macht“, sagt Tuti Cedeño. Ja, der Druck der großen Verantwortung sei da. „Aber ich spüre auch ein großes Vertrauen in mein Können“, entgegnet sie.

Mit Stefano Gallelli geleitet sie als eine Art Romeo und Julia, deren Liebe äußere und innere Zwänge gefährden, durchs Stück. „Ich soll ein Opfer bringen und muss eine Entscheidung zwischen Herz und Pflicht treffen, aus der viele Fragen und sehr viel Traurigkeit folgen“, gibt Tuti Cedeño Einblick in die Erzählung, die „Turning of Bones“ rahmt.

Aus Alt mach Neu

Entwickelt hat Akram Khan die neue Produktion aus bestehenden Stücken. Stefano Gallelli zählt sie auf: Es gebe Elemente aus „Vertical Road“, aus dem zum 100. Geburtstag von Strawinskys „Sacre“ entstandenen „iTMOi“, aus „Junglebook reimagined“, aus „Mud of Sorrow“. „Alles wurde dekonstruiert und fühlt sich neu an“, sagt der Kanadier, der kopfüber auch das berühmte Solo aus „Desh“ tanzt und mit Tuti Cedeño 70 Minuten lang auf der Bühne präsent ist.

Neue Körperwahrnehmung

Eine tragische Story verbindet die Szenen und erzählt von zwei Liebenden, die mit dem Thema Opfer und Geopfert-Werden konfrontiert sind. „Es ist ein intensives, sehr körperliches und emotionales Stück“, sagt der 24-Jährige und findet die Tatsache, dass er darin eine Hauptrolle tanzt, nach wie vor „etwas surreal“. „Neu und herausfordernd ist für mich das Geschichtenerzählen, das eine andere Art der Körperwahrnehmung braucht“, sagt Stefano Gallelli und beschreibt beispielhaft eine Szene, in der seine Figur im furchterregenden Blick der anderen den eigenen Tod erkennt.

Junge, aber trotzdem starke Persönlichkeiten habe Akram Khan für die Protagonisten von „Turning of Bones“ gesucht, berichtet Eric Gauthier und erklärt den Titel des Stücks mit einem Ritual aus Madagaskar, bei dem Hinterbliebene die Überreste der Vorfahren aus den Gräbern holen, um sich neu mit ihnen zu verbinden. „Akram Khan baut mit alten Knochen einen neuen Körper“, erläutert Eric Gauthier und freut sich über die ungewöhnliche Zusammenarbeit. „Die benutzten Stücke wurden bis auf eines bislang nur von seiner eigenen Kompanie getanzt.“

Über drei Jahre, so Eric Gauthier, erstrecke sich eine Kooperation mit Akram Khan. Innerhalb dieser Zeit müsse seine Kompanie insgesamt sechs Monate für die Erarbeitung eines neuen Werks reservieren. „Die Tänzer müssen seinen Stil in ihren Körpern verankern. Es geht nicht nur um Schritte, sondern um eine andere Mentalität “, sagt Eric Gauthier. Und um Kondition. „Turning of Bones“, so Gauthier, sei noch powernder als Shechters „Contemporary Dance 2.0”.

Offene Türen für Gauthier Dance in Moncalvo

Normalerweise gehe diesem Prozess die Einstudierung eines kürzeren Probestücks voraus, erläutert Eric Gauthier. „Wir durften diesen Schritt überspringen“, sagt der Theaterhaus-Tanzchef und freut sich über den international starken Ruf seiner Kompanie, der auch in der Orsolina-Stiftung zum Türöffner wurde. „Simony Monteiro hatte bereits von Gauthier Dance gehört, nächstes Jahr dürfen wir mit Hofesh Shechter für eine Residenz zurückkehren.“

Verwunderlich ist das nicht. Die Ziele der Stiftung, wie sie ihre Gründerin in einem Interview mit dem Magazin „Harpers Bazaar“ formulierte, könnten auch aus dem Mund von Eric Gauthier stammen. „Mit Orsolina28 möchten wir Menschen dazu inspirieren, sich zu bewegen und der Welt zeigen, dass Tanzen inklusiv ist“, wird Simony Monteiro da zitiert. Und weiter: „Niemand sollte sich ausgeschlossen fühlen: Tanzen ist für alle da.“ Dafür steht auch das Colours-Festival, das „Turning of Bones“ eröffnet.

Info – Colours-Geheimtipps für Kurzentschlossene

TerminDas Colours-Festival findet zum fünften Mal im Theaterhaus statt, vom 26. Juni bis zum 13. Juli sind 15 internationale Tanzkompanien zu Gast. Nach coronabedingter dreijähriger Pause sind die Tickets begehrt. Für die Eröffnungspremiere von Gauthier Dance, die am 26. Juni, 20 Uhr, Akram Khans neues Stück „Turning of Bones“ zeigt, gibt es noch wenige Restkarten ebenso wie für die bis zum 29. Juni folgenden Vorstellungen.

TicketsFür Kurzentschlossene bieten sich diese Geheimtipps an: Botis Seva, der Hip-Hop-Star aus London, zeigt am 5. und 6. Juli das düstere Tanzabenteuer „Until We Sleep“. Sidi Larbi Cherkaouis Ensemble Eastman macht am 7. und 8. Juli in „Nomad“ die Wüste zum Sinnbild für die Zukunft des Menschlichen. Die Kompanie von Marie Chouinard erinnert am 9. und 10. Juli mit einem Remix an das Erfolgsstück „BodyRemix“. Michelle Dorrances Tänzer bringen am 11. und 12. Juli in „The Center Will Not Hold“ den Stepptanz auf ein neues Level.