Entführungslogistik und Mofalenkwaffen

Bei seinem Auftritt im Rahmen der Winterkulturtage in Murrhardt ist Kabarettist Günter Grünwald in fremden Ländern genauso wie in heimischen Gefilden unterwegs. Dabei erweist er sich als Staunender mit besonderem Händchen für Übertreibungen bis hin zu skurril-absurden Szenerien.

Entführungslogistik und Mofalenkwaffen

Günter Grünwald sorgt bei den Winterkulturtagen in Murrhardt für ein volles Haus. Knapp 400 Gäste wollen den Meister der Übertreibung live erleben. Foto: Stefan Bossow

Von Christine Schick

Murrhardt. Volles Haus in Murrhardts guter Stube: Günter Grünwald hat der Festhalle knapp 400 Gäste beschert und das mitten in der Woche. Belohnt wird das Publikum mit einem Abend, an dem der bayerische Kabarettist sein Programm „Definitiv vielleicht“ als Mix aus skurrilen Geschichten und zeithistorischen Betrachtungen serviert. Allzu zartbesaitet sollte man dabei nicht sein. Grünwald packt thematisch variantenreich definitiv beherzt zu, hält für sein Publikum dafür aber Übertreibungen bereit, die in ihrer Monstrosität genauso wie sprachlich immer wieder überraschen und in ihrem anarchisch-rotzigen Herangehen einfach unglaublich Freude machen.

Onkel Hans kann es mit den Taliban durchaus aufnehmen

Da sind beispielsweise die Urlaubstrips mit seinem Onkel Hans, der selbst nach Afghanistan mitkommt, wenn es „nix koscht“. Die Warnung aus dem Familienkreis, dass das sofort in einem Kidnapping endet, erweist sich als nicht ganz falsch. „Das mit den Entführungen stimmt, aber sie sind sehr gut organisiert“, spricht Grünwald den Taliban ein Lob aus. Die beiden treffen auf einen Obertaliban, bei dem schnell klar ist: „Mit dem werden wir nicht viel Gaudi haben.“ Mit Hans verfügt Grünwald allerdings über einen Mitstreiter, der eine entsprechend kontrastreiche Biografie mitbringt: Sein Onkel ist als Baby bei der Silvesterfeier in die Erdbeerbowle gefallen, „man hat ihn lang nicht gefunden“, erst als sie leer war. Der Vergleich mit Obelix und seinem Zaubertrank drängt sich natürlich auf. Doch Hans hat dem Alkohol keinesfalls entsagt und der lockert seine Zunge gegenüber den – milde formuliert – nicht geliebten Taliban entsprechend. Schließlich vibriert der Anführer der Truppe „wie ein Trafohäusl“, sodass es ihn innerlich zerreißt und in den Märtyrerselbstmord treibt. Das wirft neue Fragen auf – nach der genauen Herkunft der 72 Jungfrauen als Belohnung. Hans will wissen, ob unter denen vielleicht auch 95-jährige Klosterschwestern sind.

Die beiden nehmen sich zudem Nordkorea vor, das sich dem Tourismus geöffnet hat, „Atomraketen kosten schließlich Geld“. Dort werden Grünwalds Vorstellungen von riesigen Vergnügungsparks, die nicht an Bürokratie und lilavioletten, sich nur alle 40 Jahre paarenden Schwarzbauchunken scheitern, definitiv geerdet. Die Einladung in die größte Achterbahn der Welt („Ich war so beeindruckt, dass ich mich drei- bis viermal in die stabile Seitenlage begeben musste“) mündet in ein recht bodenständiges Probefahrtszenario auf Holzstühlen, nach dem Grünwald trotzdem die Beine zittern. Wenig zimperlich und ziemlich bizarr fallen schließlich seine Exkursionen mit Blick auf die Führungsebene aus. Seinen Hang zum Grotesken lebt der bayerische Kabarettist aber auch in heimischen Gefilden aus. Er nimmt das Publikum zu einem Familientreffen mit, bei dem es Tante Lisbeth und „ihren sabbernden Drecksköter“ kennenlernt. Die Kreuzung aus einer „dänischen Dogge und einem Kieslaster“ hat nicht nur zwei Meter lange Lefzen, sondern verwandelt das Wohnzimmer auch in einen Zustand, „als wären 42 Tapezierer da gewesen“. Zudem ist die Couch, auf der ihn Tante Liesbeth Platz nehmen lässt, so durchweicht, dass sie locker auch eine Moorleiche beherbergen könnte. Auf solche Bilder und Beschreibungen muss man erst mal kommen.

Günter Grünwald ist ein Meister der Übertreibung und des Immer-noch-eins-Draufsetzens und Weitertreibens. Und so findet sich das Publikum im OP-Saal wieder, nachdem Hans die Diagnose zu Liesbeths Magenschmerzen per Gesundheitslexikon selbst gestellt und eine Entfernung der Gallenblase angeordnet hat. Er besteht darauf, beim Eingriff mit dabei zu sein. Dass das Organ eigentlich gesund ist, hindert den Chirurgen, der sich äußerst gut mit Hans versteht, nicht daran, es schließlich zur Sicherheit doch zu entfernen. Auf den Geschmack gekommen, beginnt die Suche nach weiterem nicht Benötigtem und die gute Lisbeth steht beziehungsweise liegt schließlich „völlig entkernt“ da. Dass sie nicht in der Körperweltenausstellung landet, ist dann nur dem beherzten Einschreiten ihres Mannes Hans zu verdanken.

Grünwald denkt aber auch Szenarien weiter, die ein Stück weit näher am Alltag liegen. Wer kennt das nicht: Man hat das Gegenüber nicht richtig verstanden, fragt aber doch nicht nach. Er rät, nicht darauf zu setzen, dass man sich da einhört, sondern sofort dazwischenzugehen. Sonst hat man den Moment einfach verpasst, und muss – wie in seinem Fall – feststellen, dass sich Tante Helga nicht als bayerisches Urgestein mit kernigem Dialekt, sondern als lustige Rumänin entpuppt, die in grauer Vorzeit zufällig beim Umzug in die Wohnung fand.

Von der bilderreichen Verteidigung der eigenen Kochkünste im Sinne eines Sich-ans-Rezept-Haltens („Das Kunstwerk darf nicht verändert werden. Mona Lisa mal ich ja auch nicht einen Schnurrbart, eine Zahnlücke und Brille dazu, schmier im Bild umeinander“) kommt der Kabarettist ganz explizit zum Thema Sprache. Angesichts von Werbesprüchen wie „Mehr gut geht nicht – Bauhaus“, „Saturn – Soo! muss Technik“ oder „Wer günstig will, muss Penny“, dürfe man sich aber bitte gar nicht über Jugendliche beschweren, die feststellen: „Ich muss Bus!“ In dem Ringen um eine gendergerechte Ausdrucksweise scheinen auch mal vergleichsweise leise Zwischentöne auf – inklusive der Feststellung, dass sich Sprache eben immer wieder verändern wird.

Abrechnung mit Regierungen diverser Länder und Kampfbomberführerschein

Dann holt Günter Grünwald noch zu einer Abrechnung mit der Regierungsriege der verschiedensten Länder aus. Das führt ihn emotional zu einem neuen Wunschprojekt, nämlich den Kampfbomberführerschein zu machen. Zwar muss er sich erst mal mit dem fürs Mofa begnügen, das er aber zumindest mit Lenkwaffen ausstatten will. Um die entsprechende Genehmigung zu bekommen, setzt er auf seine Stärke, „Menschen schwindelig zu quatschen“. Doch, diese herausragende Fähigkeit hat er an diesem Abend definitiv unter Beweis gestellt. Günter Grünwald hat einen mit seinen wilden bis haltlosen Szenarien und sprach- und dialektgewaltigen Beschreibungen taumelnd gemacht. Berauscht begibt man sich nach einer Zugabe zu Klassik und dem Starpianisten Lang Lang auch ganz ohne Bierchen in der Pause auf den Nachhauseweg.