Krieg in der Ukraine

Europa streitet über die Ukraine-Hilfe

Die EU-Kommission will das eingefrorene russische Vermögen zur Unterstützung Kiews verwenden. Doch es ist unsicher, ob sich dafür auf dem EU-Gipfel eine Mehrheit findet.

Europa streitet über die Ukraine-Hilfe

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will die eingefrorenen Staatsvermögen stärker für die Ukraine-Hilfe nutzen. Doch dagegen regt sich Widerstand.

Von Knut Krohn

Europa steht vor einer schicksalhaften Entscheidung. Die Staats- und Regierungschefs diskutieren auf dem EU-Gipfel am Donnerstag in Brüssel darüber, ob das eingefrorene russische Staatsvermögen zugunsten der Ukraine genutzt werden soll. Die Frage ist aus mehreren Gründen wichtig:

Die Ukraine am Abgrund

Für die Ukraine geht es ums Überleben. Auf die USA kann Kiew im Kampf gegen Russland nicht mehr zählen, weil US-Präsident Donald Trump kein Geld mehr für das Land ausgeben will. Bleiben die europäischen Verbündeten. Von ihnen braucht die Ukraine ab dem zweiten Quartal nächsten Jahres frisches Geld. Die erforderlichen Mittel über die EU anders zu organisieren als über das russische Staatsvermögen, gilt als unmöglich. Dafür bräuchte es eine einstimmige Entscheidung der 27 EU-Staaten – doch Ungarn, Tschechien und die Slowakei kündigten an, dies nicht mitzutragen.

Das Vermögen der russischen Zentralbank

Europa sucht nun einen anderen Weg, um an Geld für die Ukraine zu kommen. Hier kommen die Vermögenswerte der russischen Zentralbank in der EU ins Spiel. Rund 200 Milliarden Euro wurden nach dem Überfall auf die Ukraine eingefroren. Der größte Teil davon liegt in Belgien bei dem Depotverwalter Euroclear. Formal befindet sich das Geld weiter in russischem Besitz – das ist ein zentraler Punkt. Denn gegen die Beschlagnahmung der Vermögen einer ausländischen Zentralbank gibt es juristische Bedenken, da dies wohl gegen das Völkerrecht verstoßen würde.

Die indirekte Nutzung des Geldes

 Die EU-Staaten beschlossen im Mai 2024, dass zumindest die Zinsen auf das Vermögen zur Unterstützung der Ukraine verwendet werden dürfen. Bis August 2025 wurden so 4,7 Milliarden Euro an die Ukraine weitergegeben. Zudem wurden in Erwartung weiterer Gewinne Kredite in Milliardenhöhe gewährt. Doch angesichts der Dauer des Krieges, des Rückzugs der USA und der klammen Kassen der EU-Staaten hat sich der Wille zu einer kreativere Verwendung des Geldes erhöht.

Ein rechtliches Hintertürchen

 Die EU-Kommission hat einen neuen Vorschlag vorgelegt – ohne das Geld zu beschlagnahmen. Die EU könnte such zunächst rund 90 Milliarden Euro als zinslosen Kredit von Euroclear leihen und als Darlehen an die Ukraine weitergeben. Die müsste die Kredite nur zurückzahlen, wenn sie von Russland Reparationszahlungen erhalten hat – wie im Völkerrecht festgeschrieben. Russland würde in diesem Fall das Geld zurückerhalten. Die EU-Mitgliedstaaten müssten nur dann für das Geld aufkommen, wenn sie die Sanktionen gegen Russland aufheben, ohne dass Moskau Reparationen gezahlt hat.

Grundsätzliche Kritik an dem Vorgehen

 Die Konsequenzen eines solchen beispiellosen Schritten sind schwer absehbar. Zum einen könnten Länder außerhalb der EU diesen Schritt als Enteignung Russlands interpretieren, und ihr Geld deshalb lieber außerhalb der Union anlegen. Dabei geht es um das Vertrauen in den Finanzstandort Europa und den Euro als Reservewährung. Außerdem sind Szenarien denkbar, in denen die EU-Länder am Ende für das Geld aufkommen müssen. So hat etwa die russische Zentralbank in diesen Tagen Euroclear verklagt.

Die große Angst der Belgier

Belgien steht an der Spitze der Gegner des Planes. Die Regierung befürchtet, im Zweifelsfall für die in Brüssel verwalteten Mittel direkt haftbar gemacht zu werden. Auch Vergeltungsmaßnahmen aus Moskau gegen belgische Unternehmen oder Privatleute hält der belgische Premier Bart de Wever für möglich. Er verlangt verbindliche Garantien der anderen Mitgliedstaaten. Euroclear verlangt Zusagen, auch kurzfristig auf die Mittel zugreifen zu können. Doch die anderen EU-Staaten zögern, solche Zusagen zu geben.

Die ungeliebten Alternativen

 Die Gefahr ist groß, dass der Ukraine im Krieg das Geld ausgeht, denn die Hilfe ist nur noch bis Anfang 2026 gedeckt. Zusätzlichen Druck hat der US-Plan zur Beendigung des Ukraine-Krieges verursacht. Die USA schlagen vor, dass ein großer Teil der Gelder an sie geht. Befürworter der Reparationsdarlehen befürchten nun, dass die Europäer die Kontrolle über die russischen Vermögenswerte verlieren könnten. Ein Reparationsdarlehen könnte auch über den Kopf Belgiens Kopf hinweg beschlossen werden, was aber niemand will. Sollte es keine Einigung geben, müsste das Geld anders aufgebracht werden – etwa durch gemeinsame Schulden. Als Vorbild dienen die Corona-Hilfen, doch gegen diesen Plan hat Deutschland bereits sein Veto angekündigt.