Thorsten Hülsemann an der Mühleisen-Orgel in der Murrhardter Stadtkirche. Foto: Elisabeth Klaper
Von Elisabeth Klaper
Murrhardt. Die Mühleisen-Orgel ist für Orgelvirtuosen ein faszinierendes Instrument. Dank ihrer Fülle an Registern und Effekten, die so gut wie uneingeschränkt kombinierbar sind, bietet sie fast unbegrenzte Interpretations- und Experimentiermöglichkeiten, um Kompositionen aus allen Epochen und Stilrichtungen zu gestalten. Dies demonstriert Thorsten Hülsemann beim jüngsten Konzert des Internationalen Orgelzyklus vor vielen Musikfreundinnen und -freunden in der Stadtkirche. Mit seinem Programm aus sorgfältig aufeinander abgestimmten Werken von deutschen, französischen und einem libanesischen Komponisten unternimmt der Organist und Kantor an der Klosterkirche Maulbronn eine Klangreise durch verschiedene Epochen und Stilrichtungen vom 17. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Dabei interpretiert er jedes ausgewählte Werk hingebungsvoll detailgenau mit klanglich und charakterlich adäquaten Registrierungen.
Am Anfang steht das Praeambulum – ein älterer Begriff für Präludium – in E-Dur von Vincent Lübeck, Organist an der Hamburger Nikolaikirche. Es ist ein schönes Beispiel für den norddeutschen Stil mit feierlicher Melodik, Tonwiederholungen als Gestaltungselement und koloraturartigen Figurationen in hohen Tönen und Registern, kontrastiert durch innovative, teils fast dramatisch klingende Akkordfolgen. Johann Sebastian Bach kam mehrmals nach Norddeutschland, daher kannte er auch die dortigen Orgeln, Organisten und deren Werke. Dies erzählt Hülsemann, der auch Bezirkskantor im Dekanat Mühlacker ist, beim Ohrenöffner, der kurzen Konzerteinführung. Und der große Tonkunstmeister ließ sich offenbar von Lübecks Musik inspirieren, wie die prächtige, fantasievolle Toccata E-Dur zeigt. Vielfältig und klangnuancenreich registriert der Künstler Bachs ideenreiches Werk mit verspielten Variationen in tänzerischen Rhythmen und abgestuften Kadenzen mit Tonwiederholungen als besonderem Gestaltungsmerkmal.
Bezaubernd idyllisch wirken die sanft durch den Kirchenraum schwebenden, melodiösen Klänge der Arie mit Variationen von Felix Mendelssohn Bartholdy, die der Organist fein registriert, effektvoll inszeniert sowie bis zur Hörgrenze verklingen lässt. Ein ausgeklügeltes Spiel mit Klangfarben und Effekten ist die moderne virtuose Fantasie „Prélude et danse fugée – Präludium und Tanzfuge“ von Gaston Litaize. Dabei entspringen gleichsam Motive in höheren Tönen in rasantem Tempo den Manualen. Den Gegenpol dazu bilden dichte Zusammenballungen von tieferen Clustern, wobei 20 verschiedene Töne gleichzeitig erklingen und wie schillernde Farbnuancen eines Regenbogens wirken. Unterlegt sind die mal mehr, mal weniger dissonanten Klänge mit einem reizvoll synkopierten Offbeatrhythmus, der an lateinamerikanische Tänze erinnert. Ein echtes Schmankerl ist die kurzweilige „Ouverture Libanaise – Libanesische Ouvertüre“ von Naji Hakim mit typisch orientalischer Melodik, Anleihen an die marschartig-pompöse libanesische Nationalhymne sowie einer lyrisch-sentimentalen Melodie.
Wunderbar majestätisch, sphärisch und transzendent wirkt Olivier Messiaens „Prière du Christ montant vers son Père – Gebet Christi, zum Vater aufsteigend“, die letzte Meditation aus „L’Ascension – Die Himmelfahrt“. Dabei setzt der französische Komponist die von ihm neu erfundenen Modi ein, eigene Tonleitern mit Ganztonschritten. Im Verlauf des Werks steigen Melodik und Harmonik immer höher hinauf und das Zeitmaß geht verloren, sodass nur noch Klangfarben und Stimmungen bleiben, wobei sich dezent dissonante und strahlend harmonische Klangfiguren abwechseln.
Den krönenden Abschluss bildet Alexandre Guilmants spätromantische sinfonische Orgelsonate Nr. 1. Idyllisch wirkt die Pastorale in wiegendem Rhythmus, temperamentvoll das monumentale und triumphierende Finale mit prachtvollem Tuttiabschluss. Mit tosendem Beifall dankt das Publikum Thorsten Hülsemann für das grandiose Konzerterlebnis und kommt noch in den Genuss von zwei Zugaben.