Festival faszinierender Fingerartistik

Sieben Pianisten gestalten vielseitiges Abschlusskonzert der Klavierakademie – Hyelee Kang gewinnt den Publikumspreis

Virtuos und ästhetisch interpretieren sechs Asiatinnen und ein jugendlicher Türke in Topform Kompositionen von der Klassik über die Romantik bis zum Beginn der Moderne beim Gala-Abschlusskonzert der 19. Internationalen Klavierakademie in Murrhardt.

Festival faszinierender Fingerartistik

Professor Felix Gottlieb überreichte die Urkunde an Publikumspreisträgerin Hyelee Kang.

Von Elisabeth Klaper

MURRHARDT. Mit minutiösem Anschlag bietet Asami Inakagata den ersten Satz Allegro assai dar aus Ludwig van Beethovens Klaviersonate Nummer 23 f-Moll Opus 57, genannt „Appassionata“. Ein pochendes „Schicksalsmotiv“ vermittelt eine düster-pessimistische Grundstimmung, dem eine optimistische Melodie entgegensteht. Feinsinnig arbeitet die japanische Pianistin die Kontraste heraus und bringt die Fülle der Gestaltungselemente zur Geltung, wie komplexe Modulationen, Themenversetzungen von Dur nach Moll und umgekehrt, rhythmische Bewegungen oder unterschiedliche Lautstärken.

Detailgenau trägt Emir Ilgen die „Variations sérieuses“ d-Moll Opus 54 vor, eines der Hauptwerke für Klavier von Felix Mendelssohn Bartholdy. Stimmungsvoll entfaltet der erst 15-jährige türkische Pianist das ernste, harmonisch und rhythmisch knifflige Thema mit einer Melodie in seufzenden Synkopen über einer choralartigen Akkordfolge. Nuancenreich stellt er die unterschiedlichen Charaktere und Stimmungen, Melodien und Figurationen, Tempi und Rhythmen der 17 dramaturgisch aufgebauten Variationen dar. So schöpft Ilgen die Möglichkeiten des Themas mit allen technischen, stilistischen und pianistischen Mitteln voll aus, und schließt das Werk mit virtuosem Spiel im Presto ab.

Präzise und mit spürbarer Spielfreude arbeitet Miku Arizono die starken Kontraste heraus in Franz Liszts Ballade Nummer 2 in h-Moll, Searle-Verzeichnis 171. Impulsiv bringt die Japanerin das düster-verhängnisvoll wirkende chromatische Hauptthema zum Ausdruck. Filigran und melodiös stellt sie diesem das lieblich-idyllische Nebenthema gegenüber. Dynamisch trägt sie eine monumentale Steigerung vor, anmutig die lyrischen Gedanken mit zart-elegischem Charakter am Ende.

Chopin-Interpretation stellt den

krönenden Abschluss dar

Ein sinfonisch-orchestrales Klangfarbenpanorama entfaltet Suryeon Noh in Robert Schumanns Symphonischen Etüden Opus 13. Mit variantenreichem Anschlag bietet die südkoreanische Pianistin das pathetisch-feierliche Thema dar. Stilvoll gestaltet sie das breite Spektrum der Melodien, Harmonien, Rhythmen und Emotionen mit vielschichtigen Figuren, Formen und Strukturen, die von ätherisch zarten Momenten bis zum glanzvoll-dramatischen Finale reichen.

Elegant und strahlend präsentiert Albertina Eunju Song Felix Mendelssohn Bartholdys Rondo capriccioso Opus 14 als Ohrenschmeichler. Tänzerisch beschwingt durchläuft die ebenfalls aus Südkorea stammende Profipianistin einen Parcours komplexer pianistischer Effekte vom verzückten Schwung zu Beginn über das schnelle Thema bis zu den virtuosen Oktavgängen und Läufen, gebrochenen Akkorden und Verzierungen aller Art.

Ein Hörgenuss sind die ersten sechs fantasievollen Kleinodien aus Alexander Skrjabins Zyklus 24 Préludes Opus 11. Die Tasten streichelnd, arbeitet Yiran Wu vollendet die vielfältigen Details der von Frédéric Chopin inspirierten Frühwerke heraus. Jedes Prélude (1. Vivace, 2. Allegretto, 3. Vivo, 4. Lento, 5. Andante cantabile, 6. Allegro) ist eine eigenständige kleine Komposition in impressionistischer Tonsprache und wirkt wie ein vielfarbig schillerndes Mosaik verschiedenartiger Elemente und Charaktere. Atmosphärisch und nuanciert gestaltet die chinesische Pianistin auch Skrjabins „Deux Poèmes“ (zwei Tongedichte) Opus 32: Idyllisch und verträumt wirkt das erste Andante cantabile, etwas moderner klingt das zweite Allegro, con eleganza, con fiducia (mit Eleganz, mit Vertrauen), wobei sich Dissonanzen kunstvoll in Harmonien verwandeln.

Zum krönenden Abschluss lässt Hyelee Kang ihre Finger vergnügt über die Tasten tanzen. Mit Verve trägt die südkoreanische Pianistin drei melodisch und harmonisch attraktive Werke von Frédéric Chopin vor. Schwungvoll und verspielt bringt sie den Walzer As-Dur Opus 42 zur Geltung. Schwermütig, mystisch und liedhaft lässt sie die Nocturne Nummer 13 c-Moll Opus 48 Nummer 1 erklingen. Und in der temperamentvollen Polonaise As-Dur Opus 53 mit virtuosen Elementen vermittelt Kang die Atmosphäre eines glanzvollen höfischen Fests.

Die große Zuhörerschar in der Festhalle erlebt eine Sternstunde der Klaviermusik: Die Mitwirkenden machen jedes Tonkunstwerk zum grandiosen Hörerlebnis und heimsen enthusiastischen Beifall ein. So fällt die Wahl des Lieblingspianisten und Publikumspreisträgers überaus schwer. Schließlich gibt Klavierakademie-Vorsitzender Professor Felix Gottlieb bekannt, dass Hyelee Kang den mit 300 Euro dotierten Publikumspreis gewonnen hat, und überreicht ihr die Urkunde. Mit ihren Chopin-Interpretationen hat sie die Musikfreunde verzaubert. Aber: „Eigentlich hätten alle diesen Preis verdient“, spricht Werner Schamberger aus, was wohl die meisten Zuhörer denken. „Mir war klar, dass die Pianistin gewinnen wird, die diese Glanzstücke von Chopin vorträgt“, hat Edith Heise beim Blick aufs Programm geahnt. Abschließend zieht Felix Gottlieb auch im Namen seiner Professoren-Kollegen Elena Margolina-Hait und Gerald Fauth eine rundum positive Bilanz des 19. Meisterkurses: „Wir sind sehr zufrieden mit der Entwicklung jedes Teilnehmers, da alle sehr engagiert gearbeitet und schöne Fortschritte gemacht haben.“

Festival faszinierender Fingerartistik

Die Mitwirkenden (von links) Asami Inakagata, Emir Ilgen, Miku Arizono, Suryeon Noh, Albertina Eunju Song und Yiran Wu verzauberten mit ihren facettenreichen Darbietungen die Zuhörer. Fotos: E. Klaper