Missbrauch in der katholischen Kirche

Forscherin: Nonnen missbrauchen Nonnen

Es ist ein gleich mehrfaches Tabu: Missbraucht werden nicht nur Kinder, sondern auch erwachsene Frauen – und das auch von anderen Frauen, wie eine neue Studie zeigt.

Forscherin: Nonnen missbrauchen Nonnen

Schon der verstorbene Papst Franziskus hatte es im Jahr 2019 erstmals den sexuellen Missbrauch von Nonnen durch Priester und Bischöfe eingeräumt. „Es gab Priester und auch Bischöfe, die das getan haben“, sagte das Oberhaupt der katholischen Kirche.

Von Markus Brauer/KNA

Ordensfrauen werden auch in Deutschland sexuell missbraucht, nicht nur in Asien und Afrika. Und: Die Täter sind nicht immer Männer, sondern manchmal auch Mitschwestern.

Zu diesem Befund kommt eine erste wissenschaftliche Untersuchung zum Thema für den deutschsprachigen Raum, die am Montag (15. September) in Buchform veröffentlicht wurde. Autorin ist die Pastoraltheologin Barbara Haslbeck, die an der Universität Regensburg forscht und Expertin für den Themenbereich Sexueller Missbrauch und Religiosität ist.

„Ausmaß, mit dem ich nicht gerechnet habe“

Barbara Haslbeck hat für ihre 378 Seiten starke Studie „Sexueller Missbrauch an Ordensfrauen im deutschsprachigen Raum. Ein unterschätztes Phänomen und seine systemischen Bedingungen“ (jetzt erschienen bei Herder, 384 Seiten, 58 Euro), 15 Mitglieder klassischer Orden und Neuer Geistlicher Gemeinschaften intensiv befragt. „Mir haben mehrere Frauen von Missbrauch durch Mitschwestern berichtet – in einem Ausmaß, mit dem ich nicht gerechnet habe“, sagt sie.Die meisten schon als Kind missbraucht.

Besonders erschreckt habe sie ein weiteres Ergebnis: „Neun Frauen hatten schon als Kind sexuellen Missbrauch erlebt und brachten diese Belastung in der geistlichen Begleitung zur Sprache.“

Dabei seien sie erneut missbraucht worden.Anders als Missbrauchstäterinnen hätten die Männer ihre Übergriffe auch stark spirituell gedeutet und etwa gesagt: „Was ich mit dir tue, soll dir zeigen, wie sehr Gott dich liebt.“ Zudem hätten diese Täter ihr Handeln mit Erfolg als etwas kaschiert, das angeblich zur Heilung des Kindheitstraumas beitragen würde.

Körperliche Gewalt eher selten

Körperliche Gewalt ist beim Missbrauch von Ordensfrauen nach Haslbecks Erkenntnissen eher selten im Spiel. Etwa die Hälfte der Frauen habe sich an die Täter emotional eng gebunden gefühlt. „Sie fingen an, für sie nicht nur zu putzen und zu kochen, sondern auch die Predigt zu verfassen.“

Bei manchen habe es Jahre gedauert, bis sie realisiert hätten, was wirklich passiert sei. Dass es nicht um sie gehe, sondern dass sie ausgebeutet würden, sei ihnen typischerweise erst da klar geworden, wo sich ihnen gezeigt habe, „dass der Priester weitere Frauen in ähnlicher Weise benutzt“.

Die Autorin referiert am Ende ihres Buches auch Empfehlungen ihrer Interviewpartnerinnen für andere Betroffene. So sollten die Ideale, die den Missbrauch flankiert hätten, kritisch hinterfragt werden. „Etwa dass eine gute Ordensfrau das eigene Ich aufzugeben hat, dass sie einen Priester immer zu unterstützen hat“, erklärt Haslbeck.

Franziskus prangerte Missbrauch von Ordensfrauen an

Schon der am 21. April 2025 verstorbene Papst Franziskus hatte es im Jahr 2019 erstmals den sexuellen Missbrauch von Nonnen durch Priester und Bischöfe eingeräumt. „Es gab Priester und auch Bischöfe, die das getan haben“, sagte das Oberhaupt der katholischen Kirche.

Der Missbrauch von Nonnen könne zwar „überall“ geschehen, erklärte der damalige Pontifex. Derartige Fälle seien aber besonders häufig in „einigen neuen Kongregationen und in einigen Regionen“. Die Kirchenspitze arbeite bereits „lange“ an dem Thema. Mehrere Geistliche seien wegen der Übergriffe suspendiert worden. Zudem seien einige besonders betroffene Frauenkongregationen aufgelöst worden.

Franziskus bezog sich mit seiner Äußerung nach Angaben seines Sprechers Alessandro Gisotti auf die französische Kongregation der Kontemplativen Schwestern vom heiligen Johannes. Das Kirchenoberhaupt erwähnte noch eine weitere Kongregation, die sich der „sexuellen und ökonomischen Verderbnis“ schuldig gemacht habe.

„Präzise Anzeigen“ über Missbrauchsfälle

Die italienische Historikerin Lucetta Scaraffia von der La Sapienza Universität in Rom zitierte in ihrem Artikel „Senza tatto“ (deutsch: Ohne Taktgefühl) in der Vatikan-Zeitung „Osservatore Romano“ aus zwei Berichten aus den 1990er Jahren über den sexuellen Missbrauch Geistlicher an Ordensfrauen.

Sowohl die katholische Ordensfrau und Entwicklungshelferin Maura O’Donohue sowie die Oberin der Sœurs Missionnaires de Notre-Dame d’Afrique (Missionarische Schwestern Unserer Lieben Frau in Afrika), Marie McDonald, hatten Scaraffia zufolge „präzise Anzeigen“ gemacht, die auf „fundierten Untersuchungen“ beruhten.

Missbrauch von Nonnen in der Kirche seit langem bekannt

Die katholische Kirche wird bereits seit Jahren von Missbrauchsaffären erschüttert. Bislang waren vor allem Übergriffe gegen Kinder und Jugendliche bekannt geworden. Ende Februar kommen im Vatikan die Vorsitzenden der weltweiten Bischofskonferenzen zusammen, um über den „Schutz von Minderjährigen“ zu beraten.

Das Problem des Missbrauch von Nonnen durch Geistliche ist in der Kirche seit langem bekannt. Maura O’Donohue schrieb ihren Bericht über sexuellen Missbrauch von Nonnen durch Priester und Bischöfe 1994. Sie sandte den Text an den damaligen Vorsitzenden der Ordenskongregation Kardinal Eduardo Martínez Somalo. Darin benannte sie zahlreiche Fälle in 23 Staaten, darunter Indien, Irland, Italien, Philippinen, Vereinigte Staaten und einige afrikanische Länder.

2001: Johannes Paul II. entschuldigte sich bei Nonnen

Der Vatikan berief daraufhin eine Untersuchungskommission ein, um Missbrauch und Vergewaltigungen an Nonnen durch Priester zusammen mit Maura O’Donuhue zu prüfen. Die Fälle bestätigten sich. 2001 gelangte der interne Bericht durch das US-Magazin National Catholic Reporter an die Öffentlichkeit, woraufhin renommierte Zeitungen wie die „New York Times“ darüber berichteten.

Am 22. November 2001 entschuldigte sich Papst Johannes Paul II. öffentlich bei jenen Ordensschwestern, die Opfer von sexuellem Missbrauch durch Priester geworden waren. Anschließend stellte sich heraus, dass sich die Verantwortlichen im Kirchenstaat bereits seit 1995 offiziell mit dem Thema befasst hatten.

US-Studie über sexuelle Traumata von US-Nonnen

Im Januar 2003 berichtete die amerikanische Zeitung „St. Louis Post-Dispatch“ über eine Studie der St. Louis-Universität, („A National Survey of the Sexual Trauma Experiences of Catholic Nuns“, auf deutsch: Eine nationale Erhebung über die Erfahrungen sexueller Traumata katholischer Nonnen). Die Untersuchung, die von amerikanischen Ordensgemeinschaften mitfinanziert und 1996 abgeschlossen wurde, blieb seitdem unter Verschluss.

Die Autoren der Studie um den US-Psychiater John T. Chibnall befragten insgesamt mehr als 1100 Nonnen von 123 Ordensgemeinschaften in den USA. Vier von zehn Nonnen gaben an, unter verschiedensten Formen von sexueller Traumatisierung zu leiden, wie der „St. Louis Post-Dispatch“ und katholische Nachrichtenagenturen damals berichteten.

Das Spektrum reichte von sexuellem Missbrauch in der Kindheit bis hin zu sexueller Belästigung und Übergriffen von Priestern und Mitschwestern. Mindestens 34.000 Ordensfrauen sollen betroffen gewesen sein.

„Über ihre Anzeigen fiel Schweigen und man weiß nur zu gut, wie Schweigen tatsächlich dazu beiträgt, den Vergewaltigern Sicherheit zu geben, die sich ihrer Straffreiheit immer sicherer werden“, schreibt Scaraffia in dem Artikel.