Kanzler Friedrich Merz ist nicht bei der UN-Generalversammlung in New York, sondern spricht im Bundestag. Wie seine Reformen konkret aussehen sollen, bleibt weiter offen.
Kanzler Friedrich Merz steht beim Thema Sozialreformen vor großen Herausforderungen.
Von Tobias Peter
Es hat einen Nachteil, Kanzler zu sein: Im Bundestag kann man auf seine Kritiker selten antworten – weil sie meist erst nach einem selbst sprechen. Jetzt hat Friedrich Merz eine besondere Gelegenheit genutzt, doch einmal zu kontern. Und zwar sehr angriffslustig. Denn es ist im Bundestag die zweite Haushaltswoche in Folge – mit je einer Generaldebatte, in der es um die politischen Leitlinien geht.
In der vergangenen Woche wurde im Bundestag der Etat für das Jahr 2025 beschlossen. Jetzt geht es um den Haushalt für das Jahr 2026. Zum selben Zeitpunkt findet in New York die UN-Generalversammlung statt. Doch der Kanzler ist nicht dorthin geflogen, er will im Bundestag sprechen.
Merz, der sich durch geschickte Diplomatie in seinen ersten Monaten den Titel Außenkanzler erwarb, sagt überraschend fast nichts zur Außenpolitik. Dafür bekräftigt er seine Forderung nach einem Herbst der Reformen. Merz, der Innenkanzler: Das soll nun die Botschaft sein.
Merz wirft Opposition „Zerrbild“ vor
„Das Ziel der Reformen, die wir auf den Weg bringen, ist nicht der Abbruch des Sozialstaats, sondern ist der Erhalt des Sozialstaats, so wie wir ihn wirklich brauchen“, sagt der CDU-Chef. Er reagiert damit auf die Vorwürfe aus den Reihen der Opposition in der Vorwoche. Sie male ein „Zerrbild“ an die Wand. Merz beugt sich immer wieder weit vor, zeitweise beide Zeigefinger oder auch die ganzen Handkanten nach vorn.
Doch der Regierungschef nutzt erneut nicht die Gelegenheit, konkret auszubuchstabieren, wie Reformen aussehen könnten, mit denen sich die Beiträge für die Krankenversicherung oder die Rente stabilisieren ließen. Union und SPD haben sich zwar darauf verständigt, dass Kommissionen Vorschläge machen sollen. Doch eine Blaupause für Lösungen findet sich im Koalitionsvertrag nicht. Merz wirkt wie ein Fußballspieler, der sehr fest gegen den Ball tritt, aber gar nicht so genau weiß, wo dieser landen soll.
Der Wert des Kompromisses
Einen Punkt, der ihm wichtig ist, arbeitet Merz früh in seiner Rede heraus. Es habe nun einmal keine Partei die absolute Mehrheit bei der Wahl gewonnen. Deshalb sei es in der repräsentativen Demokratie vollkommen normal, dass nun mit Union und SPD Parteien mit unterschiedlichen Vorstellungen gemeinsam nach Lösungen suchen müssten. Der Kanzler hält dies seinen Kritikern entgegen – auch denen in den eigenen Reihen oder der eigenen Wählerschaft, die meinen, es gehe mit den Reformen nicht schnell genug.
Merz lobt zugleich, dass es mehr und mehr Menschen gebe, die verstünden, wie wichtig Änderungen seien. Es gehe nicht ums Verteilen, sondern zunächst einmal ums Erwirtschaften. Hier klatscht auch zaghaft der eine oder andere aus der SPD mit. Vor allem Fraktionschef Matthias Miersch achtet sorgsam darauf, geeignete Stellen in der Rede zu finden, an denen er Beifall zollen kann. Das Verhältnis zwischen Union und SPD ist noch immer von mangelndem Vertrauen geprägt. Aber mindestens die Spitzenleute der Parteien und Fraktionen arbeiten intensiv daran, dass es besser wird.
Julia Klöckner ruft Plenum zur Ordnung
In der Debatte geht es turbulent zu. Während Merz unter Zwischenrufen spricht, ruft Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) das Plenum zur Ordnung – mit den Worten: „So, jetzt reißen wir uns wieder zusammen. Es ist genug reingerufen worden.“ Merz dreht sich zu Klöckner nach hinten und dann wieder nach vorn. Er bedankt sich bei der Präsidentin und sagt: „Aber, ganz offen gestanden, ich halte das aus.“ AfD-Chefin Alice Weidel warnt mit Blick auf den Haushalt, Merz werde als Bankrotteur in die Geschichte der Bundesrepublik eingehen. Zugleich fordert sie ihn auf, die Brandmauer zwischen Union und AfD einzureißen.
Heidi Reichinnek kritisiert für die Linke unter anderem Einschnitte bei der Jugendhilfe. Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann hält Merz mit Blick auf die Lage im Nahen Osten und die Situation in der Ukraine vor: „Sie müssten in New York sein.“
Unions-Fraktionschef Jens Spahn entgegnet: Wo, wenn nicht im Bundestag, solle denn der Kanzler am Tag der Haushaltsdebatte sein?