Geben und Nehmen in Murrhardts Historie

Ortwin Köhler zeichnet in seinem Vortrag bei der Volkshochschule nach, wie Beziehungen und Netzwerke zwischen verschiedenen Völkern die historische Entwicklung der Walterichstadt und Mitteleuropas seit der Frühgeschichte mitbestimmt haben.

Geben und Nehmen in Murrhardts Historie

Mit Einführung der Reformation setzt Herzog Ulrich eine Zäsur. In der Folge erhält das Murrhardter Gotteshaus auch seinen heutigen Namen Walterichskirche. Ihre Geschichte begann sie als Urkirche St. Maria, die Pirmin bauen ließ. Foto: Jörg Fiedler

Von Elisabeth Klaper

Murrhardt. Einen weiten Bogen von der Antike bis zur Reformation spannte Historiker Ortwin Köhler in seinem Vortrag „Murrhardt – eine Stadt, eine Herrschaft, ein Herr?“ an der Volkshochschule. Vor etlichen Interessierten erläuterte er im Zimmertheater des Grabenschulhauses die wichtigsten historischen Entwicklungen. Dabei waren persönliche Beziehungen der Herrschenden zueinander ebenso bedeutend wie weitreichende gesellschaftliche, politische, religiöse und wirtschaftliche Netzwerke zwischen verschiedenen Völkern.

Seit der Bronzezeit verband ein Fernhandelsnetzwerk aus der Seiden-, Bernstein- und Weihrauchstraße Europa mit dem Mittelmeerraum, Nahost und Asien. In der hiesigen Region siedelten die Kelten als geschickte Handwerker und Händler, Bauern und Städtegründer, bevor die Römer den Limes als Grenzsystem errichteten. Um 160 nach Christus bauten sie das Kastell in Murrhardt als Teil eines Kastellbündels zur Sicherung des Neckartals, der Alpenzugänge und Handelswege nach Rom. Die zugehörige Zivilsiedlung „vicus murrensis“ war größer als die erste mittelalterliche Siedlung, erklärte Ortwin Köhler.

Die Soldaten der 500 Mann starken „Kohorte freiwilliger römischer Bürger“ kamen aus diversen Reichsteilen, die 200 Mann umfassende Kundschaftertruppe stellten Tribocer und Boier, sprich Kelten. Die Römer boten ihnen Geld, Nahrung, Hygiene und vielfältige Kontakte und ermöglichten die Ansiedlung im Umfeld des Limes, wo auch nach dessen Aufgabe 260 Kleingruppen von Soldaten und Zivilisten blieben. Durch den Druck der asiatischen Hunnen-Reitervölker bildeten sich germanische Völker aus diversen Stämmen wie die Alamannen. Sie errichteten 450 am Linderst ein Gehöft, nutzten oft Grundmauern römischer Siedlungen für ihre Dörfer und das römische Straßennetz zum Handel.

Zu Beginn des Mittelalters um 500, nachdem die Franken die Alamannen besiegten, war Murrhardt Grenzstation zwischen deren Gebieten. Um 600 entstand ein königlicher Guts- und Verwaltungshof als Station für den König, der ständig durch sein Herrschaftsgebiet reiste. Bis ins Spätmittelalter musste er sein Gefolge aus Adeligen und „Freunden“ durch Eroberungen an sich binden, die er unter ihnen verteilte. König und Klerus förderten die Christianisierung und Missionierung der Bevölkerung durch angelsächsische und irische Mönche mit Gründungen von Klöstern und Kirchen als Bildungseinrichtungen.

So gründete wohl Rupertus von Worms Hausen als neuen Teilort, und Pirmin ließ um 725 die Urkirche St. Maria bauen. Bischof Burkard von Würzburg, der zum angelsächsischen Hochadel und zur karolingischen Gefolgschaft gehörte, erhielt 753 den Königshof als Dankgeschenk von König Pippin, Vater Karls des Großen, dem er half, den letzten Merowingerkönig abzusetzen. Ab 755 beherbergte der Hof eine kleine Mönchsgemeinschaft mit der St.-Trinitatis-Kapelle. 796 kam Walterich, hochbegabter Schüler von Burkards Nachfolger Megingoz, als verbannter Einsiedler nach Murrhardt, da er Karls Befehl zur Gründung des sächsischen Bistums in Verden an der Aller verweigert hatte. Doch nach Karls Tod 814 bereitete Walterich mit einer Reise zum Papst nach Rom die Krönung von dessen Sohn und Nachfolger Ludwig dem Frommen vor. Zum Dank stiftete der Kaiser 816/17 das Benediktinerkloster und setzte Walterich als ersten Abt ein.

Im 10. Jahrhundert beunruhigten Überfälle von Wikingern und Magyaren-Reitergruppen die Einwohner, darum baute man die Hunnenburg als Fluchtburg und das Kloster bekam Schanzen und Mauern. Bis zur Reformation war das Kloster, das Kaiser und Adelige mit vielen Schenkungen bedachten, wichtigster Macht- und Wirtschaftsfaktor in der Region. Dessen weltliche Vertreter beim Kaiser waren als Vögte erst die Wolfsöldener, später die Löwensteiner Grafen.

Kloster und Ort bildeten eine Einheit: 1120 erhielt Murrhardt das Marktrecht und das Kloster erhob Zölle. 1287/88 verlieh Graf Albrecht von Löwenstein das Stadtrecht, der uneheliche Sohn König Rudolfs von Habsburg ließ die Stadtmauer und die Grablege der Familie in der Klosterkirche bauen. Im 13. Jahrhundert verdichteten die Adelsfamilien, die Sippenhofschaften bildeten und den gewählten Kaisern unterstanden, ihre Besitzungen zu Landesherrschaften und avancierten zu Landesherren.

1388 kam Murrhardt zur Grafschaft Württemberg, die König Maximilian I. im Jahr 1495 zum Herzogtum erhob. Damit ging ein Prozess einher, der die Bevölkerung zu Untertanen machte. Aber in Städten bildeten Handwerkerzünfte und Kaufleutegilden Räte und vertrieben die Stadtherren. Die Städte schlossen Bünde und strebten nach Reichsfreiheit direkt unter dem Kaiser, so zogen sie viele Untertanen an, denn „Stadtluft macht frei“. Folglich gaben die Herrscher im Spätmittelalter das Reisekönigtum auf und regierten von Residenzen aus. 1534 führte Herzog Ulrich die Reformation in Württemberg ein, in der Folgezeit wurden die Murrhardter evangelisch, der Klosterkonvent wurde aufgelöst und die Marienkirche benannte man in Walterichskirche um.

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