Türkische Radikale in Sindelfingen

„Gefällt mir“ für türkische Extremisten: Ein Stadtrat unter Verdacht

Fotos und Likes zeigen: Ein Sindelfinger Kommunalpolitiker soll engere Bezüge zu Grauen Wölfen und Islamisten gehabt haben als bisher bekannt. Er selbst weist die Vorwürfe zurück.

„Gefällt mir“ für türkische Extremisten: Ein Stadtrat unter Verdacht

Wahlkampf 2024: Stadtrat Serdar Sevik (Zweiter von rechts), Ramazan Bicer (rechts), beide vom Bündnis der Vielfalt, Graue-Wölfe-Funktionär Engin Altindag (Zweiter von links) und Ditib-Vorsitzender Murat Gülec.

Von Michael Weißenborn

Seit Mitte Juli 2024 sitzt Serdar Sevik im Gemeinderat von Sindelfingen. Dort bildet er eine Zählgemeinschaft mit dem Ex-Linken-Bundestagsabgeordneten Richard Pitterle und ist unter anderem im Bildungsausschuss der Mercedes-Stadt aktiv. Bei den Kommunalwahlen 2024 war Sevik für das „Bündnis der Vielfalt Sindelfingen“ angetreten, vorgeblich, um „die Vielfalt unserer Stadt“ zu repräsentieren. Und das, obwohl er zuvor – wie im Sommer berichtet – ebenso wie ein weiterer Vertreter des Vielfaltsbündnisses in den sozialen Medien seinen Gefallen an den türkischen Grauen Wölfen bekundet hatte.

Recherchen dieser Zeitung zeigen, dass die Bezüge Seviks, der an der Böblinger Theodor-Heuss-Werkrealschule tätig ist, zu türkischen Rechtsextremisten und Islamisten bis in die jüngste Vergangenheit deutlich enger gewesen sind, als bisher bekannt. So zeigte er auf der Plattform X, ehemals Twitter, noch bis Mitte Juni ein von ihm inzwischen gelöschtes Profilbild mit einem Jugendfoto von sich mit einem Vordenker des türkischen Rechtsextremismus, Muhsin Yazicioğlu. Dieser Mann war lange hoher Funktionär der rechtsextremen türkischen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) um deren Gründer Alparslan Türkes, die das „Türkentum“ verherrlicht.

Ultranationalismus und Islamismus

Anfang der 90er Jahre gründet Yazicioğlu die „Große Einheitspartei“ (Büyük Birlik Partisi, BBP), weil ihm Türkes „zu angepasst“ war. Diese Partei „ist in der Schnittmenge von Ultra-Nationalismus und politischem Islamismus zu verorten“, schreibt das Landesamt für Verfassungsschutz. Und „explizit gegen die Rechte ethnischer und religiöser Minderheiten“.

Außerdem zeigte das inzwischen gelöschte Profilbild bei X den Stadtrat Sevik neben Servet Turgut, Chef der türkisch-extremistischen Serivyye-Stiftung. Im Hintergrund steht auf einem roten Banner „Büyük Doğu“ (Großer Osten). Unserer Zeitung liegt auch ein Foto von einem Facebook-Account Seviks vor, das sein Porträt vor dem Logo der Seriyye-Stiftung zeigt: dreimal je zwei rote Mondsicheln und ein Stern auf schwarzem Grund. Abrufbar bis Juni. Auch das hat er inzwischen gelöscht. Bei Instagram erklärt die Stiftung unter anderem zum schwarzen Hintergrund, das sei „die Kampfesfarbe des Gesandten Allahs (Mohammed)… insbesondere, wenn er gegen die Juden vorrückte…Die Zukunft der Zionisten, die unsere Zukunft verdunkeln wollen, wird sich verdunkeln.“ Sevik setzt unter diesen Instagram-Post der Stiftung vom 30. März 2019 „gefällt mir“. (Das ist inzwischen ebenfalls gelöscht).

Auch diese Stiftung haben Baden-Württembergs Verfassungsschützer auf dem Radarschirm: Sie „vertritt die Idee eines islamischen Weltreichs unter türkischer Führung“, teilt der Inlandsdienst auf Anfrage mit. „Inhaltliche Überschneidungen zur türkisch-rechtsextremistischen ,Ülkücü’-Szene in Deutschland bestehen etwa bei gemeinsamen Symbol- und Identifikationsfiguren, darunter Muhsin Yazicioğlu“.

Offener Antisemitismus

Erhellend ist der Eid der Gruppierung. Darin heißt es: „O Eroberer Allah, Zerschlage den Kemalismus, den Faschismus, den Kommunismus, den Zionismus und jeglichen Imperialismus! Bis zum letzten Soldaten, bis zum letzten Atemzug, bis zum letzten Tropfen Blut werden wir kämpfen. Wir weichen dem Unglauben nicht aus.“ Diese Aufzählung der Feinde, die es zu besiegen gilt, ist nach Ansicht eines Islamwissenschaftlers, der anonym bleiben möchte, ein Beleg für „Militanz“ und Islamismus“.

Erol Ünal, Referent bei der Fachstelle türkischer Rechtsextremismus beim Bund der Alevitischen Jugend, hat sich mit der Ideologie der Seriyye-Stiftung beschäftigt. „Im Kern strebt sie eine gottesstaatliche, auf der Scharia fußende Ordnung an mit einem kalifenähnlichen unbestreitbaren Führer an der Spitze.“ Zum Leidwesen aller Nichtsunniten in der Türkei. „Das ist auch zutiefst antisemitisch“, urteilt Ünal. Viele islamisch-konservative Politiker bis zu Staatschef Recep Tayyip Erdogan würden sich auf dieses Gedankengut berufen.

Und wie rechtfertigt der Stadtrat Sevik, dass er wiederholt bei Facebook und Instagram seine Sympathie für die Seriyye-Stiftung und die Grauen Wölfe zum Ausdruck gebracht hat? Auf Nachfrage bestreitet er kategorisch jede Verbindung zum Extremismus. „Ich habe keinerlei Nähe zum Gedankengut der sogenannten Grauen Wölfe.“ Er wende sich „gegen jede Form des Rassismus“. Die rechtsextremistische „Leitfigur Muhsin Yazicioğlu“ (Verfassungsschutz) verniedlicht er und verortet sie nur „im konservativen Lager der türkischen Politik“. Von Servet Turgut, dem Chef der Seriyye-Stiftung, den er vor Jahren persönlich getroffen habe, übernehme er als „gläubiger Muslim“ nur die Inhalte, die „mit den Menschenrechten und dem Grundgesetz vereinbar sind“.

Er behauptet, besagtes Twitter-Profil mit den Extremisten Yazicioğlu und Turgut habe er „seit Jahren nicht mehr genutzt“. Er habe es ebenso wie ein „selten genutztes Facebook-Profil“ gelöscht und seine „alten Likes überprüft, um künftige Missverständnisse zu vermeiden“. Klingt so eine glaubhafte inhaltliche Distanzierung von den extremistischen Posts? Sein Mitstreiter im Gemeinderat, Rechtsanwalt Pitterle, antwortet nicht auf Fragen zu Sevik.

Im März dieses Jahres begleitete Sevik eine Delegation der Stadt Sindelfingen ins türkische Mugla, um dort partnerschaftliche Bande zu knüpfen. Die Abgesandten suchten dort ausschließlich Kontakt zu den demokratischen Kräften der Türkei in der CHP, die derzeit viele regionale und lokale Wahlen für sich entschieden haben. Die Begegnungen waren herzlich, Sevik befürwortete die Initiative ausdrücklich.

Erklärung zur Verfassungstreue

Der neue Oberbürgermeister Markus Kleemann (CDU) geht nicht direkt auf Stadtrat Sevik ein. Die freiheitlich demokratische Grundordnung als Basis des Handelns „erwarte ich auch von den Mitgliedern des Gemeinderats“, sagt Kleemann. Er verweist aber darauf, dass – anders als Beamte – Gemeinderatsmitglieder „keiner gesteigerten Pflicht zur Verfassungstreue unterliegen“.

Birgül Batman, im CDU-Landesvorstand zuständig für Integration, beklagt: „An runden Tischen sitzen türkische Rechtsextremisten oft mit dabei und sind bei vielen Stadtfesten mit einem Stand vertreten.“ Sie fordert: „Jeder, der für ein öffentliches Amt kandidiert, sollte eine Erklärung abgeben müssen, in der er seine Verfassungstreue bekundet, und damit erklärt, dass er weder Mitglied einer extremistischen Organisation ist noch verfassungsfeindliche Bestrebungen unterstützt.“ Falls die geltende Rechtslage dies nicht hergebe, müsse sie geändert werden.