Erstmals hat das Deutschlandtreffen der Urban Sketchers in Stuttgart stattgefunden. Die Stadt wurde dabei zum Atelier, mehr als 750 Teilnehmende aus aller Welt machten sich ein Bild von ihr – vom frühen Morgen bis in den Abend hinein.
David Chamness aus Seattle (USA) bei der Arbeit am Schillerplatz
Von Petra Mostbacher-Dix
Stuttgart - Schnell gleitet der Filzstift über das Ringbuchblatt. Hier ein Strich, da eine Rundung, den Trubel des samstäglichen Flohmarkts auf dem Karlsplatz festhaltend. Gwendolyn Kleemann zeichnet konzentriert, Hand, Arm und Blick erfassen die flüchtigen Momente und halten sie für das Morgen fest. „Gezeichnet? Habe ich, seit ich denken kann“, sagt sie und lacht. Nun müsse sie schnell zu „ihrer Gruppe“. Die Lehrerin ist auf einem „Sketchwalk“, einem Stadtspaziergang, auf dem gezeichnet wird. Diese sind Teil des Deutschlandtreffens der Urban Sketchers, das zum neunten Mal stattfindet – und zum ersten Mal in Stuttgart.
Urban Sketchers ist eine weltweite Bewegung mit dem Motto „We show the world, one drawing at a time!“, also „Wir zeigen die Welt, Zeichnung für Zeichnung!“. 2007 gründete sie der barcelonische Journalist und Illustrator Gabriel Campanario im US-amerikanischen Seattle: Er teilte seine Arbeiten und verbundenen Aktivitäten in Blogs und sozialen Netzwerken. Das ging flugs um die Welt, Ortsgruppen entstanden und eine integrative Gemeinschaft aus professionell und in der Freizeit Kunst Schaffenden.
Urban Sketchers erstmals in Stuttgart
An diesem Samstagmorgen empfangen die Urban Sketchers Stuttgart 750 Begeisterte aus der Republik und anderen Ländern wie Österreich, Frankreich, gar den USA am Eingang des Stadtpalais, geben dort Namensschilder aus, teilen die Teilnehmenden den begleiteten Sketchwalks zu. Gezeichnet wird am Eugensplatz, Kraftwerk Münster, Erwin-Schoettle-Platz, Kunstverein Wagenhallen, Teehaus, im Rosensteinpark, vor dem Le-Corbusier-Haus in der Weißenhofsiedlung und an vielen Orten mehr. Die Sketchwalks finden am Vormittag und Nachmittag statt. „Good Morning Sketching“ heißt es in der Früh, zusätzlich gibt es noch am Abend Sketching im Dunkeln, ist vom Orga-Team Christian Lang, Nadja Pidan und Riona Kuthe zu erfahren. Um 7.30 Uhr haben sich 30 Leute auf dem Degerlocher Santiago-de-Chile-Platz versammelt, um den grandiosen Blick auf die Innenstadt festzuhalten. Auch das „Drink, Talk and Draw“ am Abend zuvor im Theaterhaus sei gut besucht gewesen, erklären die Veranstalter.
Derweil zeichnen Gwendolyn Kleemann und ihre Gruppe, nachdem sie von ihrer Begleiterin Edith Meissner im Renaissance-Innenhof des Alten Schlosses in die Geschichte der Bauten – Fruchtkasten, Alte Kanzlei, Markthalle und mehr – eingeführt wurden, auf dem Schillerplatz; darunter Tobias aus Hamburg, Judith aus Berlin, Deisy aus Rottweil. Manche sitzen auf einem Klappsitz, andere auf der Treppe unter Bertel Thorvaldsens berühmtem Dichterdenkmal. Neben Wasserfarben sei ein Edding zum Highlighten im Gepäck, verrät Deisy, neu bei den Urban Sketchers. Alexandra, länger dabei, skizziert die Skyline in Orange und schmunzelt: „Habe alles mit, was der Schreibtisch hergibt“, erklärt sie, „spannend hier, die Verbindung von Alt und Neu.“
Menschen aus aller Welt
Wilfried, Dortmunder Architekt in Rente, fährt mit der Feder Bleistiftlinien nach: die Apsis der Stiftskirche, die Blumen des Markts. David Chamness bannt das Gesamtensemble mit Tusche aufs Papier.
Der pensionierte Architekt stammt aus Seattle und schwärmt von den Anfängen der Bewegung. Im August sei er erstmals beim internationalen Symposium der Urban Sketchers im polnischen Posen gewesen, jetzt in Stuttgart, wo seine Tochter lebt. „Beim Sketchen erlebt man Gemeinschaft und Freiheit, bekommt neue Perspektiven. Wir sehen dasselbe, doch nicht gleich, immer kommt was anderes heraus, das öffnet Horizonte“, sagt er.
Längst mischen sich die Gruppen im Herzen Stuttgarts. Sophie aus Heidelberg beschreibt, es gehe ums Erinnern, um Gerüche, Gefühle. Das unterstreicht Simone, die mit 20 Leuten aus Köln anreiste. „Mit nichts kann man so gut Stimmung und Atmosphäre ausdrücken wie mit Zeichnen.“ Die Ergebnisse sind beim „Throwdown“ zu sehen: Nach den Sketchwalks betrachten die Gruppen ihre Arbeiten gemeinsam.