Hutzelmännlein treffen Gardemädchen ...

... und die Ladykillers spielen dazu: Beim Landesnarrentreffen in Murrhardt begegnen sich karnevalistische und schwäbisch-alemannische Tradition

In Murrhardt haben sich am Wochenende Narrenzünfte und Karnevalsgesellschaften aus dem ganzen Ländle und darüber hinaus versammelt. Die Murreder Henderwäldler, die das 39. Landesnarrentreffen ausgerichtet haben, empfingen die unterschiedlichsten Gruppen. Urig-eigenwilliger Brauchtum traf auf karnevalistisch geprägte Tradition. Mal grenzt man sich voneinander ab, trotzdem ist Vieles im Fluss und manche Gruppen führen eine närrische, sich befruchtende Koexistenz.

Hutzelmännlein treffen Gardemädchen ...

René Quiblier von den Ladykillers.

Von Christine Schick



MURRHARDT. Heike Schiele ist am Wochenende als Jugendleiterin des Landesverbands Württembergischer Karnevalsvereine (LWK) auf den meisten Veranstaltungen zu finden. Gleichzeitig ist sie auch Vizepräsidentin der Gesellschaft Zigeunerinsel, die ihre Wurzeln im ältesten Bürgerverein des Stuttgarter Westens hat, gegründet 1910. Bei der Zigeunerinsel stehen Gardetanz, Spielmannszug, Baronenpaare und die Hutzelmännlein zusammen. Die karnevalistisch geprägte Gesellschaft hat sich mittlerweile erweitert und sich eine Brauchtumsgruppe zugelegt. „Die Eltern der Gardemädchen wollten gern in der Richtung beim Verein aktiv werden“, erzählt die Vizepräsidentin. Also hat man sich nach einer möglichen Figur umgesehen und kam auf das Stuttgarter Hutzelmännlein. „Es geht auf ein Märchen von Eduard Mörike zurück“, sagt sie. Seit rund 15 Jahren haben neben den Gardetänzerinnen und -tänzern auch die märchenhaften Hästräger ihren Platz in den Reihen der Zigeunerinsel. Der Name geht übrigens auf die Zeit zurück, als in Stadterweiterungsgebieten Bürgervereine zur Kommunikation entstanden – in diesem Fall an einem Platz, der seit dem Mittelalter von fahrenden Zigeunern genutzt wurde. Durch den Namen bedingt, gab es auch die eine oder andere Diskussion um die historische Bezeichnung. Heike Schiele macht aber deutlich, dass sie keinesfalls Klischees transportieren wollen. Wichtige Ziele seien bürgerliches Engagement sowie soziale Aufgaben bis hin zu Inklusion und Integration.

An dieser Stelle schlägt sie die Brücke zu ihrem Engagement beim LWK. Vor drei Jahren hat sie das Kinderbuch „Die kleine Maus sucht die Fasnet“ mit Illustrationen von Manfred Merz herausgegeben, das Fasnet und Brauchtum zum Thema hat und ein Stück weit Vermittler in einer offenen Gesellschaft sein möchte. „Beim Verband gab es immer schon eine Mischung aus beiden Richtungen, karnevalistisch und schwäbisch-alemannisch geprägte Gruppen“, sagt Heike Schiele. Jetzt, da sehr viele Brauchtumsgruppen entstünden, sei es nur wichtig, dass die Figuren einen gewachsenen, geschichtlichen Hintergrund hätten.

Ihren ganz eigenen Weg in dieser Hinsicht gegangen sind die Ladykillers aus Zürich. Die Gäste aus der Schweiz haben sich 1968 zusammengefunden und pflegen seit über 30 Jahren eine Freundschaft mit den Murreder Henderwäldlern. Die Formation eröffnet den Empfang des Landesnarrentreffens inklusive Narrensuppe mit unglaublich fetziger Guggenmusik. Schnell stehen Gardeleute und Häsgewandete wippend nebeneinander. Eine Frau macht auf die fantasievollen Hüte der Guggenmusiker aufmerksam. Dort finden sich Tinten- und Haifisch sowie weitere Meerestiere. Das Motto: Neptuns Unterwasserwelt. „Alle zwei Jahre gibt es ein neues Kostüm“, sagt Sousafonspieler René Quiblier, der sich mit dem Kleiderteam um die Umsetzung kümmert. Der Kontakt mit den Murreder Henderwäldlern entstand einst über die Fäger Symphoniker, eine ehemalige Guggenmusikgruppe. Mittlerweile ist er so ausgeprägt, dass Henderwäldler-Mitbegründer Uwe Jentzmik sich einreiht und mitspielt, wenn die Guggenmusiker zu Gast sind. Namensgebend war der bekannte Film, heute wollen die Ladykiller und Killer Ladies vor allem „Herzensbrecher“ sein – im Sinne einer humorvollen, musikalisch-beschwingten und fantasievoll kostümierten Fasnacht, sagt René Quiblier.

Die Ladykillers und Killer Ladies waren auch schon in China zu Gast

Wenn die Guggenmusik auch in Deutschland mittlerweile Einzug gehalten hat, ist der Sound der 29 Züricher etwas ganz besonders – sie waren schon in vielen europäischen Ländern sowie in China zu Gast.

Ein ebenfalls ganz eigener Klang geht mit den Feuerteufeln aus Gerhausen (Stadtteil von Blaubeuren) einher, wenn sie mit ihren großen kupfergehämmerten Schellen durch Murrhardts Gassen ziehen. Das dumpfe, tiefe Klingeln soll die Feuerglocke symbolisieren, die früher läutete, wenn es brannte. Die Figur geht auf die damals als Feuerteufel verschrienen Gründer einer Schwefelfabrik zurück. „Ein Feuer bedeutete für den gesamten Ort große Gefahr“, erklärt Zunftmeister Peter Engelhart. Die ebenfalls seit Langem mit den Henderwäldlern bekannte Zunft hat sich 1984 als Verein formiert, ein Jahr später kam die Einzelfigur des Tauchentles hinzu, die als eine Art Tauschwährung zwischen Grafschaft und Bevölkerung (Enten gegen Fischereirecht) eingesetzt wurde. Manfred Kloos trägt das tierische Häs von Anbeginn an. Entle und Feuerteufel machen sich zum Dämmerungsumzug auf den Weg. „Wir sehen uns in schwäbisch-alemannischer Tradition, wollen draußen auf der Straße unterwegs sein, eine Prunksitzung wär nichts für uns“, sagt Engelhart.

Bei der Narrenzunft Deichelmaus aus Spaichingen feiern Karnevalisten und Brauchtumsgruppen seit jeher ein gut gelauntes Miteinander. Zwar bringen die Elferräte Torsten Bühler, Markus Zimmerer, Jan Mattes, Präsident Steffen May und Ehrenpräsident Jürgen Köhler ihre Hästräger Deichelmaus, Strohhansele und Schellennarr nicht zum Ball mit, weil die noch anderweitige Verpflichtungen haben. Aber beim großen Umzug am Sonntag sind sie dabei. Die Wurzeln der Spaichinger Tradition reichen bis 1445 zurück. Nicht nur das Maskenlaufen gehörte dort immer dazu, auch mit Kappen war man schon lange unterwegs, erzählt Steffen May. Zwar habe die karnevalistisch-geprägte Linie als eine Art Gegenbewegung zu den schwäbisch-alemannischen Umtrieben, die teils als zu wild empfunden worden seien, auch mit an Boden gewonnen. Die Spaichinger verbinden aber von Anbeginn beide Pole. „Da sind wir auch stolz drauf“, sagt der Präsident. Mit Prinzenpaar, Gardetanz, Elfer- und Neunerräten sowie Hästrägern – rund 1500 Mitglieder – gehören sie auch zu den größten Zünften im Verband. Bei der Purzelgarde können Kinder schon mit vier Jahren starten, ebenfalls für die Kleinen gibt es Deichelmaus-Leihhäs, sodass Mädchen und Jungen auf Tuchfühlung mit der Traditionsfigur gehen können. Sie entstand vor dem Hintergrund, dass Zimmermannsleute, die Deicheln (Wasserleitung aus Holz) herstellten, zur Kontrolle der Durchlässigkeit eine Maus durch das Rohr spazieren ließen. „Zu unserer großen Prunksitzung, der Redoute, jucken Prinzenpaar, Räte und Hästräger gemeinsam ein“, sagt Steffen May. Die Verbindung beider Welten wird auch von Einzelnen gelebt: Jürgen Köhler war nicht nur lange Elferrat und Präsident, mittlerweile ist er auch als Schellennarr unterwegs. Er genießt es, zwischen beiden Welten zu pendeln.

Zum Landesnarrentreffen als Extragäste gekommen sind die Fasenickl. Sie sind eine Brauchtumsgruppe aus dem bayerischen Kipfenberg und halten die Tradition ihrer Hästräger hoch – sie reicht bis in die Barockzeit. Die Fasenickl gelten als eine der schillerndsten Fasnachtsfiguren im deutschen Sprachraum. Sie lassen ihre Kurzstilpeitsche knallen, faseln hinter ihrer Holzmaske mit verstellter Stimme und machen sich mit ihrem Ruf „Gösucht“ bemerkbar. „Das leitet sich von Gelbsucht ab, heißt also, dass die Fasenickl Krankheiten, beispielsweise auch die Pest symbolisch vertreiben sollten“, erzählt Oberfasenickl Lukas Bruckschlögl. Erstaunlich: Das Häs, das jeder Träger selbst in aufwendiger Handarbeit herstellt, hat sich über die Jahrhunderte kaum verändert. Die 6000 roten Rauten werden einzeln gestanzt und die Borden Meter für Meter geknüpft. „Das macht das Häs zu etwas Besonderem.“ Hinzukommt die Maske mit Glöckchenformation, wobei der historische Hintergrund klar macht, dass ein Fasenickl als Austreiber nicht zwingend freundlich sein will. Für Lukas Bruckschlögl ist klar: Wer sich einmal entscheidet, ein Fasenickl zu werden, bleibt es auch ein Leben lang.

Hutzelmännlein treffen Gardemädchen ...

Die Fasenickl aus dem bayerischen Kipfenberg.

Hutzelmännlein treffen Gardemädchen ...

Gute gelaunte Hutzelmännlein mit (von links) Franz Reichersdörfer, Heike Schiele und Wolfgang Hommel von der NZ Zigeunerinsel. Fotos: J.Fiedler

Hutzelmännlein treffen Gardemädchen ...

NZ Deichelmaus (v. l.): Jürgen Köhler, Torsten Bühler, Markus Zimmerer, Steffen May und Jan Mattes.

Hutzelmännlein treffen Gardemädchen ...

Tauchentle und Feuerteufel.