Was geschah am . . . 10. Juni 1905?

Im „Wunderjahr“ 1905 wird Albert Einstein zum Jahrhundertgenie

Am 9. Juni 1905 veröffentlichte Albert Einstein den ersten von vier Artikeln des Jahres 1905. Sie revolutionieren die Physik und prägen die Sicht von Licht, Zeit und Raum bis heute.

Im „Wunderjahr“ 1905 wird Albert Einstein zum Jahrhundertgenie

Zum großen Wendepunkt in Albert Einsteins Karriere wird das Jahr 1905 – sein „Annus mirabilis“.

Von Markus Brauer/dpa

Am 16. Juni 1902 erhält Albert Einstein auf Empfehlung seines Freundes Marcel Grossmann eine feste Anstellung als technischer Experte 3. Klasse beim Schweizer Patentamt in Bern. Zumindest hat der studierte theoretische Physiker jetzt eine Festanstellung, auch wenn diese ihn kaum ausfüllt.

1905: Einsteins „Annus mirabilis“

Zum großen Wendepunkt in Einsteins Karriere wird das Jahr 1905 – sein „Annus mirabilis“. In diesem „Wunderjahr“ veröffentlicht der Patentamts-Angestellte gleich vier bahnbrechende Arbeiten im renommierten Fachjournal „Annalen der Physik“. Jede einzelne Studie für sich ist wegweisend und ein Meilenstein der Physik. Zusammen revolutioniert das wissenschaftliche Quartett die Vorstellungen von Licht, Zeit, Energie und Raum.

All diese Durchbrüche von wissenschaftsgeschichtlicher Tragweite macht der 26-Jährige quasi nebenbei – neben seiner Arbeit im Patentamt und ohne das fördernde Umfeld eines wissenschaftlichen Instituts oder einer Universität. Stattdessen formuliert er seine Abhandlungen nach Feierabend in seiner kleinen Wohnung in Bern und diskutiert seine Ideen nur mit einigen Patentamtskollegen.

18. März 1905: Artikel zum photoelektrischen Effekt

Am 18. März 1905 reicht Einstein seinen ersten Fachartikel ein, den er am 17. März vollendet hat und der am 9. Juni 1905 in den „Annalen der Physik“ veröffentlicht wird. Die Publikation trägt den etwas sperrigen Titel: „Über einen die Erzeugung und Verwandlung von Licht betreffenden heuristischen Gesichtspunkt.“

Dahinter verbergen sich bahnbrechende Erkenntnisse zur Wechselwirkung von Licht und Materie – dem photoelektrischen Effekt. Einstein stellt darin erstmals die These auf, dass sich Licht unter bestimmten Bedingungen nicht als kontinuierliche Welle verhält, sondern eher wie ein Strom einzelner Teilchen.

30. April 1905: Dissertation zur Molekülbestimmung

Es folgt am 30. April 1905 seine Dissertation mit dem Thema „Eine neue Bestimmung der Moleküldimensionen“, mit der er am 20. Juli an der Universität Zürich bei den Professoren Alfred Kleiner und Heinrich Burkhardt sein Promotionsgesuch einreicht.

11. Mai 1905: Publikation zur Molekularbewegung

Nun geht es Schlag auf Schlag. Am 11. Mai 1905 folgt seine Publikation zur brownschen Molekularbewegung: „Über die von der molekularkinetischen Theorie der Wärme geforderte Bewegung von in ruhenden Flüssigkeiten suspendierten Teilchen“.

30. Juni 1905: Spezielle Relativitätstheorie

Am 30. Juni 1905 schließlich schreibt Albert Einstein Geschichte, als er seine Abhandlung „Zur Elektrodynamik bewegter Körper“ einreicht.

Kurz darauf liefert er einen Nachtrag „Ist die Trägheit eines Körpers von seinem Energieinhalt abhängig?“ Dieser Artikel enthält implizit zum ersten Mal die wohl berühmteste Formel der Welt: E= mc2 -  Energie ist gleich Masse mal Lichtgeschwindigkeit zum Quadrat, Äquivalenz von Masse und Energie. Beide Arbeiten zusammen bilden Albert Einsteins Spezielle Relativitätstheorie.

Albert Einstein – das Jahrhundertgenie

Kein Forscher hat je solch eine öffentliche Verehrung erfahren wie Albert Einstein. Noch 70 Jahre nach seinem Tod am 18. April 1955 ist der 1879 geborene Einstein der mit Abstand populärste Wissenschaftler. Fast jeder kennt seine weltberühmte Formel E = mc2, aber kaum ein Laie – und längst nicht jeder Fachmann – versteht die umwälzenden Erkenntnisse dieses Jahrhundertgenies. 

Den meisten dürfte es so ergehen wie dem Schauspieler und Regisseur Charlie Chaplin bei einer Begegnung mit Einstein im Jahr 1931: „Was ich an Ihrer Kunst am meisten bewundere, ist ihre Universalität. Sie sagen kein Wort, aber die ganze Welt versteht Sie!“, soll Einstein ausgerufen haben. Chaplins hellsichtige Entgegnung: „Stimmt. Aber Ihre Kunst ist noch größer! Die ganze Welt bewundert Sie, auch wenn keiner ein Wort davon versteht, was Sie sagen.“

"Horizont der Menschheit hat sich durch Einstein unendlich erweitert"

Einsteins Relativitätstheorie ermöglicht nicht nur überprüfbare Vorhersagen wie etwa die Krümmung des Raums durch große Massen. Sie kann auch ein sich ausdehnendes Universum beschreiben, lange bevor die Idee vom Urknall überhaupt in die Welt kam.

„Durch Albert Einsteins Werk hat sich der Horizont der Menschheit unendlich erweitert. Und gleichzeitig hat unser Bild vom Universum eine Geschlossenheit und Harmonie erreicht, von der man bisher nur träumen konnte“, bemerkte einmal der dänische Physik-Nobelpreisträger Niels Bohr (1885-1962).

Noch heute sind Einsteins Arbeiten in der Forschung hochaktuell. So rätseln Astronomen über eine Dunkle Energie, die das All auseinander zu treiben scheint, und die sich mit der von Einstein eingeführten „kosmologischen Konstante“ beschreiben lässt.

Quantenphysiker versuchen, den „Einstein-Podolski-Rosen-Effekt“ zu verstehen, der in der Welt der Quantenphysik die Eigenschaften von atomaren Teilchen spontan über beliebig große Entfernungen verknüpft und beim so genannten Beamen zum Tragen kommt.

Neues Verständnisses von Raum und Zeit

Der Fachbeitrag zur Speziellen Relativitätstheorie erscheint unter der Überschrift „Zur Elektrodynamik bewegter Körper“. Die Theorie führte zu einer grundlegenden Wandlung des Verständnisses von Raum und Zeit. Der deutsche Mathematiker Hermann Minkowski (1864-1909) gibt der Relativitätstheorie die bis heute gebräuchliche mathematische Form, in der Raum und Zeit zu einer vierdimensionalen Raumzeit verschmelzen.

Mit der Speziellen Relativitätstheorie hat die Zeit ihren Status als absolute Größe verloren. Einstein erkennt, dass Gleichzeitigkeit nur eine relative Eigenschaft ist, die von der Wahl des Beobachters abhängt. Zwei räumlich getrennte Ereignisse, die dem einen als gleichzeitig erscheinen, können für einen anderen nacheinander ablaufen. Nur am selben Ort ist die Gleichzeitigkeit zweier Ereignisse eindeutig.

Beginn des Atomzeitalters

Mit seiner Speziellen Relativitätstheorie hat Einstein vor 120 Jahren auch das Atomzeitalter eingeläutet. Das Jahrhundertgenie kann damals allerdings noch nicht ahnen, dass seine Theorie einmal zu einer Grundlage für alle Kernkraftwerke und Atombomben werden würde und darüber hinaus auch das Geheimnis des Sonnenfeuers, der Kernfusion, enträtseln sollte.

Eine weitere Konsequenz seines Relativitätsprinzips verlangt, dass die Masse eines Körpers (m) multipliziert mit dem Quadrat der Lichtgeschwindigkeit (c) ein direktes Maß für seinen Energiegehalt ist. Die berühmte Formel E=mc2 ist geboren. „Die Überlegung ist lustig und bestechend; aber ob der Herrgott nicht darüber lacht und mich an der Nase herumgeführt hat, das kann ich nicht wissen“, schreibt der Physiker damals an seinen Freund Conrad Habicht.

1917: Einsteins zweiter Geniestreich

Am 20. März 1917, im dritten Jahr des Ersten Weltkriegs, gelingt Albert Einstein dann sein zweiter Geniestreich. Ebenfalls in den „Annalen der Physik“ publiziert er den Fachartikel „Die Grundlage der Allgemeinen Relativitätstheorie“.

Während die Spezielle Relativitätstheorie auf den Arbeiten anderer Forscher aufbaut und sich damals schon anbahnt, gilt die Allgemeine Relativitätstheorie als Einsteins weitgehend alleiniges Werk. Sie bezieht die Schwerkraft mit ein und beschreibt, wie Massen die Raumzeit verzerren.

Dadurch wird der Theorie zufolge auch das Licht nahe großer Massen messbar abgelenkt, was während der Sonnenfinsternis vom Mai 1919 experimentell bestätigt wurde. Durch diese Bestätigung wurde Einstein mit einem Schlag weltberühmt.

In der Allgemeinen Relativitätstheorie führt Einstein die Gravitation auf ein geometrisches Phänomen in einer gekrümmten vier-dimensionalen Raumzeit zurück. Auch wenn kaum jemand die Theorie versteht als sie veröffentlicht wird, macht sie Albert Einstein doch endgültig zum Superstar der Wissenschaft.

Das Geheimnis des Universums und die Schwerkraft

In seiner Allgemeine Relativitätstheorie geht Einstein gegenüber der Speziellen Relativitätstheorie einen entscheidenden Schritt weiter und bezieht die Schwerkraft (Gravitation) mit ein. Seine Theorie besagt, dass die Raumzeit durch Masse verzerrt wird – ähnlich wie etwa eine Bowling-Kugel ein Trampolin einbeult.

Dieser Effekt ist umso stärker, je größer die Masse ist. „Das war ein Paradigmenwechsel“, erläutert Hermann Nicolai, Direktor emeritus am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Potsdam. „Die Aussage ist, dass die Schwerkraft eine Folge der verkrümmten Geometrie von Raum und Zeit ist.“ Der Theorie zufolge wird durch die Verkrümmung der Raumzeit auch das Licht messbar abgelenkt, wenn sein Weg an einer großen Masse wie der Sonne vorbeiführt.

Von der Theorie zum experimentellen Nachweis

Der britische Physiker Sir Arthur Eddington (1882-1944) entsendet im Jahr 1919 zwei von der Königlichen Astronomischen Gesellschaft RAS ausgerüstete Expeditionen zur Beobachtung einer Sonnenfinsternis. Während dieses Ereignisses vermessen die Expeditionen die Position von Sternen neben der verdunkelten Sonne. Tatsächlich weichen die gemessenen Positionen während der Finsternis entsprechend der Vorhersage durch Einsteins Theorie von den vorher bestimmten Werten ab.

„Das war ein spektakulärer Erfolg, der Einstein auf die Titelseiten der Weltpresse brachte“, konstatiert Nicolai. „Die Sterne sind nicht, wo sie zu stehen scheinen“, schreibt die „New York Times“ damals. „Aber niemand muss sich sorgen.“

Die Grundlage von allem in der Physik

Diese erste experimentelle Bestätigung der Allgemeinen Relativitätstheorie sendet Schockwellen durch das wissenschaftliche Establishment. Heute benutzen Astronomen diesen Effekt als natürliches Teleskop. Denn große Massen im All wie eine Galaxie können das Licht dahinterliegender, weit entfernter Objekte bündeln und wie eine Lupe verstärken. Die Forscher nennen das eine Gravitationslinse.

Schwarze Löcher, Urknall, die stetige Ausdehnung des Universums– das alles lässt sich mit der Allgemeinen Relativitätstheorie erklären. „Die ganze moderne Kosmologie fußt auf den Einstein-Gleichungen“, erläutert Nicolai. Die Allgemeine Relativitätstheorie habe sich zu einem Grundpfeiler der modernen Physik entwickelt: „Es gibt heute eigentlich nur zwei grundlegende physikalische Theorien: die Quantentheorie und die Allgemeine Relativitätstheorie.“