Drogenhandel

In Brüssel eskaliert der Drogenkrieg

In der belgischen Hauptstadt kommt es verstärkt zu blutigen Schießereien mit Toten. Die Täter gehen immer brutaler vor, die Behörden scheinen machtlos.

In Brüssel eskaliert der Drogenkrieg

Der Drogenhandel in Brüssel floriert. In diesen Tagen kam es bei Revierkämpfen der Dealer immer wieder zu blutigen Auseinandersetzungen.

Von Knut Krohn

Brüssel wird von einer Welle der Gewalt heimgesucht. In diesen Tagen kam es in der belgischen Hauptstadt zu mehr als einem Dutzend Schießereien mit mehreren Toten. Angesichts dieser besorgniserregenden Entwicklung hat die zuständige Staatsanwaltschaft am Wochenende eine Krisensitzung einberufen. Bereits Anfang des Jahres hatte die Zahl der Gewalttaten kurz zugenommen, dann hatte sich die Lage allerdings wieder normalisiert. Doch das war offensichtlich nur die Ruhe vor dem Sturm. Seit Mitte Juli wurden in Brüssel über ein Dutzend Schießereien gemeldet. Die Polizei glaubt, dass die gewalttätigen Auseinandersetzungen in direktem Zusammenhang mit dem organisierten Drogenhandel stehen. Dafür spricht, dass die beiden Brüsseler Problemviertel Anderlecht und Molenbeek am stärksten von der Gewalt betroffen sind.

Ein Kampf zwischen rivalisierenden Drogenbanden

Die Ermittler gehen davon aus, dass es sich auch bei dieser neuen Gewaltwelle um sogenannte „règlements de compte“ (Abrechnungen) zwischen verschiedenen Banden handelt. Was die Beamten beunruhigt: Dass diese Revierkämpfe immer brutaler ausgetragen werden. So wurde Ende Juli ein Toter mit einer Sturmhaube über dem Kopf in einem Citroën auf einem Parkplatz vor einem Wohnhaus gefunden. Erst am vergangenen Freitag starb ein Mann, nachdem er in der Nähe des Place Lemmens in Anderlecht von seinen Angreifern regelrecht hingerichtet worden war.

André Chabotier ist Ballistikexperte und wird in der Regel als einer der ersten zu den Tatorten gerufen. Der belgischen Tageszeitung „Le soir“ erzählte er: „Letzte Woche gab es Anrufe morgens, tagsüber und nachts. Nach einer Phase relativer Ruhe nach der Serie zu Jahresbeginn war diese Zeit seit Ende Juli/Anfang August, gelinde gesagt, arbeitsreich.“ Der 63-Jährige betont, dass er nicht für die Ermittlungen zu ständig ist, aber angesichts der Vorgehensweise der Täter gehe er davon aus, dass die meisten der jüngsten Vorfälle wahrscheinlich mit Drogenhandel in Verbindung stünden.

Der Bürgermeister von Anderlecht ist ratlos

Fabrice Cumps, Bürgermeister von Anderlecht, kann seine Ratlosigkeit angesichts der Gewaltwelle kaum mehr verbergen. Aber er betont: „Wir dürfen nicht aufgeben.“ Auch gelinge es der Polizei, die meisten Täter nach den Schießereien festzunehmen. Er könne aber, räumt Cumps ein, die Bestürzung der Bewohner von Anderlecht angesichts der Zunahme der Gewalt verstehen. Seine Bürgermeisterkollegin im angrenzenden Stadtteil Molenbeek, Saliha Raïss, fordert von der Regierung, den Kampf gegen die Drogenhändler zu verstärken. „Was wir auf kommunaler Ebene tun konnten, haben wir getan. Aber es reicht nicht“, schreibt sie in einer Pressemitteilung.

Belgiens Innenminister Bernard Quintin hatte bereits nach der ersten Gewaltwelle versprochen, die Sicherheitsmaßnahmen zu verstärken – offensichtlich ohne Erfolg. Die Vorfälle in Brüssel könnten sich zu einem veritablen Problem für die belgische Regierung unter dem flämischen Rechtsnationalisten und früheren Antwerpener Bürgermeister Bart De Wever entwickeln. Sie hatte eine „Null-Toleranz-Politik“ gegen Drogenbanden versprochen.

Die Dunkelziffer der Gewalttaten ist hoch

Nach Angaben der Brüsseler Polizei gab es allein in der belgischen Hauptstadt im vergangenen Jahr 92 Schießereien, bei denen neun Menschen getötet und 48 weitere verletzt wurden. Doch das ist wahrscheinlich nur die Spitze des Eisberges. Die Experten der Polizei sind überzeugt, dass die Dunkelziffer der Gewalttaten in dem äußerst verschlossenen Milieu wesentlich höher liegt. In der Regel würden die Opfer keine Anzeige erstatten oder die Verletzungen von den Krankenhäusern nicht gemeldet.

In Brüssel ist die Brutalität dieser Bandenkriege neu. Bisher galt in Belgien vor allem Antwerpen als Hochburg der Drogenkriminalität. Die knapp über eine halbe Million Einwohner zählende Hafenstadt an der Nordsee ist in den vergangenen Jahren zu einem der wichtigsten Umschlagplätze für Drogen in Europa geworden. Einfallstor ist der riesige Containerhafen an der Schelde. Dort wurde 2023 die Rekordmenge von 116 Tonnen sichergestellt.

Die Gewalt schwappt von Antwerpen nach Brüssel

In Antwerpen tragen die Schmugglerbanden ihre blutigen Fehden längst nicht mehr nur im Verborgenen aus - und nun schwappt diese Gewalt nach Brüssel. Als Grund nennt die Polizei, dass der Kampf um die „Territorien“ schärfer geworden sei. In der belgischen Hauptstadt hätten inzwischen albanische Clans die Führung übernommen, für die die Stadt eine Art logistischer Knotenpunkt geworden sei. Die importierten Drogen würden von dort nach Südosteuropa weitertransportiert. Gleichzeitig würden Clans aus der Drogenszene in Marseille versuchen, in Brüssel Fuß zu fassen. Das Ergebnis dieser brutal ausgefochtenen Revierkämpfe seien Schießereien mit Toten und Verletzten.