Debüt von Stuttgarter Autorin

Jana Fuhrmann erzählt von der Radikalisierung einer Aktivistin

In ihrem Debütroman „Dann kannst du nicht mehr wegsehen“ beleuchtet die Stuttgarter Autorin Jana Fuhrmann die Herausforderungen junger Aktivisten. Ihre Heldin will Tiere retten, muss aber plötzlich um sich selbst kämpfen.

Jana Fuhrmann erzählt von der Radikalisierung einer Aktivistin

Jana Fuhrmann arbeitet selbst für eine Tierschutzorganisation. Zum Abschalten besucht die Autorin den Eibenshof, der geretteten Tieren ein Zuhause bietet.

Von Andrea Kachelrieß

Sie wollen viel bewirken, sind Stresssituationen und nicht selten dem Unverständnis anderer ausgesetzt: Wer sich dafür engagiert, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, muss lernen seine Ansprüche und Möglichkeiten in Balance zu halten und auch gut mit sich selbst umzugehen.

Radikalisierung im Tierschutz: Jellas Kampf um sich selbst

Wer das nicht tut, riskiert einen Absturz, wie ihn die Stuttgarter Autorin Jana Fuhrmann in ihrem ersten Jugendbuch beschreibt. „Dann kannst du nicht mehr wegsehen“ lautet bezeichnenderweise der Titel der Story, die von der Radikalisierung einer Tierschutz-Aktivistin erzählt. Jella sieht hin. Die Begegnung mit einer Gruppe von Engagierten holte die 16-Jährige zwar aus ihrer Eigenbrötler-Ecke, aber die Aktionen auf Plätzen oder an der Supermarkt-Fleischtheke reichen ihr bald nicht mehr aus. Sie will mehr, steigt für heimliche Dokumentationen in Betriebe mit Massentierhaltung ein, macht bei der Blockade eines Schlachthofs mit, bis eine Panikattacke sie komplett aus der Bahn kickt.

Expertin für Tierleid: Fuhrmanns Einblicke in den Aktivismus

Die Zusammenhänge, gegen die Jella rebelliert, zeigt die 40-jährige Autorin kenntnisreich und einfühlsam auf. Dass sie eine Expertin in Sachen Tierleid ist, spürt man bei der Lektüre sofort und aus gutem Grund: Vier Tage pro Woche arbeitet Jana Fuhrmann als Pressereferentin bei einer großen Tierrechtsorganisation mit Sitz in Stuttgart. „Es ist Teil meiner Tätigkeit, dass ich mit schlimmen Dingen konfrontiert bin“, sagt sie. „Für die vielen Pressemeldungen, die ich verschicke, bekomme ich Horrormeldungen im Akkord auf den Tisch.“

Wie nah lässt jeder und jede die Schreckensbotschaften unserer Zeit an sich heran? Verdrängung ist für Jana Fuhrmann ein aktuell bedeutsames Phänomen – nicht nur in Sachen Tierleid. „Wie weit schaffe ich es, mein Herz offen zu halten und nicht unter die Räder zu kommen?“ Mit dieser Frage, sagt sie, seien viele Aktivistinnen und Aktivisten konfrontiert. „Sie beschäftigen sich ja gerade mit den Dingen, die andere Menschen verdrängen“, sagt Jana Fuhrmann und vermutet, dass diese Empathie sie auch verletzbarer mache und nicht selten in einem Gefühl der Überforderung resultieren könne.

Jellas Kampf gegen Angstzustände: Ein berührender Genesungsweg

Oder wie bei Jella in Angstzuständen. Gegen sie kämpft Fuhrmanns Protagonistin bei einem Krankenhausaufenthalt verzweifelt mit Tranquilizern und Therapien. Einer Triggerwarnung gleich deutet ein Prolog die Intensität dieser Attacken an; spannend wie ein Thriller, aber dabei zugleich sehr berührend ist Jellas Weg der Genesung geschildert. Jana Fuhrmann, die Psychologie im Nebenfach studiert hat, macht das Mitfühlen leicht.

„Ob Corona, Klima oder Krieg: Jugendliche wachsen heute mit einer Vielzahl von Konflikten auf“, sagt die Autorin. Das mache sie politischer – aber auch anfälliger für psychische Erkrankungen. „Ohne konkrete Zahlen zu kennen, ist meine persönliche Einschätzung, dass die Fälle von Aktivisten-Burnout oder Depression zunehmen“, sagt Jana Fuhrmann, sie selbst habe viele Menschen im Umfeld, die betroffen seien. Kein konkretes Vorbild, sondern die Essenz dieser Schicksale verarbeitet sie in ihrem Roman. „Obwohl natürlich nicht jeder seinen Aktivismus so konsequent und kompromisslos auslebt wie Jella“, sagt die Autorin über ihre Heldin, die auch mit familiären Problemen eigenwillig umgeht.

Auf einem Lebenshof, wo ein von Jella gerettetes Ferkel wie im Paradies lebt, lösen sich die Konflikte des Romans auf. Die junge Frau lernt, dass es in einer Bewegung auf jeden und jede und ihre Fähigkeiten ankommt, auf Freunde und Gemeinschaft sowieso. „Jeder kann etwas tun, egal, was er oder sie für Einschränkungen hat“, sagt Jana Fuhrmann. Frustrationen auszuhalten gehöre leider zum Aktivismus dazu, sagt die Tierschützerin, ihre Organisation sorge mit Mental-Health-Angeboten und geschulten Ansprechpartnern dafür, dass alle im Gleichgewicht blieben.

Wohlfühlräume helfen beim Abschalten

Jana Fuhrmann hat für sich zudem eigene Strategien entwickelt. „Wie Jellas Freundin Linn schaffe ich mir gern Wohlfühlräume“, sagt die Autorin, die es sich auch mal im Sommer mit einem Weihnachtsfilm „so richtig gemütlich“ macht. „Außerdem bin ich total gern mit Mann und Hund in der Natur“, sagt sie. Rocky heißt der Vierbeiner, der vor vier Jahren aus einem rumänischen Tierheim zu ihr kam. Auch beim Schlagzeugspielen und Musikmachen kann Jana Fuhrmann gut abschalten, zur Not helfen ihr Sofa, Trash-TV und das Wissen: „Viele kennen das grundsätzliche Gefühl, dass nicht ausreicht, was sie tun“, sagt sie. „Wichtig ist aber immer, sich das Erreichte vor Augen zu führen. Was einem einzelnen wenig erscheint, ist für ein gerettetes Tier alles.“

Info

BuchJana Fuhrmann: „Dann kannst du nicht mehr wegsehen“. Thienemann-Verlag. 304 Seiten. 15 Euro. Ab 13 Jahren

Person1983 in Hamburg geboren, studierte Jana Fuhrmann Philosophie, Literatur und Psychologie. Sie war am Theater in der Öffentlichkeitsarbeit tätig und arbeitet aktuell als Pressereferentin der Tierrechtsorganisation Peta.

Autorin Durch einen mit Tobias Elsäßer verfassten Beitrag für die Geschichten-Sammlung „Lieb doch, wie du willst“ kam Jana Fuhrmann in Kontakt mit dem Thienemann-Verlag und seiner Lektorin Sandra Rothmund. „Wir haben in Gesprächen gemerkt, dass Tierschutz für uns beide ein Herzensthema ist“, sagt Jana Fuhrmann zur Inspiration und Entstehung ihres Romans.