Konfessionskonflikte und große Not

Im neuen Buch „Murrhardt und der Dreißigjährige Krieg“ schildert Historiker Gerhard Fritz anschaulich, wie die Bevölkerung unter Loyalitätsdilemmata, Soldateneinquartierungen, Pestepidemien und infolge großen Hungers litt.

Konfessionskonflikte und große Not

Druckfrisch: Das Buch von Gerhard Fritz punktet durch die detailreichen Ausführungen zu den konkreten Ereignissen vor Ort, die die Lektüre äußerst spannend machen. Foto: privat

Von Elisabeth Klaper

MURRHARDT. Hochspannend und dramatisch wie einen Gruselthriller mit einem thematisch breit gefächerten Panorama aus einer Fülle von Detail- und Hintergrundinformationen hat Gerhard Fritz seine neue Untersuchung „Murrhardt und der Dreißigjährige Krieg“ gestaltet. Darin veranschaulicht der Historiker, wie sich die Politik der beteiligten Mächte, der Kriegsverlauf und dessen schreckliche Folgen konkret auf die Bevölkerung der Walterichstadt, der umliegenden Dörfer und Weiler auswirkten.

So können die Leser nachempfinden, wie sehr die Menschen damals unter allerlei Schikanen der Obrigkeit, Misshandlungen durch Soldaten, Seuchen und Mangel am Lebensnotwendigsten litten. Basis der seit geraumer Zeit laufenden Forschungen von Gerhard Fritz über den Dreißigjährigen Krieg, vor allem über das mit Schwäbisch Hall verbundene Kloster und die Stadt Murrhardt, sind überraschend viele aussagekräftige Schriftstücke verschiedenster Art. Die meisten dieser bisher noch nicht untersuchten Quellen stammen aus dem Hauptstaatsarchiv und Landeskirchlichen Archiv Stuttgart. In der Universitätsbibliothek Würzburg befindet sich das „Chronicon Murhartense“ von Prior Adam Adami. Zudem konnte Fritz Güter-, Kauf- und Vermögensbücher aus dem Stadtarchiv Murrhardt auswerten.

Daraus erarbeitete der Professor an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd „eine mikrohistorische Studie mit exemplarischer und damit auch makrohistorischer Aussagekraft“. Darin können die Ursachen und Folgen der Konflikte zwischen Katholiken und Protestanten auf die Ereignisse im Kloster und in der Stadt Murrhardt bis hin zu einzelnen Personen erfasst werden, ebenso konkrete politische und religiöse Maßnahmen und deren Verflechtung mit der kriegsspezifischen Situation. „So werden auf religionspolitischem und theologischem Feld Phänomene sichtbar, die erstaunen und so noch nie beschrieben worden sind“, verdeutlicht Fritz.

Anhand des rekatholisierten Klosters lässt sich das Verhältnis der Konfessionen studieren.

Insofern gewann der Historiker viele neue Erkenntnisse, geht auf bisher weitgehend ignorierte Aspekte ein und konnte einige Aussagen in der dominierenden protestantischen Geschichtsschreibung revidieren. Das wegen des Restitutionsedikts Kaiser Ferdinands II. wiederhergestellte, sprich rekatholisierte Kloster Murrhardt – alles dazu erklärt Fritz genau im Buch – sei „ein ideales Objekt, um das Verhältnis zwischen Protestanten und Katholiken zu untersuchen“. Seine Forschungen förderten neben den konfessionellen Konflikten auch innerkatholische Differenzen zutage. So zwischen dem alten Benediktinerorden, in dem es zwei Richtungen gab, und den Diözesanbischöfen, die die Klöster und deren Einkünfte vereinnahmen wollten.

Nach der ersten Rekatholisierung des Klosters von 1630 bis 1632 gewannen die Katholiken unter Klosteradministrator Philipp Heinrich von Stuben die Herzen zahlreicher evangelischer Einwohner mit geschickter Taktik wie Wahlfreiheit des Gottesdienstbesuchs, denn sie wollten sie zurück zum katholischen Glauben führen. Völlig kontraproduktiv wirkten indes die Gegenmaßnahmen des Murrhardter Vogts Konrad Stählin und des von der herzoglichen Regierung beauftragten Backnanger Vogts Johann Kayser: Sie wollten den Gehorsam der Untertanen durch Einquartierung von Truppen erzwingen.

Darum entzogen sich etliche Bürger dem konfessionellen Gezänk und besuchten einfach keinen Gottesdienst. Überdies geriet die Bevölkerung in einen unlösbaren Loyalitätskonflikt durch den Streit um erzwungene Huldigung und Gehorsamspflicht für den Kaiser durch katholische Geistliche einerseits und den Herzog von Württemberg andererseits durch protestantische Vögte. Nach dem katholischen Sieg in der Schlacht von Nördlingen 1634, der eine Pestepidemie und eine Hungersnot folgten, war von 1635 bis 1643 der übereifrige Benediktinerabt Emmerich Fünkler in Murrhardt tätig. Er zerschlug vorhandene Sympathien für die Katholiken mit allerlei Schikanen bis zur erpresserischen Einquartierung von Soldaten. Diesem mit allen Wassern gewaschenen, juristisch versierten und sich immer souverän absichernden Routinier waren seine Gegner nicht gewachsen. Durch sein unnachgiebiges, autoritäres Verhalten und seine Hinhaltetaktik brachte er die Bevölkerung gegen sich auf. Bürgermeister, Gericht, Rat und Gemeinde richteten ein Bittschreiben an Fünkler mit zwölf Beschwerden – eine zentrale Quelle für die Rechtsverhältnisse und deren Verwerfungen in Murrhardt zwischen 1635 und 1638. Auch die 1638 beim Bischof von Würzburg eingereichte Beschwerde gegen Fünkler ist ein eindrucksvolles Dokument für dessen hartherzige Politik.

Unter anderem hatte der Abt eine Truhe mit Dokumenten über die Rechte der Bürger in Verwahrung genommen und nicht zurückgegeben. Er wollte Einquartierungen und andere Kriegslasten den Bürgern aufbürden und begann mit Baumaßnahmen, um das Kloster im frühbarocken Stil umzugestalten. Schon 1635 hatte er die Walterichskirche verschlossen, darum forderten die Bürger, diese wieder zu öffnen und mit einem evangelischen Pfarrer zu besetzen. Beide Beschwerdebriefe blieben jedoch erfolglos.

Prior Adam Adami, Abt Joseph Huff und Pater Johannes Jordan pflegten einen toleranteren Umgangsstil.

Anders verhielten sich ab 1643 Prior Adam Adami, Abt Joseph Huff und Pater Johannes Jordan: Sie gingen pragmatisch und tolerant mit den Protestanten um, ja kooperierten sogar mit evangelischen Geistlichen wie Pfarrer Samuel Wunderlich. Trotzdem herrschte unter den Einwohnern tiefes Misstrauen gegenüber den Katholiken, und der Umgang der beiden Konfessionen miteinander blieb insgesamt schwierig. Die Verantwortlichen versuchten ihre Gegenüber auszumanövrieren, immer wieder auch zu drangsalieren und zu schikanieren, wobei alle indes stets juristisch argumentierten. Aber trotz allem kamen die Kontrahenten nie auf die Idee, sich gegenseitig umzubringen.

Adam Adami, bekannt als Diplomat und Vertreter der Klöster bei den Friedensverhandlungen in Münster, war als Historiker und Initiator des „Chronicon Murhartense“ tätig, das auch Beiträge von Abt Joseph Huff enthält. Die 1642 bis 1646 verfassten, an den Würzburger Bischof gerichteten fakten- und quellengestützten Schriftstücke sind Ergebnis lokalhistorischer Forschungen und sollten Argumente für die Reichsunmittelbarkeit des Klosters liefern. Sie stellen einzigartige Quellen für die Klostergeschichte, katholische Traditionen und alte religiöse Bräuche dar, über die befragte hochbetagte Zeitzeugen berichteten.

Informationen über die demografischen und wirtschaftlichen Auswirkungen des Krieges runden die Studie ab. Aus den Geburts-, Heirats- und Sterbezahlen, zusammengestellt aus den Kirchenbüchern, geht hervor, dass die Murrhardter Bevölkerung während des Krieges drastisch zurückging, ebenso sämtliche Einkünfte des Klosters, hinzu kam der Verlust zahlreicher Gebäude. Die Alltagserfahrung der Bevölkerung in der Kriegszeit war geprägt von lebensbedrohlichen Notsituationen während der Pestepidemien 1626 und 1634/36. Letzterer folgte auch noch eine Hungersnot, worauf viele Einwohner abwanderten, sowie fast ständige Einquartierungen von Soldaten. Dabei kam Murrhardt im Vergleich zu anderen, vollständig zerstörten Städten halbwegs glimpflich davon, was die Zahl der von Soldaten Ermordeten und die angerichteten Zerstörungen betrifft.

Gerhard Fritz: „Murrhardt und der Dreißig- jährige Krieg 1618–1648. Religionskonflikt – Militär – Kriegsfolgen“. Historegio Band 13, herausgegeben von Gerhard Fritz. 179 Seiten, Farb- und Schwarz-Weiß-Abbildungen. Verlag Manfred Hennecke, Remshalden 2021, ISBN 978-3-948138-06-6. 18,80 Euro.