Kräuter gegen die Lust

Klöster verfügten über ein reichhaltiges Wissen zur Heil- und Wirkungskraft der Natur. In den Einrichtungen legten Verantwortliche ein besonderes Augenmerk auf eine die Keuschheit fördernde Ernährung. Im Kloster Murrhardt könnte dies sogar besonders wichtig gewesen sein.

Kräuter gegen die Lust

Liebstöckel und Petersilie kommen in Klosterzeiten nur in kleineren Mengen auf den Tisch. Foto: Christine Schick

Von Karin de la Roi-Frey

Murrhardt. Vorsicht vor Haselnusssträuchern! Wer zu zweit unter ihnen verweilt, verlässt sie manchmal zu dritt. Lebensfreude und Fruchtbarkeit wurden schon immer mit der Haselnuss verbunden. Und so ist es in den vergangenen Jahrhunderten „allen closter- und ordensleut, welche keusch sein wöllen und reynlichkeit zu halten geloben“, verboten, sich auf diesem gefährlichen Terrain aufzuhalten, wie Marlene und Gerd Haerkötter in ihrem Buch „Hexenfurz und Teufelsdreck: Alte Heil- und Giftkräuter neu entdeckt“ feststellen. Der bis zu vier Meter hoch wachsende Mönchspfeffer, auch Keuschlamm genannt, sorgt dagegen für eine Beruhigung der „Begierde zum Venushandel“. Er gilt als Symbol der Enthaltsamkeit in Liebesdingen und stand einst wie in Murrhardt in jedem Klostergarten. Wirksam sind dabei nicht allein die Samen, sondern auch die Blätter und Blumen. Ob gegessen oder „wenn man sie im Bett unterstruet“, wie ein altes Kräuterwissen empfiehlt, auf die Dosierung kommt es an. Wird zu wenig genommen, tritt aber das Gegenteil der erhofften Wirkung ein! Auch mit dem Endiviensalat ist das so eine Sache. Einerseits heißt es, er „vertreibt die unkeuschen Träume“. Deshalb gilt er als typisches Klosterkraut. Andere wissen: „Endivien machen einen trägen und faulen Hahn geil.“ In diesem Fall heißt es, schnell Abhilfe zu schaffen. Spitzwegerich, bekannt als „Pflaster vom Wegesrand“, dessen grüner Saft bei kleinen Wunden und Juckreiz nach Mückenstichen hilft, soll als Einlauf die Lust dämpfen und die Potenz senken, bis das Ziel erreicht ist: „Tote Hose.“

In der Klosterküche gilt es, ein Auge auf libidofördernde Zutaten zu haben

Stimulierende Pflanzen und Gewürze, Aphrodisiaka oder Erotic Food genannt, werden in den Klöstern streng bewacht. Es geht schließlich darum, die bei den Männern „draußen“ gefürchtete Lendenlahmheit zu erzeugen und nicht zu beheben. So weiß man, dass es im Vatikan einen Senfbewahrer gab, der dem Koch jeweils nur die benötigte Menge genau dosiert übergab. Und während der Inquisition wurde Senf ersatzlos aus den Küchenrezepten gestrichen. Auch auf die schon bei den Griechen als libidofördernd bekannte Zwiebel und den Knoblauch gilt es, in der Klosterküche ein Auge zu haben. Ja, selbst Petersilie, im Volksmund „Bockskraut“ oder „Geilwurz“ genannt, sollte nicht zu oft und in zu großen Mengen auf den Tisch kommen. Und der Liebstöckel! Schon der Name bringt manche in Wallung, dabei schmecken Suppen, Salate oder die Kräuterfüllungen für Fisch und Rouladen mit diesem später so genannten „Maggikraut“ so aromatisch! Und noch eines: Finger weg von Rübensamen, sie machen „Lust zur Unkeuschheit“, berichtet ein Kräuterbuch von 1610.

Ganz und gar nicht verboten und jederzeit frei zugänglich sind die Keuschheitsbeete der Klostergärten, geht es doch nach den Worten von Expertin Ursula Asamer in ihrem Buch „50 Shades of Green: Heimische Kräuter und Blüten für Lust und Liebe“ „in der alten Klosterkräutermedizin (...) vor allem um Lustdämpfung und -beruhigung für Mönche und Nonnen“. Über Jahrhunderte wusste man in den Klöstern wegen des Keuschheitsgelübdes bestens Bescheid über die Wirkung der Pflanzen. Heutige Anfragen bei Klöstern nach Liebes- und Lustpflanzen beziehungsweise deren pflanzlichen Gegenmitteln bleiben allerdings ohne Antwort. Die erfolgt nur, wenn es sich bei der Nachfrage um Heilpflanzen handelt.

Vom Kloster Murrhardt im 16. Jahrhundert heißt es in „Stadt und Kloster Murrhardt im Spätmittelalter und in der Reformationszeit“ von Gerhard Fritz: „Es herrschte (...) im Kloster ein recht buntes Durcheinander aus Mönchen, Klosterbediensteten des Laienstandes sowie Knechten und Mägden.“ Und weiter: „Es stellt sich angesichts des Durcheinanders von Männern und Frauen im Kloster die Frage nach der klösterlichen Moral. (...) Die Präsenz von Frauen im Kloster passte mit den Vorschriften erst recht nicht zusammen.“

Zum Kloster Murrhardt gehören auch drei Morgen Weingärten

Und nicht nur das. Da ist ja auch noch der die Sinne verwirrende oder zumindest in Schwung bringende Rebensaft. Das Kloster Murrhardt verfügt um 1561 über drei Morgen Weingärten. Mit deren Erträgen, der Lagerung des Weinzehnten und dem Verkauf überschüssiger Weinmengen ist der Verwalter des Klosterkellers, der „küeffer“ oder „kheller“, betraut. Wer kennt sie nicht, die Darstellungen von Mönchen mit behaglich-verschmitzten Gesichtern bei einem Glas Wein? Auf dem als Tisch dienenden Weinfass beleuchtet eine Kerze die Zusammenkunft der Genießer. Die Nonnen des Klosters Disibodenberg/Bingen kredenzen heute nach Führungen durch die Weinberge ihren eigenen Wein, während ihre ehemalige Oberin Hildegard von Bingen (1098 bis 1179) das würzige Myrtenbier schätzte. Übrigens: Die älteste detailfreudige Beschreibung eines weiblichen Orgasmus stammt von der Nonne Hildegard von Bingen.

Aber bleiben wir sachlich: Die Myrte, ein immergrüner mediterraner Strauch oder Baum mit seinen weißen Blüten und schwarze Beeren, ist bis heute vornehmlich im Mittelmeerraum üblich und zeigt die Weltläufigkeit und umfassende Kenntnis, die den alten Klostergärten zugrunde liegt. Und so wie das Bier mit Nelke, Pfeffer, Lorbeer, Anis, Ingwer und anderen Gewürzen in dieser Zeit zu seinem Geschmack kommt, verhält es sich auch mit dem Wein. Von einem Wein, wie wir ihn heute kennen, kann nicht die Rede sein.

Es gibt nichts in der Natur, wogegen kein Kraut gewachsen wäre, mit dem man sich behandeln oder zumindest wappnen oder beruhigen könnte, wissen Kräuterfrauen schon immer. Und so eilt vielleicht mancher vom Wein sehr stimulierte, die Fänge der Aphrodite fürchtende Ordensbruder des Klosters Murrhardt hinaus zum Keuschheitsbeet und rupft sich schnell ein paar Zweige Dill ab. Der wird zwar auch oft in der Klosterküche verwendet, aber bei ihm eilt es. Dill „dämpft den natürlichen Samen“, wissen alte Kräuterbücher. Heute sagt eine Spezialistin für Lust- und Liebeskräuter, Dill sei „eine echte Anti-Bock-Pflanze“.

Die Wirkungen des „Stehkrauts“

Nur gut, dass es nicht auch noch Sellerie zum Essen gegeben hat. Vor allem als Heilpflanze genutzt, wussten und wissen Kenner wie Kennerinnen doch, dass dieses „Stehkraut“ auch noch andere Wirkungen erzielen kann: „Freu dich Fritzchen, freu dich Fritzchen, heut’ gibt es Selleriesalat.“ Was dem Bauersmann oder Bürger eine verheißungsvolle Aussicht ist, könnte dem Ordensbruder schon wieder den Weg zum Dillbeet bescheren. Vielleicht aber hätten „zur Abtötung der Fleischeslust“ auch ein paar Zweige Kampfer unter der Kutte gereicht. Und wenn das nicht hilft, gibt es ja auch noch eine andere Möglichkeit: „Kampfer hemmt die unkeuschen Gelüste, so man ihn mit Rautensaft auf das Gemächt streicht.“

Nach langen Wintermonaten mag so mancher Ordensbruder von einem frischen Gurkensalat mit den fein-süßlich schmeckenden Blüten des Borretsch träumen. Es bleiben Träume, denn der Anbau des durch seine hormonähnlichen Inhaltsstoffe, wie von der Wissenschaft nachgewiesen, aufheiternd wirkenden Gemüses ist Nonnen und Mönchen verboten. Ein Abstecher zu den Heilkräuterbeeten des Klosters könnte vielleicht helfen, wird Borretsch doch gegen Atemwegserkrankungen, Herzschwäche und Melancholie verordnet. Ein paar heimlich gepflückte Blüten (...).