Auch Gesundheitsexperten der Union verlangen erheblich mehr Geld für die Forschung als im Haushalt vorgesehen.
Ex-Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) stößt Debatte über Long-Covid-Forschung an.
Von Norbert Wallet
Ex-Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat sich selbstkritisch und nachdenklich zu einem Aspekt seiner Amtszeit geäußert. Es geht um die Bemühungen, die Ursachen von Long Covid zu ergründen. Lauterbach hält diesen Forschungsbereich für unterfinanziert. „Wir haben den Erkrankten versprochen, dass wir ihnen helfen, haben Forschungsmittel angekündigt. Es passiert aber viel zu wenig“, sagte Lauterbach. Dabei räumte er ein, dass er auch selbst einen Teil der Verantwortung dafür trage, dass nicht mehr erreicht wurde.
Zahl der Betroffenen hat sich verdoppelt
Der Ex-Minister ist inzwischen Vorsitzender des Forschungsausschusses des Bundestags. Er sagte, die Bundesregierung streite sich gerade darum, ob man für die Forschung 10 oder 15 Millionen Euro aufwende. Lauterbach nennt diese Summen inakzeptabel. „Das ist nicht im Ansatz die Dimension, die für die Therapieforschung nötig wäre. Wir müssten mindestens eine Milliarde Euro investieren.“
Die Zahl der am chronischen Erschöpfungssyndrom (ME/CFS) Erkrankten hat sich seit Beginn der Corona-Pandemie laut Schätzungen auf fast 650 000 Betroffene verdoppelt. Vor wenigen Tagen haben sich die zuständigen Ministerinnen Nina Warken (CDU, Gesundheit) und Dorothee Bär (CDU, Forschung) getroffen, um über eine bessere Zusammenarbeit der beiden Häuser in dieser Frage zu sprechen.
Auch die Union ruft zum Umsteuern bei der Finanzierung auf
Bei den Fachpolitikern fand Lauterbachs Vorstoß Zustimmung. Die CDU-Gesundheitspolitikerin Nora Seitz sagte, ME/CSF erfahre „seit Jahren viel zu wenig Aufmerksamkeit in der Politik“. Lauterbach habe „insofern damit Recht, wenn er in dieser Hinsicht von einem Staatsversagen spricht.“ Es sei inakzeptabel, „dass trotz der hohen Belastung von Betroffenen und deren Familien die finanzielle Förderung für ME/CFS-Forschung und Versorgung so gering ist“.
Auch die gesundheitspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Simone Borchardt, stimmt dem zu. Der Bundestag müsse hier umsteuern: „Die aktuell geplanten Mittel sind nur ein Tropfen auf dem heißen Stein - das ist für mich auch indiskutabel“, sagte Borchardt. Der CSU-Gesundheitsexperte Stephan Pilsinger sieht das auch so: „Um die Erforschung richtig anzukurbeln und entsprechende Therapieangebote an dafür spezialisierten Zentren für alle Patienten vorhalten zu können, reichen die anvisierten Haushaltsmittel von 10 bis 15 Millionen Euro absehbar nicht aus. Das muss wohl schon ein dreistelliger Millionenbetrag werden“, sagte er unserer Zeitung.
Der linke Abgeordnete Ates Gürpinar nannte es „beschämend für die bisherigen und die amtierende Bundesregierung, wie mit Menschen umgegangen wird, die an Long Covid oder ME/CFS erkranken“. Deren soziale Absicherung und die Gesundheitsversorgung sei „absolut unzureichend“. Der grüne Gesundheitsexperte Janosch Dahmen sagte unserer Zeitung, Lauterbach benenne das Problem „völlig zu Recht als Staatsversagen“. Die strukturelle Vernachlässigung dieser Erkrankung sei „tatsächlich ein gesundheitspolitischer und medizinischer Blindfleck“.