Liebesschmerz in musikalischer Vollendung

Bariton Thomas Scharr und Pianist Götz Payer begeistern das Publikum in der Murrhardter Stadtkirche mit ihrer empfindungsreichen, minutiösen Interpretation von Franz Schuberts Liederzyklus „Winterreise“ in kongenialem Zusammenwirken.

Liebesschmerz in musikalischer Vollendung

Götz Payer am Flügel und Bariton Thomas Scharr sind wunderbar aufeinander eingestimmt und beeindrucken mit ihrer emotional und musikalisch facettenreichen Interpretation von Schuberts „Winterreise“. Foto: Elisabeth Klaper

Von Elisabeth Klaper

Murrhardt. Ein faszinierendes sprachlich-musikalisches Hörerlebnis ist die Aufführung von Franz Schuberts Liederzyklus „Winterreise“. Auf Einladung der evangelischen Kirchenmusik Murrhardt gelingen dem Bariton Thomas Scharr und dem Pianisten Götz Payer am Flügel vor großer Publikumskulisse in der Stadtkirche brillante Interpretationen. Beide sind Experten ihres Fachs: Scharr ist seit 2020 Dozent für Gesang, Payer seit 2022 Professor für Lied an der Hochschule für Musik Stuttgart. Mit seiner klangschönen, weittragenden, warmen und ausdrucksvollen Stimme bringt der Bariton die unterschiedlichen Charakteristiken der 24 Lieder, die Schubert im Jahr vor seinem Tod komponierte, vollendet zur Entfaltung. Darin verwandelte der große Frühromantiker die poetischen Texte von Wilhelm Müller, der im schwäbischen Dichterkreis um Ludwig Uhland, Justinus Kerner und Wilhelm Hauff verkehrte, in überaus kunstvoll ausgearbeitete Klangbilder, zum Teil wunderschön, aber auch schauerlich düster.

Eine Reise durch die winterliche

und emotionale Landschaft

Die „Winterreise“ beschreibt, wie die Hauptperson, ein einsamer junger Wanderer, nach einer für ihn unglücklich beendeten Liebesbeziehung auf einer ziellosen Reise durch eine kältestarrende Winterlandschaft irrt, die Hoffnungslosigkeit symbolisiert. Laut Götz Payer schwankt der Wanderer auf seinem Weg mit 24 Stationen zwischen Erinnerungen an glückliche Tage und starker Sehnsucht nach Liebe, trügerischen Hoffnungsträumen und depressiver Todessehnsucht. Voller Hingabe und Empfindungsreichtum, mit minutiöser und nuancenreicher Gestaltung der Sprache und Melodik vermittelt Scharr vollendet und berührend das breite Spektrum der Stimmungen und Emotionen in den 24 Liedern. Es reicht von zärtlichsten Liebesträumen über trügerische Hoffnung, aber auch heftigste Gefühlsausbrüche bis zu tiefster Depression. Payer stimmt die Klavierpartien mit höchster Präzision auf den Gesang ab und gestaltet klangmalerisch die Motive, Melodien und Harmonien.

Besonders treffend stellt der Pianist verschiedene Geräusche in Klängen, komplexen Läufen und Figuren, Tempi und Rhythmen dar. So beispielsweise in „Die Wetterfahne“, die man fast knattern zu hören glaubt. Und „Im Dorfe“ illustriert die Klavierpartie, wie die Hunde bellen und die Ketten rasseln. So bringt Payer die unterschiedlichen Stimmungen, bildhaften Beschreibungen und Szenen der Lieder absolut stimmig zur Entfaltung.

Wohl das schönste Lied ist „Der Lindenbaum“, das als „Am Brunnen vor dem Tore“ zum Volkslied wurde. „Frühlingstraum“ wirkt zunächst wie ein heiterer Walzer, in dem der Wanderer „von einer schönen Maid, von Wonne und Seligkeit“ träumt, bevor krähende Hähne ihn wecken und er in scharfem Kontrast dazu die harte, kalte Wirklichkeit erkennt. In „Die Post“ hört er das Posthorn: Da „springt“ sein Herz voller Erwartung, denn die Post kommt aus der Stadt, wo er „ein liebes Liebchen“ hatte, doch ist ihm klar, dass sie ihm keinen Brief bringt. Die Sehnsucht nach einem Haus voller Licht, Wärme und Liebe wird eindrücklich in „Täuschung“ spürbar.

Thomas Scharr gelingt es überzeugend, durch fein abgestufte und angepasste Dynamik der Lautstärke und Nuancierung seiner Stimme eine unglaubliche Palette der Emotionen darzustellen. So beispielsweise in den aufwühlenden Liedern „Gefrorene Tränen“ und „Auf dem Flusse“, in dessen vereiste Decke der Wanderer mit einem spitzen Stein den Namen seiner Liebsten, Stunde und Tag der ersten Begegnung ritzt.

Feierlich wie ein Trauerchoral klingt „Das Wirtshaus“, womit aber ein Friedhof gemeint ist, gleichsam Höhepunkt der Todessehnsucht. Indes begreift der Wanderer, dass er dort (noch) keinen Platz findet, und zieht weiter.

Der Protagonist findet im

„Leiermann“ einen Bruder im Geiste

Im folgenden Lied „Mut!“ reißt er sich wieder aus seiner depressiven Stimmung, trotzt Wind und Wetter und geht „lustig in die Welt hinein“. Im abschließenden Lied „Leiermann“ findet er im armen Leierkastenmann, einem Außenseiter, der barfuß auf dem Eis wankt, mit starren Fingern die Leier dreht, aber von niemandem beachtet wird und dessen kleiner Teller immer leer bleibt, einen Gefährten im Geiste. Mit anhaltend tosendem Applaus und Bravorufen bringt das Publikum seine Begeisterung über die grandiose Interpretation dieses Meisterwerks der Romantik zum Ausdruck.