Ein normales Leben in Deutschland wird Christian B. wohl nicht mehr führen können, zudem ist die britische Presse hinter ihm her.
Immer nah dran: Britischer Fotograf bei seiner Arbeit im Fall Christian B.
Von Michael Maier
Am Ende hatte die Staatsanwaltschaft Braunschweig keinen Haftbefehl wegen des möglicherweise dringenden Tatverdachts im Fall Maddie in der Hinterhand. Manche Beobachter hatten damit gerechnet, dass Christian B. sofort am Gefängnistor wieder festgenommen wird, doch der deutsche Hauptverdächtige im Fall des 2007 in Portugal verschwundenen britischen Mädchens Madeleine „Maddie“ McCann ist seit Mittwochmorgen tatsächlich in Freiheit.
Christian B. verließ die Justizvollzugsanstalt im niedersächsischen Sehnde gegen 9.15 Uhr in einer Limousine mit getönten Scheiben, begleitet von seinem Anwalt. Die Polizei eskortierte das Fahrzeug ein Stück weit – und zog britische Fotografen bei ihrer Arbeit zurück.
Gemeingefährlicher Vergewaltiger Christian B.
Der 48-Jährige hatte in der JVA Sehnde eine siebenjährige Haftstrafe wegen der Vergewaltigung einer 72-jährigen US-amerikanischen Touristin in Portugal im Jahr 2005 verbüßt. Im vergangenen Jahr wurde B. in einem weiteren Prozess zu mehreren mutmaßlichen Vergewaltigungen in Portugal vom Landgericht Braunschweig freigesprochen.
Für die Justiz ist der Mittwoch trotz allem nicht zur befürchteten Totalpleite geworden. Nach seiner Entlassung unterliegt Christian B. strengen Auflagen. Laut einem Beschluss des Landgerichts Hildesheim vom 9. September muss er eine elektronische Fußfessel tragen und seinen Reisepass abgeben.
Zudem erhält er einen auf Deutschland beschränkten Personalausweis und muss sich regelmäßig bei der Führungsaufsichtsstelle und der Bewährungshilfe melden. Des Weiteren wurde verfügt, dass B. einen festen Wohnsitz nehmen muss, den er ohne Genehmigung nicht verlassen darf.
De-facto-Untersuchungshaft für Christian B.?
Seine Verteidiger haben bereits angekündigt, gegen diese Führungsaufsicht Beschwerde einzulegen. Rechtsanwalt Philipp Marquort bezeichnete die Auflagen gegenüber dem „Spiegel“ als „Versuch der Staatsanwaltschaft, ihn in einer Art Untersuchungshaft zu halten“.
Die Stadt Sehnde hatte B. in einem Bescheid vom 9. September mitgeteilt, dass ihm sein Reisepass entzogen werde. In einer sogenannten Fallkonferenz der Behörden am 3. Juli wurde ein Risiko festgestellt, dass B. weitere Straftaten begehen könnte. Außerdem bestehe die Gefahr, dass er sich ins Ausland absetzen könnte.
Laut RTL-Reporter Ulrich Oppold, der sich vor der Entlassung mit Christian B. in der JVA Sehnde traf, möchte der Deutsche künftig nicht mehr in seiner Heimat leben, da er „bekannt wie ein bunter Hund“ sei. Nach seiner Entlassung wolle er „ein ordentliches Steak und ein Bier“ genießen.
Hauptverdächtiger im Fall Maddie
Im Fall der vermissten Maddie gilt Christian B. seit Jahren als Hauptverdächtiger. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ist für die Ermittlungen zuständig, da B. zuletzt in Braunschweig gemeldet war, wo er vor seiner Haft einen Kiosk betrieben hatte. Sein Handy soll am Abend der Tat in der Nähe der Ferienanlage eingeloggt gewesen sein, aus der das dreijährige Mädchen verschwand. Zudem soll ein Zellengenosse angegeben haben, B. habe die Entführung gestanden.
Obwohl die Staatsanwaltschaft B. beschuldigt, die damals Dreijährige entführt und getötet zu haben, wurde bisher keine Anklage erhoben. Der Sprecher der Staatsanwaltschaft Braunschweig, Christian Wolters, verteidigte jedoch den Schritt an die Öffentlichkeit im Fall „Maddie“. „Wir haben jetzt fünf Jahre die Tipps abgearbeitet und sind immer noch dabei“, sagte Wolters. „Es hat sich nichts gefunden, was gegen unseren Tatverdächtigen sprechen würde, kein Alibi, nichts Entlastendes.“
Maddie-Verdächtiger in „Topliga der Gefährlichkeit“
Zwar übersieht Wolters dabei, dass es dem Verdächtigen nicht obliegt, seine Unschuld zu beweisen, sondern umgekehrt seine Schuld bewiesen werden muss, doch könnte die Staatsanwaltschaft womöglich jederzeit einen neuen Haftbefehl erlassen – die Indizien dafür erscheinen ausreichend. Der Zeitpunkt könnte eine Frage der Prozesstaktik sein, da Christian B. bereits einmal überraschend von anderen Taten freigesprochen wurde, was man nicht erneut riskieren will. Als Haftgrund könnte bei einer Anklage möglicherweise Fluchtgefahr angeführt werden. Bis auf Weiteres gilt für ihn jedoch die Unschuldsvermutung im Fall Maddie.
Fall Maddie mit „Entführung auf Bestellung“?
Ein Psychiater stufte B. im September 2024 in einem Prozess vor dem Landgericht Braunschweig in „die absolute Topliga der Gefährlichkeit“ ein. Zuvor hatte B. jegliche Art von Therapien und Gesprächen verweigert. Manche Beobachter vergleichen den Fall Maddie indes mit der „Causa Epstein“ in einer noch schlimmeren Version, da in der Vergangenheit über eine mutmaßliche „Entführung auf Bestellung“ berichtet worden war. Sollte das zutreffen könnten der oder die Täter als eine Art Handlanger für andere Hintermänner agiert haben.
B.s Anwalt Friedrich Fülscher kritisierte im Vorfeld der Freilassung die „Vorverurteilung“ seines Mandanten durch die Staatsanwaltschaft. Er glaube nicht, dass B. in Zukunft ein normales Leben werde führen können. Eine nachträgliche Sicherungsverwahrung für B. kann ohne erneutes Urteil jedoch nicht verhängt werden, da die rechtlichen Voraussetzungen dafür nicht vorliegen. Unter anderem fehlt es bei B. bislang an einer Zwangsunterbringung in der Psychiatrie.