Nach 50 Jahren ist Schluss

Bei Sport Rössle schließen sich Ende des Monats die Ladentüren für immer. Annelies Rössle hatte das Murrhardter Geschäft in der Hauptstraße 46 nach dem Tod ihres Mannes Heinrich mit ihrer Tochter Barbara Noller weitergeführt.

Nach 50 Jahren ist Schluss

Annelies Rössle (rechts) und ihre Tochter Barbara Noller vor dem Geschäft in der Fußgängerzone. In den letzten Jahren kamen zur starken Konkurrenz durch den Online-Handel auch weitere Rahmenbedingungen, die ihre Lage erschwert haben, und nun haben sie sich entschlossen, den Laden zu schließen. Später, wenn die Waren ausgeräumt und die zugehörige Werkstatt aufgelöst ist, soll er wieder vermietet werden. Foto: J. Fiedler

Christine Schick

MURRHARDT. Noch im Januar hat das Murrhardter Sportgeschäft in der Fußgängerzone sein 50-jähriges Bestehen gefeiert. Das Jahr wird nun auch dasjenige sein, in dem das Murrhardter Fachgeschäfts schließt. Annelies Rössle, mittlerweile 87 Jahre alt, erinnert sich noch gut an die Anfänge. Die Familie betrieb damals zwei Läden. Zum einen ein Feinkostgeschäft in dem Haus der Hauptstraße 42, das heute einen Fischladen beheimatet, zum anderen ein Obst- und Gemüsegeschäft am heutigen Standort des Bistros Jolly, Hauptstraße 44.

Dort, wo sich heute Sport Rössle, Hauptstraße 46, befindet, stand 1970 ein Fachwerkgebäude, das die Familie mit dem zugehörigen Areal kaufte. Sie und ihr Mann Heinrich eröffneten in diesem Jahr ihr Sportgeschäft. „Wir waren ja beide sportlich interessiert“, erzählt sie. Auf den Fuß folgten aber auch Probleme. Denn das Straßenbauamt des Kreises hatte Pläne, die Straße dort zu verbreitern. „Wir haben angeboten, auf den Vorbau des Hauses zu verzichten, aber sie haben auf dem Abriss bestanden.“ Also blieb dem Ehepaar nichts anderes übrig, dies hinzunehmen. Da der Laden aber bereits eröffnet war, suchten die beiden nach einer Alternative. Schließlich organisierten sie eine sogenannte Brauereibaracke, die sie versetzt auf dem Gelände platzierten und die Heimat des Sportgeschäfts wurde. Auch privat machte sich bemerkbar, dass Heinrich und Annelies Rössle begeisterte Sportler, insbesondere Skifahrer waren. In Altersberg bauten sie den ersten Skilift mit einem Wankelmotor auf, Heinrich Rössle engagierte sich in der Skizunft des TV Murrhardt, stand ihr auch vor. Es bildete sich zudem eine Gruppe von Alpinskifahrern aus dem Kreis. „Skifahren war in, und es kam eine Trimm-dich-Welle auf.“

Auch den Besuch der polnischen Fußballnationalmannschaft zur Zeit der Weltmeisterschaft 1974 hat Annelies Rössle noch gut im Gedächtnis. Nicht zuletzt, weil die Männer zwar in Gala-Anzügen für Aufnahmen ausgestattet waren und zumindest ihre Sportschuhe noch im Gepäck hatten, als sie nach Murrhardt kamen – sie übernachteten in der Sonne-Post –, allerdings keine weitere Ausrüstung. „Sie wollten aber im Stadion trainieren. Also haben wir sie mit T-Shirts und Sporthosen versorgt.“ Ihre Familie wuchs – Annelies und Heinrich Rössle bekamen zwei Töchter – und sie konzentrierten sich stärker auf das Sportgeschäft, gaben den Obst- und Gemüseladen auf. Das Feinkostgeschäft war bereits 1970 Geschichte. Das bauliche Provisorium währte lange. Die mit Holz verkleidete Baracke gefiel aber insbesondere Amerikanern, die beispielsweise von Heilbronn nach Murrhardt ins Geschäft kamen, und die für sie ein gewisses Wildwestflair ausgestrahlt habe, erzählt Annelies Rössle. Auch aus anderen Städten und Regionen gab es Kunden, die gezielt vorbeischauten.

Als Skibegeisterte entdeckte die Familie dann auch eine Variante, die in den 1980er-Jahren aufkam – der Grasski – und verfolgte den Sport nicht nur, sondern baute auch eine Gruppe an Interessierten auf, die dies als „Rennstall“ durchaus ehrgeizig verfolgte.

Ende der 1980er-Jahre veränderte sich die Lage für das Geschäft und das fast 20 Jahre bestehende Provisorium. Die Kreissparkasse dachte über einen Neubau nach und klopfte in Bezug auf das Grundstück an. Eine Baugesellschaft bot sich an, weil sie in Murrhardt auch noch Pläne für weitere Häuser hatte. Rössles nahmen das Projekt eines großen, aufgeteilten Ensemblebaus am Oberen Tor in Angriff. Allerdings ging die Baugesellschaft in die Insolvenz, berichtet Annelies Rössle. Eine weitere Hürde also, die die Familie zu nehmen hatte. Der Neubau war 1989 bezugsfertig und so erhielt Sport Rössle sein neues Geschäft, ebenso die Kreissparkasse im linken, angegliederten Teil des Ensembles.

Der Umzug bedeutete genauso wie der Alltag als Einzelhändler „viel, viel Arbeit“. An Urlaub sei nicht zu denken gewesen. „Wir mussten auch immer Aktionen machen“, sagt Annelies Rössle. Das Geschäft war wie andere im damaligen Bund der Selbständigen aktiv, zu den Extraevents gehörten beispielsweise Modenschauen mit Sportbekleidung oder die Teilnahme an Weihnachtsmärkten, bei denen die Stände mit Waren aber ausschließlich vor den Geschäften aufgebaut wurden. Annelies Rössle hatte den Vorteil, die Arbeit auch aus einem fachlich-interessierten Blickwinkel beobachten zu können. Den brachte sie durch ihr Studium der Bekleidungsphysiologie an den Hohenstein-Instituten in Bönnigheim im Kreis Ludwigsburg mit. „Das war schon spannend zu sehen, wie sich die Sportbekleidung, die Stoffe und Verarbeitung entwickelt haben“, sagt sie. Zu den Sport- kamen allmählich auch immer mehr Freizeitartikel.

Im Jahr 2013 erfolgte eine Zäsur. Annelies Rössles Mann Heinrich starb und sie musste entscheiden, wie es weitergehen sollte. Ihre Tochter Barbara Noller, gelernte Einzelhandelskauffrau mit Schwerpunkt Sportartikel, sprang ihrer Mutter zur Seite und übernahm den Verkauf im Laden, Annelies Rössle kümmert sich um die Buchhaltung. Ihre Tochter Christine Rössle lebt nicht in der Nähe – sie hat es nach ihrem Sportstudium in Köln mit ihrem Mann nach Holland gezogen.

Die Situation für den Einzelhandel ist nicht einfacher geworden, wie auch andere bekommt Sport Rössle die massive Konkurrenz durch den Online-Handel zu spüren. Barbara Noller stellt fest, dass aber auch die großen Firmen immer härtere Bedingungen stellen wie beispielsweise die Abnahme von großen Chargen. Nicht vorteilhaft ausgewirkt habe sich auch die Eröffnung der Murrarkaden an der Fritz-Schweizer-Straße und seit Längerem würden Artikel der Sport- und Freizeitbranche auch von anderer Seite wie Discountern vertrieben. Jedes Jahr habe das Geschäft ein Stück weit abgenommen. „Und wer bisher noch nicht im Internet bestellt hat, hat es jetzt mit Corona gelernt“, sagt Barbara Noller.

So wird Ende September nun ein Schlussstrich gezogen. Annelies Rössle wird sich in den Ruhestand verabschieden, ihre Tochter muss sich dann nach einer neuen beruflichen Möglichkeit umsehen. „Ich lass das auch ein bisschen auf mich zukommen“, sagt sie. Und ihre Mutter appelliert an die Murrhardter: „Liebe Leute, nützt, stützt und schützt euren Einzelhandel im Städtle. Sonst stehen noch mehr Läden leer.“

Nach 50 Jahren ist Schluss

Die Anfänge: Nachdem der ursprüngliche Standort des Geschäfts, ein Fachwerkhaus, im Jahr der Eröffnung 1970 wegen der Verbreiterung der Straße abgerissen wurde, setzten Rössles auf ein Provisorium mit Holzverkleidung. Die Aufnahme zeigt auch die Leidenschaft für den Ski- und Wintersport in den Schaufenstern. Foto: privat