Närrische Regentschaft und Tauffreuden

Die Murreder Henderwäldler müssen beim Rathaussturm nach dem Bürgermeister fahnden. Der findet sich im Gasthof Engel und gibt sich der hartnäckigen Zunft schließlich geschlagen. Es folgt eine Taufzeremonie, bei der es einem heiß und kalt wird.

Närrische Regentschaft und Tauffreuden

Die Murreder Hendlerwäldler, noch im Hemdglonkergewand, stellen als Zeichen dafür, dass sie nun das Sagen haben, einen Narrenbaum vor dem Rathaus auf. Fotos: Stefan Bossow

Von Christine Schick

Murrhardt. Wie anderenorts auch können die Murreder Henderwäldler erstmals nach Coronazeiten den Start in die fünfte Jahreszeit in gewohnter Form begehen. Ihrer Einladung zum Murrhardter Marktplatz sind viele Gäste gefolgt. Zum Auftakt lassen die Henderwäldler die Peitschen knallen, dann kommt eine Abordnung vom Oberen Tor mit einem stattlichen Karren samt Narrenbaum, gezogen von zwei edlen Kaltblütern, zum Platz – und zwar mit beachtlicher, auch musikalisch schlagkräftiger Unterstützung. Beim Rathaussturm stärken ihnen elf Zünfte und Karnevalsvereine inklusive zwei Guggenmusikgruppen aus der ganzen Region den Rücken.

Keine schlechte Ausgangssituation fürs Zunftmeisterduo Diana Spreu und Matthias Schlichenmaier, die auf der Bühne gegenüber dem Rathaus Stellung beziehen. Doch die beiden müssen feststellen, dass das Rathaus verdächtig still und verlassen wirkt – kein Bürgermeister weit und breit. „Feigling!“, ruft’s aus den Unterstützerreihen. Nun gut, dann ließe sich der Regierungssitz diesmal vielleicht ohne Kräftemessen übernehmen. Doch als über den städtischen Verwaltungschef und das Antreiben seiner Leute sinniert wird, meldet sich der aus dem Gasthof Engel schräg gegenüber selbstbewusst zurück: „Wer hat hier so viel Meinung?“, ruft er aus einem Fenster der Gaststube. Zudem stellt er fest, dass er nicht nur engagiert verwaltet, sondern auch beim Feierabendviertele nicht gestört sein will. Seine Ruhe kann er doch haben, einfach den Rathausschlüssel rausrücken, so der Vorschlag von Matthias Schlichenmaier. „Im Leben net“, lässt der Bürgermeister wissen. Also schickt Diana Spreu eine Abordnung der Henderwäldler gen Engel.

Ein Klärwärterhaus als Stadtarchiv ohne Fenster scheint den Narren suboptimal

Während aus dem Gasthoffenster süße Gaben für die Zuschauerinnen und Zuschauer fliegen, kontert das Zunftmeisterduo mit närrischer Verwaltungskritik. Ein Stadtarchiv in einem Klärwärterhaus ohne Fenster, Luft und Licht ist selbst für den hartnäckigsten Bücherwurm ein Graus und stellt infrage, wie es um die Führungskompetenzen des Verwaltungschefs bestellt ist. Das ficht den nicht groß an, vielmehr allerdings eine drohende Übernahme, mit der die Ordnung außer Kraft gesetzt wird. Aber die ist nicht nur traditionell unausweichlich.

Erst verhaften die Murreder Henderwäldler Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des städtischen Verwaltungsteams, dann Gemeinderätinnen und -räte und schließlich Bürgermeister Armin Mößner. Auf der Rathaustreppe angekommen, gibt er wegen des Guggenmusikkrachs klein bei, rückt den Schlüssel raus und wird zur Strafe verdonnert – er muss die Mädchen und Jungen beim Kinderumzug mit Süßem versorgen. Nun ist es Zeit, die Fahne der Henderwäldler am Rathausbalkon aufzuhängen und den Narrenbaum aufzustellen, was die Guggenmusikgruppen wie schon den Rathaussturm gebührend begleiten. Während närrisch ausgelassener Runden über den Marktplatz wird das Folgeevent vorbereitet: Die Taufe dreier Wasserfratzen und zweier Feuerbarthl steht an. Und die wird eindrücklich zelebriert. Als Jungnarren haben die fünf schon ein paar Jahre in den Reihen der Murreder Henderwäldler Dienst getan, werden nun „durch fröhlich mystische Tat“ geehrt und in die Zunftgesellenmitte aufgenommen. Wie der Narrenbaum zuvor kommen sie nun gemeinsam mit ihren Täufern per rossgezogenem Wagen auf den Marktplatz.

Wogende Wasser und züngelnde Feuer: eine kontrastreiche Taufprozedur

Auf der Bühne haben sich auch die Narreneltern zur familiären Unterstützung eingefunden, das Feuer in der Eisenschale ist angeschürt, das kühle Nass steht bereit und der Initiationsritus kann beginnen. „Wogende Wasser weihet der Narren Weisheit und Würde, züngelnde Feuer ermahnen die Toren zu Treue und ewiger Bürde“, sagt Diana Spreu feierlich. Als erstes sind die künftigen Feuerbarthl Jannika Schultheiß und Maike Elser an der Reihe. Matthias Schlichenmaier stellt fest: „Flammende Feuer, furchtbringende Glut, Asche, Hitze und Rauch erfordern vollen Mut.“ Anders geht es nicht, steht die Figur doch für den verheerenden Stadtbrand im Jahr 1765. Das heißt für die Täuflinge, sich erst von den Zunftkollegen genüsslich über dem Feuerkorb schaukeln und im Anschluss mit einer kräftigen Ladung Asche ablöschen zu lassen. Dann das Kontrastprogramm: Nils Löchner, Florian Munz und Lara Herburger stellen sich den wogenenden Wassern, die in dieser Jahreszeit äußerst frisch daherkommen. Aber als künftige Wasserfratzen, die als sagenumwobene Quellgeister im kühlen Nass und Wald verortet sind, müssen sie da durch. Die Stile dabei sind ganz individuell und reichen von stoisch-hingebungsvoll über sieges- bis schreifreudig. Schließlich ist’s vollbracht und die fünf können nun hochoffiziell als getaufte Gruppenfiguren antreten – Gelegenheit besteht schon heute ab 19.11 Uhr, wenn der Nachtumzug in der Altstadt steigt.

Närrische Regentschaft und Tauffreuden

...und Nils Löchner genüsslich mit Wasser übergossen.

Närrische Regentschaft und Tauffreuden

Maike Elser wird bei der Taufe über der Feuerschale gebraten...

Närrische Regentschaft und Tauffreuden

Matthias Schlichenmaier und Diana Spreu beim Schlagabtausch mit Bürgermeister Armin Mößner, der sich im Engel verschanzt hat.

Elf Fasnetgruppen unterstützen die Henderwäldler, die vor 40 Jahren gegründet wurden, beim Geschehen

Narrensolidarität Den Rathaussturm und die Taufe als Unterstützer begleitet haben die Querköpf Winnenden, die Heuler-Hexen-Zunft Filderstadt, die erste Narrenzunft Althütte und Auenwald, die Reichenberger Burghexen, der Backnanger Karnevalsclub und die Lohkäs-Trampler, der Unterweissacher Carnevals Club, der erste Fasnetsverein Steinheim, die Bottwartäler Schlehbeucher, die Narrenzunft Großerlacher Schelmenbuckel und der erste Karnevalsverein Leonberg mit der Guggenmusik Leo Valentinos.

Narrengeschichte Dass der Gasthof Engel ins Geschehen eingebunden war, hat auch historische Gründe. Dort wurde die Narrenzunft im Februar 1983, also vor 40 Jahren, aus der Taufe gehoben. Das ist aus närrischer Sicht kein Jubiläum, der runde Geburtstag sei aber trotzdem an dieser Stelle erwähnt.