Gut vernetzt und gefährlich

Neue rechte Jugendgruppen sprießen aus dem Boden

Seit Mitte 2024 sind in Deutschland mehrere neue rechtsextremistische Gruppen entstanden. Das hat nach Einschätzung des BKA womöglich auch mit den Spätfolgen der Corona-Pandemie zu tun.

Neue rechte Jugendgruppen sprießen aus dem Boden

Teilnehmer einer rechtsextremen Demonstration werden in Bautzen von Polizisten begleitet Archivbild).

Von Anne-Beatrice Clasmann (dpa)/Markus Brauer

Binnen eines Jahres sind in Deutschland laut Bundestag mehrere rechte Jugendgruppen mit insgesamt mehreren hundert Anhängern entstanden, die teils auch vor schweren Gewalttaten nicht zurückschrecken.

„Die Polizeibehörden aus Bund und Ländern beobachten seit etwa Mitte vergangenen Jahres, dass in der rechten Szene neue Jugendgruppen in Erscheinung getreten sind, die sich zunächst im virtuellen Raum gegründet haben“, hat ein Sprecher des Bundeskriminalamts (BKA) mitgeteilt. Diese fielen inzwischen vermehrt durch Veranstaltungen, Straftaten und Störaktionen auf. „Die Jugendgruppierungen sind bundesweit vernetzt und setzen sich aus verschiedenen regionalen Ablegern zusammen.“

Rekrutierung über Social Media

Proteste gegen CSD-Paraden

Plattformen wie Tiktok, Instagram und Youtube würden genutzt, um neue Mitglieder zu rekrutieren und für Aktionen zu mobilisieren. Vor allem für Gegendemonstrationen zu Christopher-Street-Day-Veranstaltungen und für Aktionen, die sich gegen „Demos gegen rechts“ richten. Polizeilich seien Mitglieder dieser Gruppen bislang mit Propagandadelikten und Gewalttaten in Erscheinung getreten.

Nachwuchs der Partei „Die Heimat“

Während der Verfassungsschutz der rechtsextremen Partei „Die Heimat“ (vormals NPD) in seinem Jahresbericht 2024 weiterhin eine „markante Mobilisierungsschwäche“ attestiert, beobachtet er bei der Nachwuchsorganisation „Junge Nationalisten» (JN) einen deutlichen Zuwachs sowohl der Anhängerschaft als auch des Aktivitätsniveaus.

„Ein gewaltsamer Übergriff auf den sächsischen Spitzenkandidaten der SPD im Europawahlkampf durch Angehörige und Personen aus dem Umfeld des Dresdener JN-Stützpunkts ‚Elblandrevolte‘ unterstreicht die Radikalität in Teilen des Jugendverbands“, heißt es in dem Bericht.

Gegen die „Letzte Verteidigungswelle“ waren Ermittler im Mai mit einer bundesweiten Razzia vorgegangen. Die Bundesanwaltschaft ließ fünf Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Hessen festnehmen.

Brandanschläge und Nazi-Sprüche

Mit Anschlägen auf Asylunterkünfte und linke Einrichtungen habe die Gruppe das demokratische System der Bundesrepublik zum Zusammenbruch bringen wollen, so die Bundesanwaltschaft:

Gewalttaten gegen „politische Gegner“

In einem Berliner Prozess gestand ein 24-Jähriger, der nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden in Berlin und Brandenburg eine leitende Funktion in der Gruppe „Deutsche Jugend Voran“ hat, die ihm vorgeworfenen Taten und äußerte Reue. Der Mann, der zu einer Haftstrafe verurteilt wurde, hatte mit weiteren mutmaßlichen Neonazis Menschen attackiert, die Kleidung mit „Antifa“-Emblemen trugen.

Zu den Feindbildern der neuen rechten Jugendgruppen zählen neben als „politische Gegner“ identifizierten Menschen unter anderem die LGBTQ-Community sowie Zuwanderer. Bei einzelnen Gruppen spiele „Ausländerfeindlichkeit“ eine Rolle und auch die Verwendung von Symbolik des Nationalsozialismus, betont ein BKA-Sprecher. Antisemitismus sei bei den rechten Jugendgruppen jedoch insgesamt „kein prägendes Element“.

Wenn Eltern, Lehrer oder Freunde Hilfe suchen, weil sie merken, dass Jugendliche in rechtsextreme Gruppen abgleiten, ist es oft schon zu spät. Häufig würden Radikalisierungsprozesse nicht erkannt, oder es werde zu lange versucht, das Problem selbst zu lösen, so ein BKA-Sprecher.

Wie kommt es zu der Mobilisierung?

Dass sich soziale Aktivitäten mit der Corona-Pandemie stark in den digitalen Raum verlagert hätten, habe extremistischen Akteuren eine „gute Andockstelle“ für die Verbreitung ihrer Ideologie verschafft, fügt der BKA-Experte hinzu.

Erfahrungen von Vereinzelung und Ohnmacht würden typischerweise über die Suche nach Gewissheit sowie einem „leistungsunabhängigem Zugehörigkeitsgefühl“ bewältigt. Bestärkt durch Dauerkrisen, aber auch durch „das Einsickern rechtsextrem ideologischer Versatzstücke in gesellschaftliche Diskurse, wird die Gefahr einer wahrgenommenen Verschiebung sozialer Normen begünstigt“.

Das beeinflusse wiederum auch das Verhalten des Einzelnen. Wenn rechtsextreme Akteure durch öffentliche Rhetorik oder digitale Mobilisierung den Eindruck vermittelten, diskriminierende Haltungen seien normal oder legitim, sinke bei dafür empfänglichen Menschen die Hemmschwelle für Gewalt, resümiert der BKA-Mitarbeiter.