Der Australier ist nicht nur ähnlich cool wie einst Kimi Räikkönen, er mischt in dieser Saison die Formel 1 auch richtig auf. Vor dem Grand Prix in Imola führt er die Fahrerwertung an.
Oscar Piastri feiert mit Champagner seinen Sieg zuletzt in Miami.
Von Elmar Brümmer
Oscarreif, das Wortspiel musste ja kommen. Hiermit ist es gemacht. Aus gegebenem Anlass. Mag ganz Italien vor dem Großen Preis der Emilia-Romagna am Sonntag (15 Uhr) auch vom einheimischen Wunderkind Andrea Kimi Antonelli schwärmen, zeigt der Blick an die WM-Tabellenspitze, wer der Mann der Runde in der Formel 1 ist: Oscar Piastri hat vier der sechs Rennen im ersten Saisonviertel gewonnen und führt mit 16 Punkten auf seinen McLaren-Teamkollegen Lando Norris, dem eigentlichen Favoriten.
Der eiskalte Vollstrecker, der Iceman von heute, ist Oscar Piastri
Das besitzt auch einen hohen mentalen Wert: ein Australier übertrumpft Englands große Titelhoffnung in einem zwar von einem Neuseeländer gegründeten, aber ansonsten zutiefst britischem Rennstall. Immer dann, wenn sich ein Formel-1-Rennfahrer durch besonders abgebrühte Fahrweise in Kombination mit sehr spärlichen Kommentaren hervortut, scheint er unvermeidlich, der Vergleich zu Kimi Räikkönen. Vor allem zu dem Spitznamen, den der Finne ob seiner Art zu fahren und zu reden verpasst bekommen hatte: Der Iceman. Der eiskalte Vollstrecker von heute ist in bester Tradition Oscar Piastri. Mit einer beinahe schmerzhaften Effizienz, die mit Coolness nur unzureichend beschrieben wäre.
Der Mann aus Melbourne ist der erste Australier seit Mark Webber 2010, der die Formel 1 anführt. Der ehemalige Red-Bull-Pilot Webber, der damals am Ende WM-Dritter wurde, ist heute der Mann, der die Strippen für Piastri zieht. Über seinen Schützling sagt er: „Oscar ist sehr methodisch. Und chirurgisch in dem, was er tut.“ Nachsatz: „Sehr klinisch.“ Einer, der meist in der ersten Kurve die Entscheidung erzwingt, damit er den Rest des Rennens in Ruhe mit sich verbringen kann. Der derzeit beste Fahrer im momentan besten Auto.
Es mit Champion Max Verstappen aufzunehmen, gehört zu seinen vornehmsten Tugenden. Der Niederländer, nicht gerade für seinen Gemeinschaftssinn bekannt, lobte nach dem ersten Zweikampf sogar: „Er geht die Dinge sehr ruhig an, das gefällt mir. Er liefert, wenn er muss, macht kaum Fehler – und genau das braucht man, wenn man um eine Meisterschaft kämpfen will.“ Man dürfe auch nicht vergessen, dass es erst die dritte Formel-1-Saison des 24-Jährigen sei.
Titelverteidiger Max Verstappen sieht Parallelen
Die ungewöhnliche Lobeshymne zeigt, dass der mit Lando Norris befreundete Titelverteidiger den neuen Rivalen akzeptiert. Wohl auch, weil er Parallelen im Werdegang entdeckt. Max Verstappen weist auf die Bedeutung von Mentor und Manager Webber hin: „Menschen lernen aus ihrer eigenen Karriere – ganz ähnlich war es bei meinem Vater und mir.“ Tatsächlich befindet sich Piastri schon nach seinem 52. Grand-Prix-Rennen in jener aussichtsreichen Position, für die ihn einst der damalige deutsche McLaren-Teamchef Andreas Seidl auserkoren und in einem ebenso raffinierten wie gnadenlosen Manöver bei Alpine abgeworben hatte. Den französischen Ausbildungsbetrieb hatte der Formel-2-Champion verlassen, weil ihm dort die Klarheit fehlte. Vorausschauend, seinem Charakter entsprechend.
Wenn Lando Norris nur mental so stark wäre, die beiden würden allein vorneweg fahren wie einst Lewis Hamilton und Nico Rosberg. Doch Norris stöhnt nach verpatzten Qualifikationen und Rennstarts: „Irgendwas macht bei mir gerade nicht klick. Ich wünschte, ich wüsste eine Antwort auf das alles.“ Dann drückt er seine ganze Sehnsucht und den Neid auf den Kollegen aus: „Ich wünschte, ich könnte eines Tages auch wieder mit meinem Auto tanzen.“
Oscar Piastri ist neben Max Verstappen und Fernando Alonso die härteste Nuss, die es in der Formel 1 zu knacken gibt. Teamchef Andrea Stella, der zum Wohle der Konstrukteurs-Weltmeisterschaft als Gleichstellungsbeauftragter zwischen seinen beiden Fahrern fungiert, weiß auch, dass sich die Beziehung der Piloten gerade an einem vorentscheidenden Punkt befindet. „Oscar hat keine Stimmen im Kopf, was in der Formel 1 sehr nützlich ist“, analysiert Ingenieur Stella, „dadurch verarbeitet er in entscheidenden Situationen alle Informationen besser und verbessert sich sehr schnell.“ Norris dagegen höre zu sehr auf die Nebengeräusche. McLaren-Boss Zak Brown sieht mit Blick auf die Preisgelder in den so unterschiedlichen Mentalitäten seiner Schützlinge generell einen Vorteil: „Oscar und Lando lernen voneinander, so machen sie sich gegenseitig Druck und werden damit besser.“ Die Frage ist nur, wer diesem Druck auf Dauer besser widerstehen kann – und wer daran am Ende zerbricht.
Teaminterne Konkurrenzkämpfe bei McLaren wie einst zwischen Hamilton und Alonso?
Zu einem Krieg der Sterne, wie im Jahr 2007 zwischen Lewis Hamilton und Fernando Alonso, soll es bei McLaren nicht wieder kommen. Dafür wurde eine interne Gesetzgebung namens „papaya rules“ geschaffen. Aber Legislative und Exekutive sind zweierlei in einem aufgeheizten Rad-an-Rad-Duell. „Wir wissen beide genau, wo unsere Stärken liegen. Eng war es zwischen uns schon immer. Uns ist bewusst, dass es zu einem Kampf kommen wird“, sagt Oscar Piastri. Dann wechselt er ins Perspektivische: „Wir wollen beide den langfristigen Erfolg. Solange wir bei McLaren sind. Und das wird bei uns beiden noch eine lange Zeit so sein. Wir wollen nicht nur diese einmalige Chance, sondern dass wir sie für viele Jahre haben werden. Das muss man immer im Hinterkopf behalten.“
Sagt es, und zeigt sein Engelsgesicht. So lange, bis das Visier wieder herunterklappt.