Raus aus dem Sattel und rein in die Stiefel

Als Radballer beim RSV Waldrems feierte Marc Grün einst große Erfolge, längst ist aber das Bergsteigen seine große Leidenschaft. Morgen geht’s für einen Monat nach Nepal, um erstmals einen Siebentausender zu bezwingen. 2023 soll es mit dem Cho Oyu dann ein Achttausender werden.

Raus aus dem Sattel und rein in die Stiefel

„Ich hatte immer eine Affinität zu den Bergen“, sagt Marc Grün, der hier auf der Weißkugel in Tirol und Südtirol unterwegs ist. Foto: privat

Von Steffen Grün

Wer in Waldrems aufwächst, für den ist der Weg in die Radsporthalle so gut wie vorgezeichnet. Backnangs südlicher Stadtteil ist eine Radballhochburg, der ganze Radsportverein eine Institution. Marc Grün wohnte mit seiner Familie zwar in Maubach, doch das ist nur einen Steinwurf entfernt und außerdem waren seine Eltern beim RSV Waldrems aktiv. Der Bub schaute den Größeren zu, wie sie sich den Ball mit dem Drahtesel zielsicher zupassten und ihn mit einem eleganten Schwung im gegnerischen Tor versenkten. Das will ich auch probieren, dachte sich der Sechsjährige, und das war eine gute Idee. Er feierte große Erfolge, der deutsche Meistertitel bei den Schülern B mit seinem Partner Thorsten Völk war 1990 der Höhepunkt. Weitere Treppchenplätze – auch mit dem Fünferteam – gab es obendrein. Nach rund zwei Jahrzehnten stieg Marc Grün vor allem deshalb endgültig vom Sattel, weil ihm eine Schulter nach einer schweren Verletzung hartnäckige Probleme bereitete.

Zu diesem Zeitpunkt hatte ihn mit dem Bergsteigen aber längst eine zweite Leidenschaft gepackt. Die zwei Sportarten hätten „eigentlich nichts miteinander zu tun“, sagt der 43-Jährige, doch es gab die Querverbindung: Weil er als Radballer zu der Sportfördergruppe der Bundeswehr zählte, blieb die Zeit, um zum Konditionstraining ins Allgäu oder die Alpen zu fahren. „Ich hatte immer eine Affinität zu den Bergen“, betont Marc Grün, der quasi noch in Windeln auf Skiern oder dem Snowboard stand. Mittlerweile ist es aber mehr als das, er richtet sein Leben ein Stück weit nach dem großen Hobby aus: „Dass ich schnell in den Bergen sein will, war ein Grund für den Umzug nach Ulm.“

In den Alpen ist schon vieles abgehakt, auch den Mont Blanc hat Grün bestiegen

Begonnen hatte einst alles mit dem Versuch, mit Kumpels den Gipfel des Grünten auf vergleichsweise bescheidenen 1738 Metern zu erklimmen. Es klappte nicht, „also bin ich vier Wochen später allein noch einmal hin, dann habe ich es geschafft. Damals hat es mich gepackt.“ In den Alpen hat der frühere Radballer bereits einige Viertausender bestiegen, darunter war mit dem Mont Blanc (4810 Meter) auch der höchste. Klassiker wie Großglockner, Großvenediger und Wildspitze sind ebenfalls abgehakt, das genügt ihm jedoch nicht. „Wo es hier zu Ende ist, geht es dort erst richtig los“, sagt Marc Grün und meint die Giganten im Himalaya mit den Basislagern auf rund 5000 Metern. Technisch anspruchsvoll zu klettern sei in den Alpen auch möglich, „aber mich fasziniert, was die Höhe mit dem Körper macht. Er beschwert sich die ganze Zeit.“ Schwindel, Kopfweh oder Magen-Darm-Probleme sind noch harmlos, doch im Extremfall drohen Hirn- und Lungenödeme. „Damit muss sich jeder befassen, dieser medizinische Aspekt interessiert mich auch.“ Ihn ärgert es, dass mittlerweile oft der Eindruck erweckt wird oder es manchmal sogar stimmt, dass mit dem nötigen Kleingeld und der Hilfe lokaler Sherpas jeder ohne Mühe die höchsten Gipfel des Himalayas erreichen kann.

Marc Grüns Ansatz ist das nicht. Er will alles aus eigener Kraft schaffen, tastet sich langsam an größere Herausforderungen heran. Dazu gehört das Gefühl des Scheiterns – wie 2016, als der Schwabe in Argentinien am Aconcagua auf 6500 Metern mit seinen Kräften am Ende war. Oder wie 2019, als am Pik Lenin an der Grenze von Tadschikistan und Kirgisistan auf 6200 Metern plötzlich Schluss war, weil eine Kaltfront mit Schnee und Eis aufzog. Es gab aber auch schon viele Erfolge zu feiern. Etwa 2014, als es in Indien mit dem Stok Kangri auf Anhieb mit einem Sechstausender hinhaute. „Ein Riesenerlebnis“, schwärmt Grün noch heute.

Um zum ersten Mal einen Siebentausender zu bezwingen, geht es morgen nach den Trekkingtouren vor fünf und acht Jahren erneut in den Himalaya. Dem Flug nach Kathmandu folgen eine zehnstündige Jeepfahrt und ein abenteuerlicher Fußmarsch ins Basislager, der bis zu zehn Tage dauern kann. Von dort nimmt Marc Grün den Himlung Himal (siehe Infokasten) in Angriff und hofft, am Ende wirklich das Gipfelkreuz zu erreichen. Er würde damit Selbstvertrauen tanken, um 2023 das nächste große Ziel ins Auge zu fassen: Der Cho Oyu, mit 8188 Metern der sechsthöchste Berg der Welt, soll sein erster Achttausender werden. „Ich brauche die zwei Jahre für die Vorbereitung“, sagt der Backnanger, der mittlerweile Wahlulmer ist. Es gelte zum einen, die finanziellen Fragen zu klären, und zum anderen als ambitionierter Amateur eine Lösung mit dem Arbeitgeber zu finden, denn der Trip dauert etwa zweieinhalb Monate.

Auch damit gehen ihm die Herausforderungen nicht aus. Von Nord nach Süd hat der 43-Jährige die Alpen schon überquert, nun will er von Osten nach Westen ziehen, von Wien nach Nizza am Stück. Für die etwa 2000 Kilometer lange Wanderung mit über 100000 Höhenmetern rechnet er mit 100 Tagen, die Planung nicht eingerechnet. Logisch, dass Marc Grün gerne Profi wäre, „aber ich muss ja arbeiten“, sagt er lachend.

Himlung Himal

Bergfakten Der Himlung Himal zählt mit seinen 7126 Metern nicht gerade zu den Giganten im Himalaya-Gebirge. Marc Grün nennt ihn aber einen „Schneeriesen“, der an der Grenze zwischen Nepal und Tibet liegt und von den stolzen Achttausendern Annapurna und Manaslu umrahmt wird. Er gilt als eher unbekannter und auch sehr selten bestiegener Berg, obwohl ihn der Backnanger als „wunderschön“ bezeichnet.

Anmarsch Etliche Bergsteiger lassen sich wohl davon abschrecken, dass es rund zehn Tage dauern kann, bis überhaupt der Fuß des Berges erreicht ist. Es geht durch „ein sehr abgelegenes, ursprüngliches und tibetisch-buddhistisch geprägtes Tal“, verrät Marc Grün, der sich darauf freut, „umso tiefer in die faszinierende Kultur der tibetischen Nepalesen einzutauchen, was das ganze Unternehmen ein Stück weit zu einer spirituellen Angelegenheit macht“.