Raus aus dem Stau, hoch auf den Berg

Das Interview: Udo Nitsche stellt Lastenfahrräder als Fahrzeug für die Familie und Transportmittel in Murrhardt vor

Viele Bausteine sind nötig, um den Verkehr, insbesondere in den Ballungsräumen, zu entzerren und umweltfreundlicher zu gestalten. Eine Möglichkeit: Das Lastenfahrrad. Udo Nitsche wird es am Freitag als Fahrzeug vorstellen – in einem Vortrag und ganz praktisch, verschiedene Modelle können vor dem Grabenschulhaus getestet werden. Für die Veranstaltung haben sich Volkshochschule und das Projekt „Zukunftsdialog: Nachhaltige Mobilität“ der Baden-WürttembergStiftung zusammengetan.

Raus aus dem Stau, hoch auf den Berg

Lastenfahrräder sind so konstruiert, dass sich auch Kinder mitnehmen lassen. Diese Variante hat zudem den Vorteil, dass man die kleinen Mitfahrer nicht hinten, sondern vorne im Gepäck und somit auch im Blick hat. Foto: Adobe Stock/pikselstock

Von Christine Schick

Lastenfahrräder sind vor allem als alternatives, umweltschonendes Transportmittel für die Städte in der Diskussion. Nun stellen Sie die Cargobikes in Murrhardt vor, das auch ländlich geprägt ist. Glauben Sie, dass die Leute hier auch schon bereit sind, umzusteigen?

Ich denke, die Geschwindigkeiten sind da vermutlich unterschiedlich. In den Städten ist die Motivation deshalb größer, weil man dort mit dem Fahrrad nicht im Stau steht und schneller ans Ziel kommt. Aber das ist nur ein Aspekt. Man ist auch deutlich gesünder unterwegs und es macht einfach Spaß, Fahrrad zu fahren. Im Bundesdurchschnitt ist man mit dem Rad auf Strecken, die bis zu 13 Kilometer umfassen, per Bike schneller am Ziel als mit dem Auto. Und auf Strecken von bis zu fünf Kilometern tauschen immer mehr Eltern, die mit ihren Kindern unterwegs sind, das Auto gegen das Lastenfahrrad ein.

Genau, für welche Alltags- und Familiensituation ist ein Lastenfahrrad gut? Es besteht ja auch immer die Möglichkeit, sich fürs normale Fahrrad einen Anhänger zuzulegen.

Die Spanne beim Lastenfahrrad reicht vom klassischen Transport- übers Familienfahrzeug bis hin zum Lifestyleprodukt, will heißen, man kann Kinder zum Kindergarten, in die Schule bringen, Arztgänge und Einkäufe erledigen. Das lässt sich prinzipiell auch mit einem Anhänger machen, nur muss man darauf achten, das zulässige Gesamtgewicht insbesondere bei Pedelecs nicht zu überschreiten. Da wird nicht immer genau darauf hingewiesen. Viele Pedelecs sind limitiert auf 130 Kilogramm und die sind mit Fahrer, Rad, Anhänger und Kindern schnell erreicht. Außerdem ist es auch von Vorteil, die Kinder beim Fahren vor sich zu haben, wie eben beim Lastenfahrrad.

Ein Elektroantrieb zur Unterstützung ist bei steilen, längeren Strecken sowie dem Wissen, schwerere Lasten transportieren zu müssen, natürlich von Vorteil. Unter welchen Voraussetzungen gilt dann noch das Argument, etwas für die Umwelt zu tun?

Sie sparen bei 480 gefahrenen Kilometern im Monat 92 Kilogramm CO2 und rund 280 Euro ein. Zudem darf man nicht vergessen, dass es mit einem Umstieg aufs Fahrrad auch weniger Autos werden, was wiederum den Stau entschärfen kann.

Wenn man über die Anschaffung eines Lastenfahrrads nachdenkt, in welcher Größenordnung bewegt sich das vom Betrag her?

Die Spanne reicht von 10000 bis zu 2500 Euro, bei den sehr günstigen Exemplaren gibt es gewisse Einschränkungen. Wenn man ein Cargobike für die Familie anschafft, würde ich sagen, muss man mit 3500 bis 7000 Euro rechnen. Es gibt mittlerweile aber auch eine Reihe von Förderungen, auf Landesebene und von Städten. Stuttgart beispielsweise unterstützt mit bis zu 1300 Euro pro Lastenfahrrad. Ich kenne Leute, die komplett vom Auto aufs Lastenfahrrad umgestiegen sind.

Was ist beim Fahren anders als auf dem herkömmlichen Bike?

Generell ist der Wendekreis größer, beim zweirädrigen Lastenfahrrad ist das noch stärker zu spüren, und es hat eine beachtliche Länge, das heißt, man muss vor der Kreuzung, der Ampel oder dem Zebrastreifen auch ein bisschen früher anhalten. Bei der Dreiradvariante sitzt man aufrecht und kann sich nicht wie normalerweise in die Kurve legen. Der Effekt ist da sogar eher gegenteilig, sodass man leicht in die andere Richtung steuert. Dafür geben diese Modelle mehr Stabilität. Es kommt letztlich darauf an, was man von seiner Situation her braucht.

Was sagen Sie Eltern, die vielleicht Bedenken haben, ihre Kinder mit dem Lastenfahrrad mitzunehmen?

Ich denke, wer sich generell vorstellen kann, ein Lastenfahrrad zu benutzen, findet auch eine Variante für sich. Die Kindersitze sind alle mit Gurt ausgestattet, es gibt als offiziell zugelassene Räder bereits Modelle mit sechs Sitzen. Das ist für Kinderkrippen oder Kindertageseltern interessant. Anwendungsmöglichkeiten gibt’s genug. Bei nicht nur ebenen Strecken ist ein Pedelec von Vorteil, da muss man schauen, was entsprechend vom zugelassenen Gewicht her geht. Und man muss ein Gefühl dafür bekommen, wie sich Lastenfahrräder fahren, die mit mehreren Kindern beladen sind.

Wie sind Sie persönlich mit dem Thema in Kontakt gekommen?

Ich fahr selbst Lastenfahrrad, bin in Esslingen mittlerweile so gut wie kaum noch mit dem Auto unterwegs, einfach weil ich keine Lust habe, im Stau zu stehen. Klar, wenn es Katzen und Hunde regnet, überleg ich mir das auch. Aber bei Strecken mit rund zehn Kilometern ist es für mich eine lieb gewonnene Alternative geworden. Lastenfahrräder gibt es ja eigentlich schon immer, sie wurden aber eher auf dem Flachland wie Holland oder Norddeutschland genutzt, wo es höchstens Gegenwind gibt. Hier im Süden hat der Elektroantrieb die Lage verändert. Mit einem Pedelec oder Speed-Pedelec komm ich auch die Berge hoch. Das Lastenfahrrad ist selbst für Gewerbetreibende ein Thema. Ich sehe Möglichkeiten für private Post- und Zeitungszusteller, Bauhöfe oder Gärtnereien.

Raus aus dem Stau, hoch auf den Berg

Udo Nitsche

Info
Lastenfahrräder: Anschaffung wird teils gefördert

Die Volkshochschule Murrhardt lädt am Freitag, 11. Oktober, um 18 Uhr ein, das Lastenfahrrad als Fahrzeug für die Familie und für den Transport kennenzulernen. Die Veranstaltung in Kooperation mit dem Projekt „Zukunftsdialog: Nachhaltige Mobilität“ der Baden-Württemberg-Stiftung findet im und vor dem Grabenschulhaus statt und ist kostenlos. Eine Reihe der Fahrzeuge sind im Rahmen von Programmen des Landes förderbar, wozu der Referent Udo Nitsche informieren kann. Er ist selbst auch als Händler in dem Bereich tätig.

Die VHS freut sich aus organisatorischen Gründen über eine Anmeldung – persönlich, schriftlich (Obere Schulgasse 7), per Fax 07192/9358-10 oder unter www.vhs-murrhardt.de. Weitere Infos zur Veranstaltung gibt es beim VHS-Team unter Telefon 07192/9358-0. Kurzentschlossene sind am Abend aber genauso willkommen.