Wie können wir uns auf einer lauten Party unterhalten? Wie das Gehirn inmitten der Kakofonie von Tönen einzelne Laute herausfiltert, haben Forscher jetzt untersucht.
Nach welcher Zeit und wie genau diese „selektive auditive Aufmerksamkeit“ die Verarbeitung entlang der Nervenbahn beeinflusst, wird seit über 50 Jahren in der Wissenschaft diskutiert.
Von Markus Brauer
Wenn wir bei einer Cocktail-Party in einer Runde stehen, in der alle durcheinanderreden, können wir trotzdem ein Gespräch mit einer Person führen. Das liegt an der Fähigkeit unseres Hörsinns, sich gezielt auf bestimmte akustische Signale zu konzentrieren und die anderen Geräusche auszublenden.
Nach welcher Zeit und wie genau diese „selektive auditive Aufmerksamkeit“ die Verarbeitung entlang der Nervenbahn beeinflusst, wird seit über 50 Jahren in der Wissenschaft diskutiert. Ein Team um den Saarbrücker Neurowissenschaftler Daniel Strauss hat dieses Rätsel nun gelöst. Mithilfe von Tönen, die bereits die zentralamerikanischen Maya an ihren Pyramiden erzeugten. Die Studie ist im Fachjournal „NeuroImage“ erschienen.
„Chirp“-Laut : Händeklatschen bei Chichén Itzá
Es ist ein Phänomen, das im Internet vielfach auf Videos zu sehen ist: Klatscht man vor der großen Pyramide der antiken Maya-Stätte Chichén Itzá in die Hände, reflektiert das Bauwerk diese mitnichten als ebensolches Händeklatschen.
Das Echo ist vielmehr ein Laut, der an den Ruf des Quetzal-Vogels erinnert, der bei vielen Völkern der präkolumbischen Kulturen eine bedeutende Rolle spielte.
Dieser „Chirp“-Laut (englisch für tschilpen oder zwitschern) hat nun auch dabei geholfen, ein altes Rätsel der Neurowissenschaften zu lösen: Ab welchem Zeitpunkt und auf welche Art beginnt das menschliche Gehirn, bestimmte Töne von anderen zu trennen, wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf sie richten?
Aufmerksamkeit auf bestimmte akustische Reize
„Unser Co-Autor, Steven A. Hillyard aus San Diego, hatte bereits 1973 nachweisen können, dass die selektive Aufmerksamkeitslenkung auf verschiedene Pieptöne nach ungefähr 100 Millisekunden zu einem messbaren Effekt in der elektrischen Aktivität unseres Gehirns führt“, erklärt Daniel J. Strauss, Direktor der Systems Neuroscience & Neurotechnology Unit (SNNU), einer gemeinsamen Einrichtung der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes (htw saar) und der Universität des Saarlandes.
Hillyard hatte damals die zeitliche Schwelle eingrenzt, ab der das Gehirn seine Aufmerksamkeit auf bestimmte akustische Reize lenken kann. Dort wird der Reiz in einem höher entwickelten Teil des Gehirns, dem auditorischen Cortex, gemessen.
Weg der Laute über das Ohr in das Gehirn
Dennoch wird seitdem darüber diskutiert, ob nicht schon an einem viel früheren Punkt der Hörbahn messbar ist, an dem das Gehirn bestimmte Töne, auf die es seine Aufmerksamkeit richtet, aus sich überlagernden Tönen herausfiltern kann.
Ein akustischer Reiz hat schon viele Stationen hinter sich, wenn er durch die Ohrmuschel ins Gehör gelangt – in der Cochlea, der Gehörschnecke. Dort wird er in ein elektrisches Signal umgewandelt, um über Nervenbahnen weiter ins Gehirn zu gelangt, wo er dann interpretiert wird.
Diese Frage konnten die Forscher um Strauss jetzt beantworten. „Sogar die relativ einfach auf der Kopfhaut zu erfassende elektrische Aktivität des menschlichen Gehirns als neuronale Antwort auf den Klang wird bereits nach fünf Millisekunden deutlich durch Aufmerksamkeit moduliert.“
Das bedeutet nicht weniger, als dass unser Gehirn einen bestimmten Ton bereits in einem evolutionär sehr frühen Teil des Gehirns wahrnimmt – dem sogenannten inferioren Colliculus, einem Teil des Hirnstamms.
Antike Maya-Töne und moderne Forschung
An dieser Stelle kommen wieder die antiken Maya-Töne ins Spiel. Denn die Forscher ist diese außergewöhnliche Messung durch eine neue Perspektive des ursprünglichen Experiments von 1973 gelungen. Den Probanden wurden auf einem Ohr die Maya-Chirp-Laute eingespielt, während auf dem anderen Ohr ein konventioneller Piepton zu hören war.
„Chirp-Laute, die die Eigenschaft haben, dass ihre Frequenz mit der Zeit entweder zu- oder abnimmt, regen die gesamte Cochlea auf einmal an. Das macht die Chirp-Laute zu idealen Lauten, um die gesamte Signalverarbeitung entlang der Hörbahn – vom Hirnstamm bis zum Kortex – zu entschlüsseln“, erläutert Neurowissenschaftler Strauss.
Der Ton macht die Musik
Sie haben in der Folge messen können, ab wann die elektrische Aktivität des Gehirns als Antwort auf die Chirp-Reize mit und ohne darauf gerichtete Aufmerksamkeit auseinanderläuft. Der Effekt, der „jahrzehntelang kontrovers diskutiert wurde“, sei bereits nach fünf Millisekunden völlig klar gewesen, berichtet Strauss.
Durch den niederfrequenten Piepton wurde hingegen keinerlei Hirnstamm-Aktivität in der elektrischen Aktivität sichtbar, geschweige denn irgendwelche Aufmerksamkeitseffekte.
Wie Verarbeitung von relevanten Geräuschen im Alltag funktioniert
Die Forscher konnten zudem nachweisen, dass das Gehirn mit präziseren und deutlich gleichförmigeren neuronalen Antworten reagiert, wenn eine Person bewusst auf die Chirp-Töne achtet.
„Dies ist eine Synchronisierung, die entscheidend für die Verarbeitung von relevanten Geräuschen im Alltag ist und erklärt, auf welche Art diese ‚Aufmerksamkeitsantworten‘ entlang der Nervenbahn zustande kommen, was ebenfalls sehr kontrovers diskutiert wurde“, konstatiert Strauss.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass Aufmerksamkeit nicht erst in höheren Gehirnbereichen greift. Sie verfeinert die Abbildung auf der Nervenbahn bereits bei der ersten Verarbeitung von Klängen im Gehirn.“