In ihrem letzten Interview als SPD-Chefin wirbt Saskia Esken für eine stärkere Besteuerung von Vermögen. Und sie spricht darüber, wie sie die Debatte über die eigene Person erlebt hat.
Künftig hat sie neue Aufgaben: die bisherige SPD-Chefin Saskia Esken.
Von Tobias Peter
Saskia Esken kandidiert beim Parteitag in Berlin nicht erneut als Vorsitzende. Nun zieht sie Bilanz – und übt Kritik am Umgang mit Frauen in der Politik.
Frau Esken, nach fünfeinhalb Jahren kandidieren Sie nicht erneut als SPD-Vorsitzende. Macht Sie das traurig? Oder fühlt es sich wie eine Erleichterung an?
Ich bin sehr dankbar für das, was ich in diesen Jahren tun durfte. Das war eine bewegte Zeit – für mich und für die SPD. Bärbel Bas, an die ich den Staffelstab nun übergebe, ist eine großartige Sozialdemokratin.
Als Sie Parteichefin wurden, war die SPD in einer Koalition mit der Union und hatte niederschmetternde Umfragewerte. Jetzt ist es ähnlich. Trauen Sie der SPD bei Bundestagswahlen noch über 30 Prozent zu?
Die Parteienlandschaft ist im Umbruch. Es gibt immer neue politische Wettbewerber, die angeblich alles anders machen wollen. Bis sich dann zeigt: So einfach ist das nicht. Die sozialdemokratische Idee einer Gesellschaft, in der jeder Mensch gleichen Respekt erfährt, ist eine mit Anziehungskraft. Damit kann die SPD bei bundesweiten Wahlen über 30 Prozent erzielen. Ganz sicher.
Ist also nur der vergangene Wahlkampf missglückt? Oder gibt es nicht doch tiefergehende Probleme?
Doch, die gibt es. Progressive Politik gerät weltweit unter Druck, weil Kapitalinteressen sich dagegen wehren, zur Verantwortung gezogen zu werden durch Steuern und Regulierung. Dazu kommt, dass immer häufiger komplizierte Koalitionen wie die Ampel gebildet werden müssen. Darin können die beteiligten Parteien oft nicht das umsetzen, was sie versprochen haben. Die Folge ist: Wir haben ein massives Glaubwürdigkeitsproblem. Das sehe ich insbesondere bei einem Thema.
Nämlich?
Die Vermögen sind in Deutschland sehr ungleich verteilt. Das ist eine riesige Ungerechtigkeit. Wenn man immer wieder sagt, man wolle daran etwas ändern, und es dann nicht gelingt, dann vertrauen einem viele Menschen nicht mehr. In Deutschland gibt es ein privates Geldvermögen von fast 10 Billionen Euro. Alleine die 3900 Superreichen besitzen ein Drittel davon. Diese Leute halten Millionäre schon für arme Schlucker.
Sie wollen also eine höhere Erbschaftssteuer und eine Wiedereinführung der Vermögenssteuer?
Es geht um die Besteuerung sehr großer Vermögen und sehr hoher Erbschaften. Betriebsvermögen soll weitgehend geschont werden. Aber viele haben schon gigantische Einkünfte nur, weil ihr Geld für sie arbeitet. Deutschland nimmt gerade hohe Milliardenkredite auf, um mehr Investitionen in die Verteidigung und die Infrastruktur stecken zu können. Das ist dringend notwendig. Der Staat muss diese Kredite aber auch zurückzahlen. Da müssen die Superreichen ihren Beitrag leisten.
Jetzt sitzen Sie schon wieder in der Glaubwürdigkeitsfalle. Mit der Union als Koalitionspartner wird das, was Sie fordern, nicht passieren.
Die SPD muss gegenüber der Union beharrlich argumentieren. Sie muss auch nerven. Als ich vor sechs Jahren ein 500-Milliarden- Investitionsprogramm gefordert habe, wollten das viele nicht hören. Heute gibt es eins.
Eines Ihrer Themen ist für eine Parteichefin eher ungewöhnlich, die Bildungspolitik. In Deutschland sind und bleiben die Bildungschancen sehr eng an die soziale Herkunft gekoppelt. Haben Sie nach all den Jahren Hoffnung, dass sich daran noch etwas ändert?
Es hat schon einmal eine Bildungsrevolution in Deutschland gegeben. Die sozialdemokratische Bildungspolitik unter Willy Brandt hat vielen Kindern aus Arbeiterfamilien den Weg an die Hochschulen und in einflussreiche Positionen geebnet. Heute gibt es wieder große Unterschiede, basierend auf der wirtschaftlichen Situation der Eltern, der Frage des Migrationshintergrunds, aber auch der Postleitzahl. Für die Schulen ist es schwer, Nachteile der Bildungschancen auszugleichen. Deshalb braucht das Land jetzt eine zweite sozialdemokratische Bildungsrevolution.
Wie soll die aussehen?
Das Geld muss ganz gezielt dahin, wo es am meisten gebraucht wird. Eine solche Politik haben wir im Startchancenprogramm angelegt. Jetzt müssen wir dranbleiben und mehr investieren. Wir erreichen zehn Prozent der Schulen. Es müssten 40 bis 50 Prozent sein. Da ist nicht nur der Bund, da sind auch die Länder gefordert. Auch hier würde es helfen, wenn die Superreichen etwas höhere Steuern zahlen. Gerechtigkeit ist ein vielschichtiges Thema.
Für Ihre öffentlichen Auftritte als Parteivorsitzende, gerade im Fernsehen, waren Sie häufig in der Kritik. Haben Sie sich manchmal selbst über sich geärgert?
Ich habe sicher Fehler gemacht. Ich nehme gern Kritik an – wenn sie im persönlichen Gespräch geäußert wird. Aber die Art, wie Häme über mich ausgekübelt worden ist, war unverhältnismäßig und würdelos.
In der mehr als 160-jährigen Geschichte der SPD waren Sie erst die zweite Frau als Parteichefin. Andrea Nahles wurde nach nur einem Jahr gestürzt. Auch gegen Sie wurde oft hart geschossen. Hat die SPD ein Problem damit, wenn der Boss eine Frau ist?
Eine Frau an der Spitze löst bei vielen noch immer eine Irritation aus, nicht nur in der SPD. Frauen in politischen Führungspositionen werden härter beurteilt als Männer – und oft nach irrelevanten Kriterien. Niemand hat sich für die Frisur meiner Co-Parteichefs Norbert Walter-Borjans oder Lars Klingbeil interessiert. Wenn Männer sich durchsetzen, gelten sie als Macher. Frauen wird das Image als Zicke oder Eiskönigin angehängt.
Klingbeil und Sie waren in der Stunde der Wahlniederlage beide Parteichefs. Er bleibt es und ist Vizekanzler. Sie geben das Amt als Parteichefin ab und sind nicht Ministerin geworden. Fühlen Sie sich fair von Ihrer Partei behandelt?
Ich war gern Parteichefin, habe mich aber persönlich schon vor der Wahl entschieden, nicht noch einmal für dieses Amt zu kandidieren. Nach fünfeinhalb Jahren in diesem Amt fand ich es richtig, der Erneuerung Raum zu geben. Ich freue mich darauf, wieder stärker als Fachpolitikerin zu arbeiten, und das kann ich als Vorsitzende des Bildungsausschusses jetzt tun. Ich bin mit der Entwicklung, wie sie jetzt ist, im Reinen.
Sie wären gern Ministerin geworden.
Das ist ja nun anders gekommen.
Tut es weh?
Ich bin Parteivorsitzende geworden, weil mir die Sozialdemokratie am Herzen liegt und die SPD nach dem Rücktritt von Andrea Nahles am Boden lag. Innerhalb von nur zwei Jahren haben wir neuen Zusammenhalt geschaffen und die SPD so stark gemacht, dass wir die Bundestagswahl gewonnen haben. Es ging mir nie um meine Person, und das ist auch jetzt nicht der Fall. Persönlicher Schmerz sollte in solchen Fragen nie lange eine Rolle spielen. Ich halte nichts davon, sich ewig zu grämen. Das bringt nichts, deswegen lasse ich es auch.
Wie haben Sie die Tage und Wochen erlebt, in denen in der SPD aber auch öffentlich über Sie und Ihre Zukunft diskutiert wurde?
Vieles von dem, was aus den eigenen Reihen, aber auch von draußen als Anmerkungen kam, habe ich als ungerecht empfunden. Das Geschehene sagt mindestens im Stil mehr über die aus, die etwas über mich gesagt haben, als über mich. Ich habe damit abgeschlossen.
Klingbeil hat nun eine Ministerriege, bei der ihm jeder oder jede entweder politisch nahesteht oder ihm jetzt zumindest etwas zu verdanken hat. Haben Sie selbst als Vorsitzende zu wenig ihre Macht durch Netzwerke abgesichert?
Meine Ferne zu solchen Strukturen hat die Mitglieder damals davon überzeugt, dass ich die richtige Vorsitzende bin.
Sie haben Olaf Scholz bei der Wahl zum Parteivorsitzenden besiegt. Später haben Sie ihn als Kanzler sehr loyal unterstützt. Sind Sie mit ihm befreundet?
Aus der Wettbewerbssituation um den Parteivorsitz hat sich sehr schnell und immer weiter vertiefend eine sehr vertrauensvolle und erfolgreiche Zusammenarbeit entwickelt. Heute ist eine Freundschaft daraus geworden.
Sie haben für eine Politikerin eine ungewöhnliche Biografie. Sie haben als Paketbotin und Kellnerin gearbeitet. Sie sind als Straßenmusikerin durchs Land getourt und haben in Ihrem Auto geschlafen. Wie würde die junge Saskia Esken auf die heutige Parteichefin schauen?
Mit Verwunderung, aber auch mit Stolz. Ich denke, das würde auch für meine Mutter gelten, die leider kurz vor meiner Bewerbung für den Vorsitz verstorben ist. Sie war ein großes sozialdemokratisches Vorbild für mich. Dass ich Parteivorsitzende sein würde, war nie vorgesehen. Ich hatte nie einen Karriereplan. Ich bin überzeugt: Es braucht auch Menschen in der Politik, die Brüche erlebt haben und ungerade Wege gegangen sind.
Welchen Fehler aus Ihrer Zeit im SPD-Vorsitz bedauern Sie am meisten?
Ich bereue nichts.
Von den Mitgliedern gewählt
ParteiSaskia Esken ist seit Dezember 2019 Vorsitzende der SPD. Die Mitglieder hatten für das Duo aus Esken und Norbert Walter-Borjans votiert. Die beiden setzten sich damit gegen Olaf Scholz durch, den sie später aber als Kanzlerkandidaten für die Bundestagswahl 2021 vorschlugen. Scholz gewann und wurde Kanzler. Von Ende 2021 an führte Esken die SPD gemeinsam mit Lars Klingbeil. Nach fünfeinhalb Jahren an der Spitze zieht sie sich nun zurück. Sie ist nun Vorsitzende des Bildungsausschusses im Bundestag.
BerufEsken hat als Kellnerin, Paketbotin und Straßenmusikerin gearbeitet. Sie ist staatlich geprüfte Informatikerin. (pet)