Schule mit jahrhundertelanger Tradition

Vor 50 Jahren war der Neubau des Murrhardter Gymnasiums fertiggestellt. Doch schon seit 1550 gab es die Lateinschule, die man im 20. Jahrhundert zum Progymnasium entwickelte.

Schule mit jahrhundertelanger Tradition

1969 begannen die Arbeiten, 1971 war der Neubau fertig. Foto: Industriefoto Felix Leutschaft

Von Elisabeth Klaper

Murrhardt. Vielfältige kulturelle und gesellschaftliche Aktivitäten zeichnen das Gymnasium in der Walterichstadt aus. Seit 1971 lernen die Schüler im modernen Terrassenbau im Trauzenbachtal. Doch gab es schon seit 1550 eine Lateinschule im einstigen Klosterareal, die bis 1900 wie Realgymnasien Latein als erste Fremdsprache lehrte. Später kamen Französisch und (Alt-)Griechisch hinzu, berichtete Dietward Schwäble, erster Direktor des Gymnasiums, im September 1971 in der „Murrhardter Zeitung“.

Seit 1908 besuchten auch Mädchen die Lateinschule, ab 1925 war Englisch Wahlfach, seit 1936 wählten die Schüler Latein oder Französisch. Um die Schüler auf die moderne Arbeitswelt vorzubereiten, erweiterte man mehrfach den naturwissenschaftlichen Unterricht. Nach fünf Jahren an der Lateinschule gingen die Schüler zur Berufsausbildung oder auf weiterführende Schulen nach Backnang, wo sie die Mittlere Reife oder das Abitur ablegten. Nach dem Zweiten Weltkrieg stiegen die Schülerzahlen durch den Zustrom von Flüchtlingen und Heimatvertriebenen stark an.

Ab 1949/50 konnten sie in Klassenstufe 6 die Mittlere Reife erwerben. Von 1953 bis 1969/70 war die Schule Progymnasium mit schwierigen Unterrichtsbedingungen: Wegen Platzmangels und veralteter Ausstattung im Klosterschulhaus wichen Klassen ins Grabenschulhaus und andere Gebäude aus. Fürs Abitur galt es, drei Oberstufenklassen am Backnanger Gymnasium zu absolvieren. Steigende Schülerzahlen in den 1960er-Jahren veranlassten Stadtverwaltung und Schulleitung, einen Neubau fürs Vollgymnasium zu errichten.

Am 14. September 1971 bezogen 420 Gymnasiasten in 15 Klassen mit 18 hauptamtlichen Lehrkräften das moderne Schulgebäude. „Die Meinungen zur neuen Architektur fielen unterschiedlich aus: Die Schüler fanden das Schulgebäude interessant, die Klassenzimmer und Fachräume aber karg, auch gefiel vielen nicht, dass es unmöglich war, Wände zu bemalen oder mit Bildern zu bekleben“, erinnert sich Zeitzeuge Titus Simon vom ersten Abiturjahrgang 1973. Doch die besser ausgestatteten Fachräume und Fachlehreraufstockung wirkten sich positiv auf den naturwissenschaftlichen Unterricht aus. Indes „wies der Neubau viele Baufehler und Probleme“ auf: „In den Räumen der oberen Ebenen war es im Sommer zu heiß, die Fenster konnte man nicht öffnen, die Jalousien hatten nicht den gewünschten Effekt, und im Winter war es zu kalt“, kritisiert Simon.

Freundeskreis unterstützt zahlreiche Projekte und bietet ein Netzwerk

Im Juni 1983 benannte man das Gymnasium nach Heinrich von Zügel (1850 bis 1941). So ehrte man die Persönlichkeit eines „Ehemaligen“ der Lateinschule, der bedeutendster Tier- und Freilichtmaler Süddeutschlands der Jahrhundertwende war und für junge Menschen Orientierung und Beispiel sei, so Schulleiter Schwäble. Im März 1983 gründete sich der gemeinnützige Verein Freundeskreis des Heinrich-von-Zügel-Gymnasiums mit der Zielsetzung, eine lebendige Schultradition zu pflegen und eine aktive Schulgemeinschaft zu fördern.

Er kooperiert mit Elternbeirat, Schulleitung und Schülervertretung, unterstützt diverse Projekte und baut Kontakte zur Wirtschaft und Institutionen auf. Seit 1993 lobt er den Sozialpreis aus für besonderes Schülerengagement für die Schulgemeinschaft, seit 2017 den Musikpreis, gestiftet vom ehemaligen Vorsitzenden Heinz-Georg Kowalski. Seit Mitte der 1980er-Jahre informiert der Jahresbericht über die vielfältigen Aktivitäten an der Schule. Eine wichtige Rolle spielt die Schülermitverantwortung (SMV): Die von der Klassensprecherkonferenz gewählten Schülersprecher vertreten die Anliegen der Schüler gegenüber der Schulleitung und nach außen. Die SMV ermöglichte viele von Schülern gewünschte, teils in Eigenregie organisierte Veranstaltungen. Seit 1980 gibt es die von der SMV mitgegründete Schülerzeitung „Heumade“: Sie informiert über schulische und SMV-Aktivitäten und erhielt mehrfach Preise für ihre Gestaltung mit kritischen und kurzweiligen Beiträgen, Karikaturen und Bildern.

Wichtige Arbeitsplattform der SMV ist die Schulkonferenz, in der Eltern, Schüler und Lehrer innerschulische Probleme besprechen. Seit 1980 organisiert sie am Schuljahresende Projekttage mit Schulfest zu diversen Themen. Und sie war maßgeblich daran beteiligt, dass das Gymnasium seit 2004 Teil des bundesweiten Toleranznetzwerks „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ ist. Der Elternbeirat trägt mit zahlreichen Initiativen zur Gestaltung der Schulgemeinschaft bei, so Vorsitzende Katrin Schauß.

Seit dem Schuljahr 2006/ 2007 gibt es den „runden Tisch“ mit Vertretern der Schüler, Lehrer und Eltern, der sich um aktuelle Themen und Projekte kümmert. Daraus entstanden die seit Oktober 2009 geltende Schulcharta und die Handynutzungsregelung an der Schule. Von 2010 bis 2017 organisierte der Freundeskreis vierteljährliche Berufsinformationsabende „Das HvZG trifft“. Die eingeladenen Dozenten, darunter ehemalige Schüler, stellten ihren Werdegang vor und beantworteten Fragen von Schülern und Eltern. Nun arbeitet der Freundeskreis daran, dieses Konzept digital umzusetzen, so Schauß.

Seit 2015 leitet Henning Zimmermann die Schule: Seitdem entwickelte man das Differenzierungskonzept „Schwächen schwächen, Stärken stärken“, um Defizite und Begabungen zu fördern. Ziel des Lerncoachingsystems in der Mittelstufe mit Schüler-Lehrer-Gesprächen ist, dass Jugendliche sich in ihrer Persönlichkeit wahrgenommen fühlen. Dank des Konflikt- und Beschwerdemanagements gibt es eine harmonische Schulgemeinschaft. Seit 2014 sinken die Schülerzahlen wegen des demografischen Wandels und starker Konkurrenz der Backnanger Gymnasien, bedauert der Direktor.

Schule mit jahrhundertelanger Tradition

Die Aufnahme stammt aus dem Jahr 1978 und zeigt eine Schulaufführung. Foto: H. Quayzin

Chronik des Gymnasiums

Neubau 1965 erstellte die Schulleitung ein Raumprogramm für den Neubau, 1966 legte man den Standort fest und schrieb einen Architektenwettbewerb aus. 1967 erhielt der freie Architekt Paul Michael Kaufmann aus Nürtingen den Planungsauftrag, 1969 vergab der Gemeinderat die Rohbauarbeiten, die im April begannen. Im September 1971 war der Neubau fertig, der Bau der Trauzenbach-Turnhalle folgte ab 1973. Das als Terrassenbau konzipierte Schulgebäude steht am Steilhang am Beginn des Trauzenbachtals. Das Treppenhaus bildet das Zentrum, um das Klassenzimmer, Fach- und übrige Räume auf allen Ebenen gruppiert sind, in Ebene 1 und 4 sind überdachte und freie Pausenflächen.

Erweiterung Mitte der 1990er-Jahre erforderten hohe Schülerzahlen die Erweiterung des Schulgebäudes: Bis 1998 kamen neue Klassen- und weitere Räume in Ebene 4 und 5 hinzu, Lehrerzimmer und Halle wurden vergrößert. Die Baukosten betrugen rund 3,5 Millionen DM, hinzu kamen Landes- und Ausgleichsstockzuschüsse von rund 1,5 Millionen DM. Von 2004 bis 2008 erfolgte wegen neuer Unterrichtsanforderungen die rund 2,3 Millionen Euro teure, mit 875000 Euro geforderte Aufstockung: Ebene 6 hat je drei Klassen- und weitere Räume, zudem modernisierte man Fachräume. Das ehemalige Hausmeistergebäude „Beddoglötzle“ bekamen die Schüler zur eigenverantwortlichen Nutzung mit Mensa und für außerschulische Aktivitäten.

Schulleiter 1966 bis 1984 Dietward Schwäble, 1984 bis 2002 Otto Mischka, 2002 bis 2010 Jan Christiansen, 2010 bis 2014 Christoph Brechtelsbauer, 2014 bis 2015 Ernst Morlock, seit 2015 Henning Zimmermann.

Website www.hvzg-murrhardt.de