Schwäbisch lernen mit der Sprühdose

In einer Aktion des Vereins Kubus verzieren Jugendliche mit und ohne Fluchthintergrund eine Wand des alten Raiffeisengebäudes in Murrhardt. Das Graffiti bringt kreativ den Bezug zur neuen Heimat in der Walterichstadt zum Ausdruck.

Schwäbisch lernen mit der Sprühdose

Aus dem vollendeten Graffiti geht der Bezug zur neuen Heimat deutlich hervor. Fotos: J. Fiedler

Von Lorena Greppo

Murrhardt. Beim Graffitigestalten gibt es keine Regeln, das betont Richard Koch, als er den Jugendlichen im Murrhardter Juze eine Einweisung gibt. Zwar gibt es verschiedene Stilrichtung wie etwa Bubbles, wo es vor allem Rundungen und keine Kanten gibt. „Aber jeder darf die Buchstaben so formen, wie er mag.“ Die fünf Jungen haben etwa eine Stunde Zeit, um sich auszuprobieren, bevor es an die Wand des alten Raiffeisengebäudes geht. Dort entsteht in zwei Abschnitten ein Graffiti, welches den Bezug zur Stadt Murrhardt und zum Schwäbischen zum Ausdruck bringen soll. Den ersten Teil hat eine Gruppe in Zusammenarbeit mit dem Projekt Arche der Paulinenpflege schon aufgebracht, zudem wurde die Wand unterhalb der Rampe von geflüchteten Kindern aus Afghanistan mit Schriftzügen und Blumen verziert.

Ihren Ursprung hat die Aktion im Projekt „Schwäbisch für Reingeschmeckte“ des Vereins Kubus, gefördert durch die Aktion Mensch. Damit soll geflüchteten Kindern und Jugendlichen geholfen werden, sich dem Zurechtfinden in einer neuen Heimat kreativ zu nähern. Über welchen Wortschatz manche von ihnen im schwäbischen Dialekt bereits verfügen, seien die Betreuer überrascht gewesen, berichtet Jochen Schneider von Kubus. Zuerst habe man überlegt, sich der Thematik musikalisch zu nähern, erklärt er. „Dann kam die Idee auf, ein Graffiti zu machen“, an der Organisation dessen war die Murrhardter Sozialarbeiter sowie der Verein Jugendzentrum Murrhardt beteiligt und die Teilnehmer seien sofort Feuer und Flamme gewesen. Als dann in der Murrhardter Zeitung ein Artikel über Graffitiarbeiten an der Walterichschule erschien, sei man auf Richard Koch aufmerksam geworden, der nun das Know-how bietet.

Der 22-jährige Student aus Schwäbisch Hall ist nebenberuflich in Sachen Graffiti tätig, er erledigt Auftragsarbeiten und bietet Workshops. „So kann ich anderen den Einstieg bieten, der mir damals gefehlt hat“, erklärt er. Denn nachdem ihn im Alter von 14 Jahren ein Freund an Graffitis herangeführt hatte, habe er sich das Meiste selbst beibringen müssen. „Viele verbinden mit Graffitis etwas Illegales“, erklärt er. Dabei gebe es heutzutage viele Möglichkeiten, die Sprühdosen mit Erlaubnis an öffentlichen Gebäuden oder in Unterführungen zum Einsatz zu bringen.

Und so üben die fünf Jungs verschiedene Schriftzüge in unterschiedlichen Styles. Zwar steht das Motiv für die Wand bereits fest – neben der Murrhardter Stadtkirche sollen ein Affe und ein Pferd als Anlehnung an das bekannte Duo sowie schwäbische Sprichwörter am Ende dort prangen –, zusätzlich bekommen aber alle noch Leinwände gestellt, die sie nach Belieben verzieren und mit nach Hause nehmen dürfen. Die meisten entscheiden sich für ihren eigenen Namen oder eine Abwandlung davon. Max gestaltet schlicht ein M, Malek nennt sich XMilky und will den Schriftzug mit Flammen verzieren. Kosai holt sich bei Richard Koch Rat dazu ein, ob er lieber große oder kleine Buchstaben verwenden soll. Nachdem sie mit Buntstiften auf Papier geübt haben, ist es endlich so weit: Es geht ein paar Straßen weiter zum Zielort und die Sprühdosen werden herausgeholt.

Zuerst einmal haben die Jugendlichen freie Hand und dürfen sich mit der Funktionsweise der Sprühdosen vertraut machen. Eine Extraaufforderung ist nicht vonnöten, der Arbeitseifer ist geweckt. Die fünf ziehen Handschuhe und Masken an und machen sich direkt ans Werk. Obwohl die eigenen Erstlingswerke im Handumdrehen von jemand anderem übersprüht werden, ist die Stimmung gleichbleibend gut. Verschiedenes wird ausprobiert, mancher Handschuh muss auch als Schablone herhalten. Die Betreuer haben das Treiben im Auge, lassen die Jugendlichen aber weitgehend gewähren. „Das Gute an den Farben ist, dass man damit alles überdecken kann“, erklärt Richard Koch gelassen. Fehler könnten so schnell ausgemerzt werden und die Kritzeleien der Sprühanfänger gehören nur wenige Minuten später der Vergangenheit an. Und so müssen auch die schwarzen Herzen und Andenken an die Hip-Hop-Gruppe „187 Strassenbande“ weichen und werden später vom Schriftzug „Im Ländle“ auf blauem Grund überstrahlt. Gearbeitet wird frei nach dem Motto, das nun am alten Raiffeisengebäude zu lesen ist: Schaffa, net schwätza!