Schwierige Abwägung und schlaflose Nächte

Ortstermin in der Franzenklinge: Zwei Murrhardter Bürger erkundigen sich bei der Forstverwaltung zu einer Fläche im Stadtwald, auf der der gesamte Bestand abgeerntet wird. Die Fachleute erklären die Hintergründe und dass solch eine Entscheidung nicht leichtfällt.

Schwierige Abwägung und schlaflose Nächte

Der Bestand am Südhang, auf dem Foto auf der rechten Seite, hat wegen Hitze und Trockenheit im vergangenen Jahr stark gelitten. Um die Bäume noch gesund ernten zu können, haben sich die Forstfachleute zu einem drastischen Eingriff entschlossen. Fotos: Stefan Bossow

Von Christine Schick

Murrhardt. Karl Angelbauer und Gerhard Erchinger entschließen sich, Ende des Jahres 2022 eine E-Mail an Förster Philipp Dölker zu schreiben, der in Murrhardt für das südliche Revier zuständig ist. Die beiden Murrhardter haben in der Nähe des Gebiets Franzenklinge eigene Grundstücke, wo sie ihre Bienenvölker pflegen und insofern einen alltäglichen Blick auf die Veränderungen des Waldes haben. Und die sind augenfällig: „Wir beobachten seit ein paar Jahren massive Holzeinschläge zulasten des Hochwaldes in der Franzenklinge. Insbesondere in den letzten Wochen“, schreiben die beiden. „Selbstverständlich sind wir uns darüber im Klaren, dass aus einem ,reifen‘ Wald auch mal geerntet werden muss, aber das, was dort hinten in der Franzenklinge passiert, grenzt unserer Einschätzung nach an Waldvernichtung.“ Für die zwei Murrhardter, die das Gebiet über 40 Jahre als gesunden Hochwald – teils mit über 100-jährigem Bestand – kennen, drängen sich angesichts der Fällungen Fragen auf. Wie lässt sich die Maßnahme mit dem Anspruch auf Nachhaltigkeit und einer möglichst hohen CO2-Bindung in Wald und Bäumen vereinen? Spielen der gute Holzpreis und die große Nachfrage nach dem Rohstoff beim jüngsten Einschlag eine Rolle?

Forstleute sind dankbar für Austausch

„Wir danken Ihnen, dass Sie mit diesen Fragen auf uns zugekommen sind, und auch für Ihre kritischen Worte“, sagt Ulrich Häußermann, stellvertretender Forstamtsleiter im Kreis. Er und Revierförster Philipp Dölker haben mit Karl Angelbauer und Gerhard Erchinger einen Ortstermin vereinbart, um die Hintergründe zu erläutern. Karl Angelbauer gibt zu, dass ihm beim Beobachten des Aberntens der teils 120 Jahre alten Bäume angst und bange wurde. „Ich dachte, das muss doch irgendwann aufhören, sonst ist kein Wald mehr da.“ Für den Hang, an dem die kleine Gruppe steht, trifft das auch zu.

Ulrich Häußermann zeigt auf ein etwas tiefer gelegenes Waldstück gegenüber, bei dem die Bäume – vor allem Tannen, Fichten und Buchen – relativ dicht stehen. Dem Bestand gehe es gut, genug Feuchtigkeit und Nordlage haben dort auch keinen Einschlag notwendig gemacht. An besagtem Südhang sieht die Sache allerdings ganz anders aus und einmal mehr werden an diesem Beispiel der Klimawandel und die Folgen spürbar. „Das ist weniger einer kommunalen Kasse, sondern den klimatischen Veränderungen geschuldet“, sagt Häußermann. Die beiden Forstleute tragen die Faktoren zusammen: Das vergangene Jahr war noch trockener als das in dieser Hinsicht schon berüchtigte Jahr 2018. „Der Boden ist bis zu einer Tiefe von rund 3,5 Metern ausgetrocknet“, erklärt Philipp Dölker. Zu dem etwa ein Drittel weniger Niederschlag kam ein Plus in ähnlichem Umfang an Sonneneinstrahlung. Im Herbst 2022 war klar, dass der Bestand des Südhangs auf längere Sicht nicht zu halten ist.

Philipp Dölker und das Team der Kreisforstverwaltung standen vor einer nicht ganz einfachen Abwägung: entweder jetzt den noch gesunden Bestand abernten oder riskieren, dass dies in einigen Jahren nicht mehr möglich ist, weil sich durch das Absterben der Bäume und möglichen Käferbefall die Lage komplett dreht und eigentlich nur noch Schadholz zum Verheizen übrig bleibt. „Das kann schnell in einen roten Bestand umkippen“, so Ulrich Häußermann. Ist dies der Fall, kommen noch weitere Probleme hinzu. Das Fällen der Bäume ist dann mit einem größeren Aufwand verbunden und die Gefahr für umliegende Bäume genauso wie für das Waldarbeiterteam steigt. Wenn ein Baum verdurstet, stirbt zuerst die Krone ab. Das kann beim Fällen fatale Folgen haben, stürzt diese ungeplant nach unten. „Die Bruchgefahr ist groß, im Trailhof habe ich erlebt, wie das ausgetrocknete Holz beim Auftreffen auf den Boden wie Glas zersplittert“, erzählt Dölker. Der Revierförster lässt wissen, dass ihn die Entscheidung, den Bestand komplett zu entnehmen, wie die Fachleute sagen, persönlich umgetrieben hat: „Das hat mir schlaflose Nächte bereitet. Es war klar, dass dies ein deutlicher Eingriff wird.“ Da die Weißtanne aber einen geschlossenen Wald brauche, sei auch das Stehenlassen einzelner Bäume keine Option gewesen.

Wertholz bedeutet längere CO2-Bindung

Ulrich Häußermann bringt einen weiteren Punkt ein, der bei der Abwägung eine Rolle spielt. Wenn es um die CO2-Bindung geht, ist ein Abernten gesunder Bäume, die als Wertholz beispielsweise im Bau oder in der Möbelindustrie verwendet werden, die sehr viel bessere, weil langlebigere Wahl als Schadholz zu riskieren, das beim Verbrennen das Kohlendioxid wieder an die Atmosphäre abgibt. „Und wenn dann hier Holz nachwachsen kann, halten wir die CO2-Bindung weiter am Laufen“, sagt er.

Nachhaltigkeit im Sinne des Grundsatzes, dass weniger eingeschlagen wird als nachwächst, ist für die beiden Fachleute gegeben. Über den Daumen rechnet man, dass pro Hektar im Jahr rund zehn Festmeter Holz nachwachsen. Gemessen bei einem rund 9000 Hektar großen Stadtwald und einem Einschlag von aktuell 7000 Festmetern wird dies somit eingehalten. Natürlich handelt es sich um Durchschnittswerte und der Eingriff wirkt auf der überschaubaren Fläche drastisch. Sehr grob geschätzt kommen dort 350 bis 400 Festmeter für den Einschlag zusammen. „Das wären rund zehn Prozent der Holzmenge, die ich im Jahr mache“, erläutert Dölker.

Gerhard Erchinger stellt die Frage in den Raum: „Wie kommen wir jetzt zur nächsten Waldgeneration?“ Für Philipp Dölker und Ulrich Häußermann ist da vor allem Naturverjüngung das Mittel der Wahl, sprich, was am Standort über Samen nachwächst und auch gedeiht. Aufforstung spielt eher am Rande und in geringerem Umfang eine Rolle. Der Revierförster hat sich aber überlegt, dass beispielsweise Wildbirne, Spitzahorn und Sommerlinde interessante Vertreter sein könnten. Mit Blick auf den Klimawandel setzt die Forstwirtschaft generell auf einen gut durchmischten Wald – bei Arten und Altersstruktur. In Bezug auf Pflanzungen ist dann allerdings auch der Boden zu betrachten, der für das Gedeihen bestimmter Arten ideal oder schwierig sein kann.

Die beiden Murrhardter haben einiges an Informationen bekommen und bedanken sich bei den Forstleuten für die Erläuterungen. „Dass der Eingriff über der Norm war, hat sich für mich aber auch bestätigt“, sagt Karl Angelbauer. Gerhard Erchinger nutzt die Gelegenheit, sich zum Schluss noch für die Insekten starkzumachen. Er bittet darum, sich bei der Forstverwaltung dafür einzusetzen, die Wegränder in nicht so hoher Frequenz abzumähen. Wildbiene und Co. werden es danken.

Schwierige Abwägung und schlaflose Nächte

Tauschen sich vor Ort aus (von links): Gerhard Erchinger, Revierförster Philipp Dölker, stellvertretender Kreisforstamtsleiter Ulrich Häußermann und Karl Angelbauer.

Schwierige Abwägung und schlaflose Nächte

Die Ernte umfasst große, majestätische Bäume, die über 100 Jahre alt sind.