Trotz Prävention und Ermittlungen bleibt die Zahl der Missbrauchsfälle erschreckend hoch. Der aktuelle Bericht zeigt Entwicklungen, die besonders beunruhigen.
Ein knappes Drittel der Verdächtigen war 2024 selbst unter 18 Jahren alt. (Symbolbild)
Von red/AFP
Sexueller Missbrauch, Kinderpornographie, Zwangsprostitution: 2024 haben die deutschen Behörden erneut erschreckend hohe Zahlen von Sexualstraftaten gegen Kinder und Jugendliche registriert. Und das sind nur die Fälle, die den Sicherheitsbehörden ins Auge fallen, die Dunkelziffer liegt höher.
Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) sagte bei der Vorstellung des Bundeslagebilds der Sexualdelikte gegen Kinder und Jugendliche am Donnerstag in Berlin: „Wir dürfen uns damit nicht abfinden.“ Einige Entwicklungen fallen besonders ins Auge.
Opfer überwiegend weiblich
Beim sexuellen Missbrauch von Kindern waren knapp drei Viertel der Opfer Mädchen - nämlich 13.365 von 18.085. Allerdings ist ihr Anteil im Vergleich zum vergangenen Jahr von 75,6 Prozent auf 73,9 Prozent leicht zurückgegangen. Es gab dagegen gut 200 Jungen mehr unter den Opfern - ihre Zahl stieg von 4514 auf 4720.
Auch bei den Jugendlichen ist der Anteil der Mädchen bei den Opfern von sexuellem Missbrauch deutlich höher als der der Jungen. Von den 1259 Opfern waren 938 weiblich und 321 männlich. Auch hier ist der Anteil der Jungen leicht gestiegen.
Tatverdächtige überwiegend Bekannte
Bei Sexualdelikten gegen Kinder und Jugendlichen bestand meistens schon vor der Tat eine Beziehung zwischen Tätern und ihren Opfern, die die Täter für ihre Handlungen ausnutzten. Mehr als jedes zweite Opfer kannte seine Peiniger etwa aus der Familie oder aus dem Freundes- oder Bekanntenkreis. Für die Opfer kann dies zu besonders schweren Traumata führen.
Ein Drittel der Tatverdächtigen minderjährig
Auch die Tatverdächtigen sind oft jung: Beim sexuellen Kindesmissbrauch war ein knappes Drittel der Verdächtigen unter 18 Jahren alt. 12,1 Prozent oder 1498 Verdächtige waren sogar nicht mal 14 Jahre und damit selbst nicht strafmündig. Diese hohe Zahl dürfte mit dem wachsenden Anteil von Sexualstraftaten im Internet zu erklären sein - und sie dürfte die politische Diskussionen um die Folgen von Handy- und Internetnutzung von Kindern und Jugendlichen anheizen.
Opfer und Tatverdächtige meistens deutsch
Anders als in anderen Kriminalitätsbereichen sind Opfer und Tatverdächtige in den meisten Fällen deutsch. Beispiel sexueller Kindesmissbrauch: Gut 15.000 der Opfer waren Deutsche, nur knapp 3000 waren ausländische Staatsbürger. Der Anteil ausländischer Verdächtiger lag in dem Bereich bei 19,7 Prozent, ein leichter Anstieg im Vergleich zum Vorjahr (18,8 Prozent). Beim sexuellen Missbrauch von Jugendlichen ist der Anteil der Ausländer unter den Verdächtigen leicht von 23,7 auf 23,2 Prozent gesunken.
Bei Kinder- und Jugendpornografie sank der Anteil der nicht-deutschen Verdächtigen jeweils leicht und lag nun bei 24 beziehungsweise 16 Prozent. Der Ausländeranteil in der Gesamtbevölkerung beträgt rund 15 Prozent.
Viele Sexualdelikte finden online statt
Zu den digital begangenen Sexualdelikten zählen unter anderem das sogenannte Cybergrooming und das Livestreaming der Taten. Cybergrooming beschreibt die gezielte Anbahnung sexueller Kontakte mit Minderjährigen über das Internet. Die Täter geben sich in sozialen Netzwerken oft als ungefähr gleichaltrig aus, um das Vertrauen ihrer Opfer zu gewinnen. In vielen Fällen bringen sie die Kinder dazu, ihnen freizügige Fotos zu senden.
Laut den Ermittlungsbehörden werden auch immer mehr Taten live über Online-Plattformen gestreamt. Andere Nutzer zahlen dafür, sich die Missbrauchshandlungen in Echtzeit anzuschauen und oft durch eigene Anweisungen zu beeinflussen. Je mehr die Kunden zahlen, desto brutaler gehen die Täter oft vor.
Befugnisse für Ermittler
Die schiere Menge der Taten, der Hinweise und des Beweismaterials bedeutet enormen Aufwand für die Strafverfolgungsbehörden. Mehr Personal und mehr Befugnisse für die Polizei können Kinder und Jugendliche schützen und Täter im Nachhinein ausfindig machen, sie sind aber auch politisch umstritten. Minister Dobrindt bekräftigte, dass die Bundesregierung die Speicherung von IP-Adressen auf den Weg bringen werde. Diese sogenannte Vorratsdatenspeicherung war in Deutschland 2017 nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs ausgesetzt worden.
Die Sicherheitsbehörden wolle die Regierung „technisch so ausstatten, dass sie Täter gerade im Netz identifizieren und laufenden Missbrauch stoppen können“, erklärte Dobrindt. In der Verbrechensbekämpfung können zukünftig auch Erkennungssoftware und künstliche Intelligenz Ermittlern helfen - etwa bei der Auswertung von Foto- und Videomaterial. Auch deren Einsatz ist aber umstritten.