Mieten, Löhne Renten – im Interview mit unserer Zeitung unterstreicht die Linken-Politikerin Heidi Reichinnek, dass ihre Partei das Thema soziale Gerechtigkeit in den Mittelpunkt rückt.
Linken-Fraktionschefin Heidi Reichinnek will im Bundestag eine kraftvolle Oppositionsarbeit liefern.
Von Norbert Wallet
Linken-Fraktionschefin Heidi Reichinnek ist die populärste Politikerin ihrer Partei. Kurz vor dem Bundesparteitag in Chemnitz spricht sie darüber, wie die Linke in Zeiten von Schwarz-Rot sich im Bundestag positionieren will. Und sie fordert die Union auf, den Unvereinbarkeitsbeschluss mit der Linken Vergangenheit sein zu lassen.
Welche Lehren ziehen sie aus den Ereignissen im Bundestag diese Woche?
Der Tag der Kanzlerwahl hat deutlich gezeigt, dass wir dazu bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. Die Union hat jetzt hoffentlich verstanden, dass ihr Unvereinbarkeitsbeschluss weder zeitgemäß noch praktikabel ist. Deswegen erwarte ich jetzt, dass sie mit uns auf Augenhöhe umgeht und nicht nur mit uns spricht, wenn wir ihr aus der Klemme helfen müssen. Wir haben immer gesagt, dass wir zu konstruktiven Gesprächen mit allen demokratischen Fraktionen bereit sind und dabei bleibt es auch.
Was gefällt Ihnen am neuen Kabinett und welche Namen sehen Sie kritisch?
Bei den Unionsministerinnen und -ministern sehe ich ehrlich gesagt nur Schatten in verschiedenen Abstufungen. Besonders entsetzt bin ich darüber, dass man sich Wirtschaftslobbyisten direkt mit an den Kabinettstisch geholt hat. Damit ist vorprogrammiert, dass in der Regierung Merz die Interessen der Manager und Aktionäre über denen der Beschäftigten stehen werden. Das birgt eine enorme soziale Sprengkraft. Nur weil jemand ein Unternehmen geleitet hat, heißt das nicht, dass er oder sie auch einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Interessenlagen innerhalb einer Volkswirtschaft hinbekommt – eher im Gegenteil. Die SPD versucht deutlich besser, die Breite der Gesellschaft abzubilden. Ob sie sich am Ende aber am Kabinettstisch durchsetzen können, bleibt abzuwarten.
Ist Rot-Rot-Grün noch ein Projekt?
Selbstverständlich sind wir im Austausch mit Abgeordneten von SPD und Grünen und selbstverständlich wollen wir auf Dauer andere Mehrheitsverhältnisse. Unser Ziel ist es, ein gutes Leben für alle Menschen in diesem Land zu erreichen und ich bin mir sicher, dass das mit einer Regierung Merz nicht geschehen wird.
In Umfragen liegt die AfD inzwischen an der Spitze. Was bedeutet das für den Umgang mit der Partei?
Für mich ändert das zunächst einmal nichts, es zeigt nur, wie dringend soziale Probleme angegangen werden müssen, denn die sind der Hauptgrund für den Aufstieg der AfD. Ein starker Sozialstaat ist das beste Mittel gegen rechtes Gedankengut und rechtsextreme Parteien. Aber es ist nicht der richtige Weg, eine Partei an Institutionen zu beteiligen, die sie zerstören will. Darüber hinaus hoffe ich, dass nun auch insbesondere die Union ein Einsehen hat und nach der Einstufung der AfD als „gesichert rechtsextrem“ durch den Verfassungsschutz einem Antrag zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit durch unser höchstes Gericht zustimmt.
Es ist Ihnen bei der Bundestagswahl gelungen, viele junge Menschen an sich zu binden. Wie wollen Sie die Jungen bei der Stange halten?
Das ist völlig richtig. Der FDP ist es nicht gelungen, diese Wählerinnen und Wähler an sich zu binden, aber das ist ehrlich gesagt nicht weiter verwunderlich. Denn die FDP hat zu keiner Zeit eine Politik vertreten, die die Interessen junger Menschen in den Vordergrund gerückt hat. Mehr als eine attraktive Kampagne hatten sie nicht zu bieten. Wir wollen, dass junge Menschen ernst genommen werden und ihre Anliegen in der Politik stattfinden. Reicht das Bafög oder das Azubigehalt? Fährt der Bus in mein Dorf und gibt es da noch ein Jugendzentrum? Wie retten wir das Klima? Dazu ist es wichtig, ihnen auf Augenhöhe zu begegnen und mit ihnen wirklich im Austausch zu sein.
Mit welchen Themen wollen Sie vor allem erkennbar bleiben?
Zunächst Mal sind da die Themen, die wir ja auch im Wahlkampf gesetzt haben, also Mieten und Wohnen, bezahlbare Lebensmittel und die gerechtere Verteilung von Einkommen und Vermögen. Aber das ist natürlich nicht für die nächsten vier Jahre in Stein gemeißelt. An den Haustüren reden unsere Mitglieder nicht nur, sie hören vor allem zu. An dem, was wir in diesen Gesprächen mit auf den Weg bekommen, richten wir auch unsere Arbeit aus.
Wie groß ist die Gefahr, dass sie in Zukunft zwischen der medialen Wucht der großen Koalition und dem Lärm der AfD nicht mehr durchdringen?
Ehrlich gesagt mache ich mir da keine allzu großen Sorgen. Zum einen sind wir die einzige soziale Opposition und werden regelmäßig die Themen auf die Tagesordnung setzen, die die Menschen in ihrem Alltag umtreiben – steigende Mieten, zu geringe Löhne und Renten, Krankenhaussterben. Und zum anderen fehlt in ihrer Aufzählung das wichtigste Puzzleteil für unseren Erfolg bei der letzten Wahl und das sind unsere mittlerweile über 100 000 engagierte und motivierte Mitglieder. Und die machen jetzt nahtlos weiter, bieten Sozialberatungen an, klopfen an Haustüren, um mit den Menschen im Kontakt zu bleiben und setzen sich vor Ort in der Kommunalpolitik ein.
Hat die Linke ein Antisemitismus-Problem?
Probleme mit Antisemitismus gibt es in allen Teilen der Gesellschaft. Aber Solidarität mit den Menschen in Gaza ist nicht antisemitisch. Die Verurteilung der Regierung Netanjahus ist nicht nur richtig, sondern nötig. Was in Gaza passiert, ist grausam. Über das Leid der Menschen in Palästina wird auffällig laut geschwiegen. Für uns ist natürlich klar, dass die Gräueltaten der Hamas verurteilt werden müssen und die Hamas eine Terrororganisation ist. Die Freilassung der Geiseln muss genauso Ziel sein, wie eine sofortige Beendigung des Krieges und des Leids in Gaza. Wir haben auf unserem Parteitag im vergangenen Jahr mit übergroßer Mehrheit einen Beschluss gefasst, der genau diese Punkte beinhaltet. Zudem den Stopp der Waffenexporte, der Einsatz für eine Zweistaatenlösung, der sofortige Wiederaufbau Palästinas – das ist unsere Position.
Wie man hört, sehnt sich manch ausgetretenes BSW-Mitglied wieder zu den Linken zurück. Steht die Tür offen oder sollte man da Vorsicht walten lassen?
Darauf gibt es keine pauschale Antwort. Die, die das BSW aufgebaut haben, wollen sicher nicht durch diese Tür und ich sehe diese Möglichkeit für sie auch nicht. Wenn es um einfache Basismitglieder geht, dann werden das die Gliederungen vor Ort entscheiden. Dort kennt man sich ja auch persönlich und kann die Entscheidung viel besser treffen.
Auf TikTok und im Bundestag
Linken-Politikerin Heidi Reichinnek, Jahrgang 1988, ist Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, zur Bundestagswahl im Februar trat sie gemeinsam mit Jan van Aken als Spitzenkandidatin an. Sie sitzt seit 2021 im Bundestag. Die 37-Jährige ist eine der erfolgreichsten deutschen Politikerinnen auf der Kurzvideo-Plattform Tiktok, wo unter anderem ein Clip ihrer sogenannten Brandmauer-Rede viral ging.
Wissenschaft und Jugendhilfe Reichinnek ist in Sachsen-Anhalt aufgewachsen, inzwischen lebt sie in Osnabrück. Bevor sie in den Bundestag einzog, arbeitete sie in der Jugendhilfe. Sie hat einen Master in Politik und Wirtschaft des Nahen und Mittleren Ostens und war einige Zeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig.