Sprühend kreativ

Sprühend kreativ

Richard Koch zeigt Tamia Behrend, Leonie Janßen und Justin Schnee (von links), wie man Schriftzüge effektvoll in Szene setzt, und Schulsozialarbeiter Achim Strack (rechts) freut sich, wie selbstverständlich die Jugendlichen sich ins kreative Schaffen vertiefen. Foto: J. Fiedler

Von Christine Schick

Murrhardt. Richard Koch stellt eine stattliche Auswahl an Sprühdosen in die Mitte des hinteren Raums der Schulsozialarbeit. Dann packt er noch verschiedene Aufsätze dazu, die die Farbe mal als dünnen Strahl, mal großflächig aus der Dose pusten. Die fünf Achtklässler der Walterichschule fackeln nicht lange, ziehen sich ihre FFP3-Spezialmasken auf. Es ist die dritte und abschließende Session, die sie haben.

Am Donnerstag vor zwei Wochen hat Richard Koch aus Schwäbisch Hall mit ihnen technische Grundlagen und Aspekte des Arbeitsschutzes besprochen, das letzte Mal haben sie sich dann auch an die Wand gemacht. „Wir haben einfach mal angefangen“, sagt Leonie Janßen und zeigt auf den Schriftzug „Friends“. Tamia Behrend nickt. Auch die Jungs – Justin Schnee, Alex Rupp und Luis Pehlke – sind ganz selbstverständlich miteingestiegen. Obwohl die Wand schon äußerst lebendig wirkt und im Alltag der Walterich- und Herzog-Christoph-Schule zum Hingucker geworden ist, wie Schulsozialarbeiter Achim Strack erzählt, soll beim heutigen Finale noch mal ganz neu angesetzt werden – um das zentrale Erstwerk herum. Alex Rupp und Luis Pehlke haben sich für den Schriftzug „Family“ entschieden. „Zeichnet doch mit Marker grob vor“, sagt der Workshopleiter. So lassen sich die Buchstabenabstände besser kalkulieren. Das Dreierteam mit Leonie Janßen, Tamia Behrend und Justin Schnee überlegt, wie sie einen großen, sauberen Kreis hinbekommen, aus dem sich später die Erde entwickeln soll. „Ihr könntet eine Schnur verwenden“, schlägt Koch vor, aber Achim Strack steht mit einem noch luxuriöseren Hilfsmittel zur Seite – einem großen Schulzirkel, der aus Zeiten der Kreidetafel stammt und in den sich ein Edding gut in die Malspitze integrieren lässt. Die beiden Mädchen legen den Hintergrund – gelb und orange – fest, und Justin Schnee zeichnet Umrisse für Meere und Kontinente in die Kugel. Für die großen Flächen werden jetzt die Dosenaufsätze gewechselt. „Das Gute ist, dass jede Farbe sich mit jeder Farbe übersprühen lässt“, sagt Richard Koch. Korrekturen sind jederzeit möglich und innerhalb von kürzester Zeit sehen die Jugendlichen das Ergebnis ihrer Arbeit. „Deshalb haben wir auch beschlossen, nicht erst auf Übungspappe, sondern gleich an die Wand zu gehen“, erklärt Achim Strack.

Um einen sanften Übergang zwischen zwei Farbflächen zu schaffen, hält der Workshopleiter die Sprühdose fast waagrecht. „Versuch mal, von unten hochzunebeln“, sagt er zu Leonie Janßen. Beide Teams sind in ihre Einzelprojekte vertieft. Umrandungen, Schriftkonturierung und Planet Erde wachsen. „Das ist herrlich im Fluss“, sagt Strack und freut sich, dass ein Locken zur Gruppenarbeit erst gar nicht nötig ist. Das Dreierteam berät, wie es die beiden Schriftzüge „One World“ und „Black Lives Matters“ (schwarze Leben zählen), kurz BLM, umsetzen kann. Sie wissen, wie das mithilfe von Schablonen für einzelne Buchstaben oder das ganze Schriftbild geht, entscheiden sich aber fürs direkte Aufzeichnen und Koch hilft ihnen. „Ich finde die Botschaft von ,Black Lives Matters‘ wichtig“, sagt Leonie Janßen zur Bewegung, und dass es wichtig sei, das hier auch aufzugreifen. Sie passt gut zu dem weiteren Stichwort „One World“ und ihrem Wunsch, Hass und Ausgrenzung keinen Raum zu geben, sondern auf Liebe zu setzen.

Und diese Ziele lassen sich äußerst gut mit einer weiteren, breit angelegten Aktion der Schulsozialarbeit verknüpfen beziehungsweise gehen darin auf: dem „#nohatefamily“-Projekt. Die gleichnamige Initiative geht auf acht Kölner Street-Art-Künstler zurück, die sich mit dem Thema „Hass in der Gesellschaft“ beschäftigen und denen sich viele weitere Künstler aus aller Welt angeschlossen haben. „Ich hatte das Projekt schon bei meinem Start an der Walterich- und Herzog-Christoph-Schule im Frühjahr 2020 im Auge“, erzählt Strack. Zunächst musste es über digitale Kontakte mit den Schülern beziehungsweise über die sozialen Medien anlaufen, nun finden sich am Eingang vor den Räumen der Schulsozialarbeit die Papierbögen, mit denen sich jeder Schüler beteiligen kann: eine Vorlage mit dem kreisförmigen Schriftzug „To live and let live – Streetart against hate“ (Leben und leben lassen, Street-Art gegen Hass), der nicht nur in vielen weiteren Sprachen zur Verfügung steht, sondern im Zentrum auch eine Fläche für eigene Bilder und Botschaften freilässt. Auf dem Billardtisch hat Achim Strack die gesammelten Werke ausgebreitet. Sie sollen als Collage auch an einer Wand ihren Platz finden, sodass eine „Wall of love“ (Wand der Liebe) entsteht, wie sie beim „#nohatefamily“-Projekt heißt.

Margit Körner hat Getränke und kleine Leckereien vorbereitet. Bei einer Pause nebenan spricht die Schulsozialarbeiterin ein weiteres Anliegen an: „Wir fänden es klasse, wenn es die Chance für die Jugendlichen gebe, dass sie mit weiteren Projekten auch in der Stadt sichtbar werden könnten.“ Mit dem aktuellen ist der Startschuss gefallen. Ursprünglich, also als noch niemand an Vorsichtsmaßnahmen vor dem Hintergrund von Corona wie kleine Gruppen dachte, war es als gemeinsames Projekt von Walterich- und Herzog-Christoph-Schule geplant. Insofern besteht der Wunsch, künftig weiteren Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, kreativ zu werden – mit professioneller Begleitung – und Richard Koch kann sich das gut vorstellen. Zurzeit noch im Studium (Dienstleistungsmanagement) kann er sich mit den Workshops etwas dazuverdienen. Das Team ist auf ihn aufmerksam geworden, als er und andere in Hall Wände ganz offiziell gestaltet haben. Street-Art und Graffiti, bei denen es teils fließende Übergänge gibt, können so dazu betragen, unschöne Ecken zu Hinguckern zu machen und insofern sogar Vandalismus vorzubeugen, erklärt Koch.

Dann geht es wieder an die Arbeit und die Bilder der Teams wachsen allmählich zusammen. Alex Rupp und Luis Pehlke setzen sogenannte Bubbles (Punkte) wie eine Brücke zwischen Motiven und Schriftzügen ein. Für die Jugendlichen ist klar, dass sie sich eine Fortsetzung wünschen: „Im nächsten Schuljahr könnte es doch in der 9. Klasse weitergehen“, so der Tenor.

Aufruf zum Mitmachen

Das „#nohatefamily“-Projekt ist in vielen sozialen Netzwerken vertreten. Die Homepage https://nohatefamily.jimdosite.com informiert in Text und Bild. Dort finden sich die Vorlagen, um mitzumachen, oder direkt unter https://bit.ly/2TuRsa9. Alle sind eingeladen, sich zu beteiligen. Die Schulsozialarbeit freut sich über Einsendung/Rücklauf, Nägelestraße 15, 71540 Murrhardt, und über Tipps zu verschönerbaren Wänden.